Seite:Die Gartenlaube (1874) 722.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Quirin’s jagdgeübtes Falkenauge sie bereits erkannt, und Freude stieg in ihm empor wie eine aufwallende Grundquelle, die er mühsam zurückdämmen mußte … Es war Corona. Auch sie hatte ihn gewahrt, und es dauerte nicht lange, so stand sie, von dem Baumschatten gedeckt, unter seinem Fenster, wo sie sich emporstreckte, soviel sie konnte … Wenn er den Arm durch die Eisenstäbe streckte, war es möglich, sich mit den Händen zu erreichen.

Beide waren so ergriffen, daß sie nicht gleich Worte fanden, ein ordentliches Gespräch zu beginnen. Die beiderseitigen Namen waren das Einzige, was sie hervorbrachten, und auch diese waren nicht gesprochen, sondern nur gehaucht, damit kein lauschendes Ohr die geheime Zwiesprache störe.

„Bist Du’s wirklich, Corona?“ fragte Quirin. „Mir ist, als wenn ich von Dir geträumt hätt’, und wie ich aufwach, bild’ ich mir ein, ich träum’ noch immer und seh’ Dich vor mir wie im Traum.“

„Ich bin’s schon,“ sagte das Mädchen. „Wie kannst fragen? Muß ich denn nit kommen und hereinbringen, was ich Dir Alles schuldig bin? Muß ich Dir nicht danken, was Du Alles für mich gethan hast?“

„Wüßt’ nit was,“ war Quirin’s ausweichende Antwort.

„Was? Hast Du mir nicht aus der Stadt fort g’holfen? Hast Du Dich nicht heut’ wieder so ang’nommen um mich?“

„Ist gern gescheh’n; ich wollt’ nur, es wär’ besser ausg’fallen. Ich hab’ nit g’wußt, daß Du heut’ schon abtreibst, und wär’ morgen in aller Früh’ bei Dir auf der Gindelalm gewesen. – Dann hätt’ Alles noch recht werden können; aber jetzt ist’s vorbei – vorbei mit Allem; jetzt brauch’ ich mich nit mehr zu kümmern um die Sägmühl und um die Sägmüllerin.“

„Wer weiß? Meinetwegen bist Du in’s Gefängniß kommen; also ist’s meine Sach’, daß ich Dir helf’. Ich weiß noch ein Mittel, das Dich frei macht. …“

„Da giebt’s kein Mittel mehr; ich bin schon allzu tief eingetunkt.“

„Mach’ mich nit selber kleinmüthig!“ rief Corona ängstlich. „Ich muß ohnehin meine ganze Kuraschi zusamm’nehmen. Aber g’schwind – vor Allem nimm, was Du mir ’geben hast! Es könnt’ wer kommen und könnt’ mich versprengen.“

„Was ich Dir ’geben hab’?“ fragte Quirin staunend. „Du bringst mir was?“

„Frag’ nit so! Hast das Papier vergessen, das Du mir ’geben hast, selbiges Mal, wie wir beim Kreuzlgießergarten auseinander sind?“

„Das willst Du mir z’rückgeben? Du hast es also noch? Du hast es nit her’geben?“ rief Quirin, sich vergessend, in heller Freude.

„Nit so laut!“ flüsterte Corona. „Wie fragst so gespaßig? Wenn ich gewußt hätt’, was in dem Papier steht, hätt’ ich’s nie angenommen. Wie ich’s aber gewußt hab’, da hab’ ich Dich nimmer finden und erfragen können, also hab’ ich’s wohl behalten müssen.“

„Du hast es noch? Du hast es nit hergeben?“ fragte Quirin nochmals.

„Gewiß. Das hast wohl im Ernst nit von mir glauben können – Du hast nit glauben können, daß ich Dich verrath’, blos damit ich mir leichter thu’. Nein, und wenn sie mir’s noch so arg gemacht hätten, und wenn ich keinen Dienst gefunden hätt’, lieber hätt’ ich im Taglohn gearbeit’t, daß mir das Blut aus den Nägeln gespritzt wär’, als daß ich das Sündengeld angenommen hätt’. … Da hast es – nimm’s wieder! Ich weiß ja doch, was Du für mich gethan hast, und werd’s nie vergessen.“

„Sie hat’s nit hergeben! Sie hat’s noch!“ rief Quirin entzückt zum dritten Male. Er faßte nach ihrer Hand, die ihm das Blatt entgegenstreckte; aber er ergriff nicht dieses, sondern die Hand, die es ihm reichte. Diese hielt er fest, zog sie hinauf zwischen seine Gitterstäbe und bedeckte sie mit Küssen. „Jetzt kommt’s mich erst hart an, daß Alles vorbei ist,“ rief er. „Sie sperren mich ein – wer weiß wie lang; sie schicken mich zum Weveldt nach München, und das halt ich nit aus. Ich bin’s zu sehr gewohnt, daß ich meinen freien Lauf hab’; da geh’ ich ein im ersten halben Jahr wie ein Baum, der kein’ Regen und kein’ Thau hat.“

„Mußt noch nit verzagen,“ rief Corona leise. „Aber ich hör’ was; und der Mondschein ruckt auch schon ganz nah’ – ich muß fort, und nur noch das Einzige will ich Dir sagen: Wenn Du wieder herauskommst und mich wieder fragen willst, wie damals auf der Gindelalm, dann bin ich um die Antwort nimmer verlegen; dann weiß ich Dir Eine, die gern drei Jahr’ und noch länger warten und Deine Sägmüllerin werden will.“

Ein Hund schlug an; von ferne klirrte ein Schlüsselbund; der Gerichtsdiener war wach geworden und eilte, nach seinem kostbaren Arrestanten zu sehen. Er fand nichts; als er schlaftrunken näher kam, war das Fenster des Gefangenen leer und verschlossen und der Besuch verschwunden. – Nur der Hund schnupperte am Boden hin, als wolle er zeigen, daß ihn sein Spürsinn nicht betrogen. – –

Ein herrlicher Herbstmorgen lag über den Bergen, die schon in voller Klarheit ihre Häupter emportrugen, während noch von der Seefläche einzelne Nebelflecken zu ihnen emporstiegen. Da stand Corona schon zu frühester Stunde in den Gebüschen an dem Parapluie, das der König an einem der schönsten Aussichtspunkte, dem Wallberge gegenüber, hatte erbauen lassen, und das er täglich zu besuchen pflegte, allein und in der Kleidung des einfachsten Bürgers. In dem freundlichen Manne im dunkelblauen Fracke mit gelben Knöpfen, grauen Beinkleidern, hohen Stiefeln und schlichtem Rundhute hätte wohl Niemand den Beherrscher des Landes gesucht. Eben schlug er den Heimweg ein, als die kleinen, roth und weiß gefleckten Wachtelhündchen, die er immer bei sich hatte, vor dem Gebüsche stehen blieben und durch lautes Gebell anzeigten, daß sich etwas darin verberge. Zögernd trat Corona auf des Königs Ruf hervor; mit brennenden Wangen und niedergeschlagenem Blicke stand sie vor ihm: sie war beim ersten Begegnen im Königszelte nicht im mindesten in Verlegenheit gekommen; jetzt vermochte sie kein Wort hervorzubringen.

„Wer bist Du, Mädl?“ fragte der König. „Willst Du etwas von mir? Ich meine, ich soll Dich kennen.“

„Du kennst mich freilich, Herr König!“ entgegnete Corona furchtsam. „Aber ich weiß halt nit, ob Du nit harb sein wirst, wenn ich mich nenn’.“

„So hast Du etwas begangen, daß Du mich fürchten mußt?“

„Begangen –“ sagte sie verwundert, „das heißt wohl so viel wie angestellt? Nein, angestellt hab’ ich just nichts; aber ich bin halt das Madl, das im voriges Jahr vor Dir gesungen hat – weißt wohl, wie die fremden Kaiser alle bei Dir auf Besuch g’wesen sind.“

„Ah! Jetzt erst kenn’ ich Dich,“ rief der König lachend. „Du bist ja das Spötterl, das eine Sängerin werden wollte und meinen Münchnern den Spaß so versalzen hat.“

Da sie die gute Laune des Königs bemerkte, sah auch Corona lächelnd zu ihm empor. „So bist nit harb,“ sagte sie, „daß ich damals davon bin, und daß alles das Geld, das Du wegen meiner ausgegeben hast, zum Fenster hinausgeworfen war?“

„Nein, ich bin nicht harb,“ erwiderte der König ihre Worte wiederholend. „Leider konnte ich an jenem Abend nicht im Theater sein; ich habe eben wieder Besuch gehabt. Aber ich habe viel darüber gelacht, daß Du Dich so resolut aus der Affaire gezogen hast, und was das Geld betrifft, so behauptet mein Schatzmeister, das sei nicht das Einzige, was zum Fenster hinausgeworfen werde. Aber was willst Du denn? Vermutlich heirathen?“

„Wär’ mir auch nit zuwider,“ entgegnete Corona, „wenn’s der Rechte wär’. – Aber es ist das nit. Du hast voriges Jahr erlaubt, daß ich mir eine Gnad’ ausbitten und mich darauf besinnen darf, bis mir was Richtig’s einfallt.“

„Und jetzt ist Dir das Richtige eingefallen? Nun gut, so sage Deinen Wunsch! Wenn es möglich ist, soll er Dir gewährt sein.“

Ermuthigt von der Leutseligkeit des Fürsten, erzählte Corona erst stockend, dann frei vom Herzen weg, was zwischen ihr und Quirin sich begeben, wie er nun als Wildschütz gefangen sitze und einem schlechten Ende entgegensehe, wenn nicht die Gnade des Königs, um die sie für den Burschen bitte, helfend und rettend dazwischen trete.

Der König war ernst geworden. „Da hast Du Dich in

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_722.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)