Seite:Die Gartenlaube (1874) 701.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Als ich das Thier in Bagamoojo sah, tauchte in mir sofort der Gedanke auf, daß es für mich ein sehr amüsanter Reisebegleiter sein würde. Ich mußte nämlich, um meine durch fast dreijähriges Afrikareisen geschwächte Gesundheit zu restauriren, das heißt meinen Körper einmal wieder „durchfrieren“ zu lassen, andrerseits auch, um mich zu ferneren Reisen neu auszurüsten, zur Heimath zurückkehren. Ich conferirte darüber mit Dr. Bodinus in Berlin; das „Geschäft“ war denn auch bald (per Telegraph) abgemacht und eine große ausgepolsterte Kiste zusammen gezimmert, in der es, durch häufige Seebäder erfrischt, sein Amphibienleben ungestört fortsetzen konnte.

Am 1. August ließ ich meinen Reise-Compagnon sammt seiner „Cabine“ an Bord des englischen Postschiffes hissen, kletterte selbst nach, und fort ging es durch die mächtigen Wellen des indischen Oceans unserer ersten Station, Aden, zu. Ich will nicht versuchen, die fashionable Langeweile, die ich an Bord dieses Postdampfers auszustehen das Vergnügen hatte, zu beschreiben, auch nicht des schlechten Essens und noch erbärmlicheren Tranks gedenken. Beides wurde aber auf Silber und in Krystall servirt, weshalb denn auch vierunddreißig Thaler pro Tag der Reise nicht theuer genannt werden darf; dieses Alles hat ja der brillante Pinsel meines Namensvetters Hildebrandt in seiner von Kossack herausgegebenen „Reise um die Welt“ dem geistigen Auge des Lesers in classischer Weise vorgeführt. In Aden angelangt, mußte ich einige Tage warten, da sich kein passender Anschluß nach Europa fand. Ich ließ Tommondo aus dem engen Verließ heraus und wusch ihn fein säuberlich. Er begleitete mich bei Nachbarbesuchen zu den Freunden, die ich vom früheren Aufenthalte her in Aden diesem „Eastern Strong- und Coalhold“, hatte. Da langte plötzlich in der Nacht eine officiöse Depesche an, daß Aden wahrscheinlich in einigen Tagen als „Pesthafen“ erklärt werden würde und allen von dort kommenden Schiffen in Suez die Segnungen einer zwanzigtägigen Quarantaine zu Theil werden sollten. Das Glück wollte, daß in derselben Nacht ein italienisches Postschiff für Genua einlief. Ich packte nun sofort meine Effecten und Tommondo ein, begab mich an Bord und fuhr ab.

Wir sollten, da der Cours durch Bab el Mandeb ging, bald merken, daß wir den „Wärme-Aequator“ passirten, denn das rothe Meer, mein alter Bekannter von meinen arabischen und abessinischen Reisen her, war noch ebenso heißblütig wie früher und machte seinem Namen, den es wohl daher erhalten, weil man darin krebsroth schwitzt, alle Ehre. Durch den Suezcanal in’s Mittelmeer fahrend und an Messina, Napoli und Livorno (das „Leghorn“ der Engländer) haltend, ging es nach Genova, „la superba“. Hatte ich bis jetzt nur freudige Stunden mit Tommondo erlebt, so begannen nun die trüben. Das italienische Bahnpersonal erklärte nämlich das Thierchen für eine „bestia feroce“; ich müßte mir also einen officiellen Schein ausfertigen lassen, und auch dann könnte das Ungethüm nur in einem verschlossenen Viehwagen per Güterzug spedirt werden. Ich ging von Beamten zu Beamten – überall dieselbe Antwort, denn Jeder griff von seinem Regal ein Buch herunter, das Adreßbuch sämmtlicher Einwohner der Arche Noah nebst Stand und Charakter, und zeigte mir auf Seite so und so, daß das Flußpferd zu den reißenden, die öffentliche Sicherheit gefährdenden Bestien gehöre. Schließlich ging ich zum Director und erlangte, wohl nur dadurch, daß ich durchblicken ließ, ich würde die ganze Mordgeschichte von der zahnlosen „bestia feroce“, die mit einer Flasche gefüttert wird, irgend einen italienischen Kladderadatsch übergeben, die endliche Erlaubniß, den Eilzug benutzen zu dürfen. Der das Billet für Tommondo ausfertigende Bahnbeamte kam mit den verschiedenen „Po’s“ nicht recht in’s Klare und machte zwei zu viel. – Armes, verkanntes Thier!

Ueber Verona und den Brennerpaß ging’s der alten Römerstraße entlang. Ich erzählte dort Tommondo von seinen Urvettern, den Elephanten, die der Kanibal Hannibal hier herüber geschafft. Tommondo guckte aus seinem durch warmes Wasser geheizten Kasten aufmerksam hinauf zu den Gletschern – es war das erste Eis, welches er sah. Weiter ging es über Innsbruck nach München. Während für meine Person Bier in Hülle und Fülle vorhanden, dem ich denn auch „nach so vielen Leiden“ tüchtig zusprach, war es desto schwieriger, für mein Amphib hinreichend Wasser zu erlangen; es schien, als wenn durch ein Wunder in Baiern alles Wasser in Bier verwandelt wäre. Aber durch die auch in Europa allgewaltig wirkende Macht des „Bakschisch“ – ich theilte von Genua bis Berlin über siebenzig Thaler Trinkgeld unter das oft wechselnde Bahnpersonal aus – gelang es mir dennoch, auch Tommondo befriedigen zu können.

Den 4. September, nachdem die Reise also einen Monat und drei Tage gedauert, langten wir früh Morgens in Berlin an, und ich beförderte den Kasten, in dem Tommondo gesund und – wie gewöhnlich – hungrig saß, auf einem federnden Karren, dicht verhangen, damit kein Menschenauflauf entstehe, zum zoologischen Garten. Aber das Auge des Neuigkeitskrämers durchdringt den dichtesten Schleier; denn in der Abendnummer einer Berliner Zeitung war zu lesen: „Das Nilpferd ist da!! Heute Morgen langte es auf dem Anhalter Bahnhofe endlich an, von seinem Wärter, einem Aegypter begleitet.“ Punkt!

Tommondo blieb fast einen Monat lang gesund und vergnügt; dann siechte es an einer Leberverhärtung hin und starb.[1]

Jetzt weilt es wohl in den Schattengefilden seiner Ahnen; es wird die Mutter wieder gefunden haben, die es in Schlamm einwiegt und zu köstlichen Reisweide führt.


  1. Berliner Blätter berichten über das Ende des Tommondo Folgendes: So lange das junge Thier am Leben war, war sein Gesundheitszustand schwankend, einmal vortrefflich, das andere Mal sehr bedenklich. Dr. Bodinus reiste nach der Antwerpener Thier-Auction über Amsterdam und hatte dort Gelegenheit, sich über die Größenverhältnisse der jungen Nilpferde zu unterrichten, indem das dortige Nilpferdpaar schon viermal Junge zur Welt brachte, von denen übrigens nur eins am Leben blieb. Danach erschien das hiesige junge Nilpferd für ein angebliches Alter von sechs Monaten auffallend klein. Nimmt man den Befund der Obduction hinzu, der Knoten in Lunge und Leber aufwies, so ist man wohl zu dem Schlusse berechtigt, daß das nunmehr verendete Thier durch innere Krankheit an seiner vollen Entwickelung gehindert und darum so klein war. Obgleich der Gesundheitszustand des Thieres immer wechselnd war, so trat dieser Wechsel doch vor dem Verenden desselben besonders auffällig auf. Am Donnerstag Morgen fand es der Wärter so schwach, daß es kaum gehen konnte; es wurde zuvörderst in sein Bassin von zwanzig Grad Wärme gebracht; hier erholte es sich rasch und als der Wärter es rief, kam es ohne weitere Zeichen von Schwäche heran, nahm mit dem besten Appetite seine Nahrung zu sich und befand sich den ganzen Tag über ganz wohl. Nichtsdestoweniger ließ Dr. Bodinus einen Wächter die Nacht über bei dem Thiere Wache halten. Es schlief, in Decken gehüllt, einen anscheinend behaglichen Schlaf, legte sich gegen dreieinhalb Uhr Morgens auf die Seite und rührte nach einigen Minuten kein Glied mehr. Als der Wächter bei ihm eintrat, war das kleine Tommondo todt.
    D. Red.




Blätter und Blüthen.


Aus den Tagen des letzten Ritters. Es ist wahr, im Mittelalter nahm der Handwerksmann innerhalb der Gesellschaft eine ziemlich tiefstehende Stellung ein. Der fahrende Ritter, der stolze Kaufherr, selbst der zerlumpte Scholar sah mit einer Art Verachtung auf das städtische Pack, das sich nach Knieriemen und Ahle bückte, herab. Doch würden wir sehr irren, wenn wir dieses übrigens nicht durchgehends und allerwärts bestehende Verhältniß auf den Mangel gesunden Ehrgefühls innerhalb der Handwerksschichten selbst zurückführen wollten. Der ehrsame Nürnberger und Augsburger Meister blickte mit Stolz auf sein Handwerk; sein Wort galt in der Gemeinde. Die Zunft, der er angehörte, wachte eifersüchtig auf die Beobachtung der Standesehre, und tausendfältig waren in Uebertretungsfällen die kleinen Mittel, mit denen die Zunft, namentlich in kleineren Städten, die Ehre eines Mannes, dem von Rechtswegen nicht beizukommen war, empfindlich zu schädigen verstand. In Erfurt lebte gegen die Neige des fünfzehnten Jahrhunderts ein Schneiderlein Namens Hans Vischer. In einer bösen Stunde hat sich Hans vielleicht mehr aus Unbedacht als mit bösem Sinne gegen Gesetz und Recht vergangen. Der Richter findet ihn nicht straffällig, aber die Zunft fühlt sich durch seine That an ihrer Ehre gekränkt. Unbarmherzig wird er von ihr verstoßen; die Geheimnisse des Meistersangs und der Tabulatur bleiben ihm fortan verschlossen; Meister und Gesellen spotten seiner und meiden den Armen. In der Werkstätte wird es stille – er ist ein ruinirter Mann.

In dieser schweren Noth hält er flehend seine Hände zu dem höchsten weltlichen Schirmherrn des heiligen römischen Reichs, dem ritterlichen Maximilian, empor, und siehe – der edle Fürst giebt dem schwergekränkten Schneiderherzen den langentbehrten Frieden wieder. Das war ein Tag froher Genugthuung, als er aus den Händen des ehrsamen Raths den pergamentnen Brief des Königs mit dem großen Wachssiegel empfing, welcher Hoch und Niedrig, vom Kurfürsten bis zum letzten Unterthan herab, fortan Schweigen und Vergeben gebietet.

Lesen wir den Brief, der hier genau nach dem Originale mit den


Hierzu die „Allgemeinen Anzeigen zur Gartenlaube“, Verlag von G. L. Daube & Comp.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 701. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_701.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2018)