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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

einfaches Fernrohr auf zwei in nördlicher und südlicher Richtung möglichst weit von einander abstehenden Stationen, deren geographische Breite bekannt ist.

Eine zweite Methode, die der sogenannten Berührungen oder Contacte, welche von dem Franzosen de l’Isle zuerst, um 1750, in Vorschlag gebracht wurde, erfordert statt der nördlichen und südlichen vielmehr zwei östlich und westlich möglichst weit von einander entfernte Orte. Hier kommen nun nicht blos Zeitdifferenzen, sondern absolute Zeiten in Betracht; es werden nämlich die Zeiten des Ein- oder Austritts an verschiedenen Orten für sich verglichen; der beschränkte Raum verbietet aber, hier auf diese Methode weiter einzugehen.

Diese beiden Methoden von Halley und de l’Isle wurden nun zuerst bei den Venusdurchgängen von 1761 und 1769 angewandt, zu deren Beobachtung von den meisten civilisirten Nationen Expeditionen ausgerüstet und in die geeignetsten und von einander entferntesten Gegenden der Erde gesandt worden waren. Encke berechnete aus sämmtlichen Beobachtungen die Sonnenparallaxe zu 8,571″ und die Entfernung der Sonne zu 20,682,000 Meilen, eine Zahl, welche bis vor etwa fünfzehn

Weltkarte.

Jahren als sehr sicher, etwa bis auf 1/200 ihrer Größe, gehalten und allgemein adoptirt wurde. Neuere theoretische Betrachtungen und Beobachtungen, unter Anderen auch die Discussion der Marsopposition 1862, deuteten indessen auf eine etwas größere Parallaxe oder geringere Entfernung hin; aus sämmtlichen astronomischen Daten, aus denen sich überhaupt die Sonnenparallaxe bestimmen ließ, hat der amerikanische Astronom Newcomb neuerdings den Werth 8,85″ oder eine Entfernung von 20,035,000 geographischen Meilen abgeleitet.

Die beiden bevorstehenden Venusdurchgänge von 1874 und 1882 werden nun die Entscheidung bringen, und in Verbindung mit den andern zuverlässigsten Werthen die Entfernung der Sonne wohl bis auf 1/500 ihrer Größe genau ermitteln lassen. Obgleich, für den nächsten Durchgang insbesondere, die Bedingungen keineswegs sehr günstige sind, darf man dennoch nach den großartigen, von allen Seiten getroffenen Vorbereitungen, sowie aus der Anwendung aller in den letzten Jahrzehnten so sehr vervollkommneter und zum Theil ganz neuer astronomischer Beobachtungsmittel, eine erheblich größere Genauigkeit als bei den Durchgängen des vorigen Jahrhunderts erwarten. Es werden nämlich jetzt nicht nur die Zeiten des Ein- und Austritts der Venus beobachtet werden, sondern man wird auch mit Hülfe des Heliometers und andrer feinster Meßapparate die Abstände des Venus- vom Sonnenmittelpunkt, sowie die Ausschnitte des dunkeln Venusscheibchens vom Sonnenrande während des Ein- und Austritts auf das Sorgfältigste messen; ferner sollen auch während des Durchgangs photographische Aufnahmen gemacht und schließlich zur Beobachtung des Ein- und Austritts selbst Spectroskope zu Hülfe gezogen werden.

Die Beobachtungsstationen hat man diesen verschiedenen Methoden gemäß ausgewählt, zum Theil östliche und westliche, zum Theil nördliche und südliche. Auf allen sollen die Zeiten der Ein- und Austritte, beziehentlich beide Momente, wo der ganze Durchgang sichtbar ist, beobachtet, auf vielen die Abstände und Ausschnitte mikrometrisch gemessen, auf vielen wieder photographische Aufnahmen gemacht werden. – Die Vorbereitungen, welche die gelehrte Welt, Akademien und Regierungen, schon seit Jahren getroffen, sind die umfassendsten und sorgfältigsten; von fast allen civilisirten Nationen werden auf das Vollständigste ausgerüstete Expeditionen nach den entlegensten Gegenden der Erde gesandt, und in Sibirien, China, Japan, den Inseln des großen und indischen Oceans, in Australien, dem südlichen und östlichen Afrika, Persien, dem östlichen europäischen Rußland werden am 8. und 9. December hunderte von geübten Augen nach der Sonnenscheibe gerichtet sein, um durch ruhiges nüchternes Zählen und Messen die Daten zu erlangen, die zu der Erkenntniß eines der wichtigsten astronomischen Elemente, der Sonnenentfernung, führen sollen.

In der oben stehenden kleinen Weltkarte sind die verschiedenen Phasen des Durchgangs für die verschiedenen Gegenden der Erde entworfen, sowie die Stationen bezeichnet (durch die betreffenden Anfangsbuchstaben), welche von den einzelnen Nationen besetzt werden. Die Längen sind dabei von Greenwich aus nach Osten gerechnet. Der Verlauf des Phänomens ist kurz der folgende:

Am Abend des 8. December gegen Sonnenuntergang sehen die Bewohner der östlichen Inseln des großen Oceans (z. B. der Sandwich-Inseln, von Tahiti etc.) die Venus als kleines Scheibchen von 1′ Durchmesser am östlichen Sonnenrande eintreten; in der Karte bezeichnet die rechte, östliche Grenzlinie des einfach schraffirten Theils „Eintritt sichtbar“ die Gegenden, wo bei Sonnenuntergang gerade der Eintritt der Venus, die linke westliche Grenzlinie desselben die, wo bei Sonnenuntergang der Austritt stattfindet; die Sandwich-Inseln nehmen danach nur etwa die Hälfte des Durchgangs wahr.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_695.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)