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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

der Sohn die Schule besuchte. An letzterem Orte hatte Emilie den tiefen Schmerz, ihre treffliche Schwester Caroline, Wittwe des sächsischen Bergrathes Junot, welche von Rudolstadt, wo sie einem Erziehungsinstitute vorstand, zu ihr auf Besuch gekommen war, durch den Tod zu verlieren. Hart traf sie ferner das Geschick, als 1865 die Gattin ihres damals erst seit sechs Jahren vermählten Sohnes, Elisabeth, geborene Freiin von Thienen-Adlerflycht, im Wochenbette starb. Aber was das Herz einer Frau vermag, wenn Liebe es kräftigt und hebt und wenn ein klarer Geist und ein starker Wille ihm die Bahnen vorzeichnen, die es zu wandeln hat, das zeigte sich jetzt an der Tochter Schiller’s.

Kaum hatte sie der Mutter ihres Enkels die Augen zugedrückt, so trat sie, die schon alternde, mit jugendlicher Frische und Energie in die nur allzufrüh leer gewordene Mutterstelle ein. Mit aufopfernder Liebe und Treue hat sie die Erziehung ihres Enkels geleitet – bis an ihr Ende. Dieses trat nach fünftägiger Krankheit, einer Lungenentzündung („das ist mein Schiller’scher Husten; den verliere ich nicht wieder,“ hatte die Kranke noch kurz vor ihrem Hinscheiden gemeint), ohne Kampf ein. Die Beisetzung der Leiche fand zwei Tage darauf in der Familiengruft neben dem Sarge der Schwiegertochter statt. Außer dem Gatten und dem Sohne waren, wie berichtet wird, noch der Neffe Friedrich von Schiller (Karl’s Sohn) und zwei Brüdersöhne des Wittwers bei dem Acte zugegen, der in einfacher Feierlichkeit von Statten ging.

Mit Emilie von Gleichen-Rußwurm ist das letzte Kind Schiller’s dahingegangen. Das unmittelbare Blut des großen Mannes wandelt nicht mehr unter uns – aber in zwei Enkeln, dem eben erwähnten Friedrich von Schiller und Emiliens Sohn Ludwig, lebt noch fort, was an ihm sterblich war. Unsterblich aber sind die sich ewig erneuernden Ernten, die aus dem Samen seines geistigen Schaffens aufgehen; denn diesen hat der Fittig der Cultur über alle Welt ausgestreut, und das Tiefste und Zarteste, was wir empfinden, das Schönste und Erhabenste, was wir denken, das Edelste und Mannhafteste, was wir thun – es hängt, oft uns unbewußt, zusammen mit unserm Schiller. In diesem Sinne ist er unser Aller Erzieher und Vater geworden; in diesem Sinne sind wir Alle seine Schüler, seine Söhne.

Daß wir es aber in so vollem Umfange sind, wie heute, dazu hat zu einem nicht geringen Theile die thatkräftige Pietät der edeln Frau beigetragen, welcher diese Zeilen sich widmeten. Und darum soll, wenn wir in Dankbarkeit den Namen Schiller’s nennen, auch derjenige seiner Tochter nicht ungenannt bleiben.

Ernst Ziel.





Der Venusdurchgang vom 8./9. December 1874.
Von Dr. R. Engelmann.


Naturereignisse, von deren wissenschaftlicher Erforschung man weittragende Resultate, die Erkenntniß einer bedeutsamen Wahrheit erwartet, erregen nicht nur den kleinen Kreis der Fachgelehrten; auch wissenschaftliche Körperschaften, Regierungen, ja ganze Nationen nehmen daran einen warmen und thätigen Antheil, und so geziemt es sich auch, dieselben dem weiten Kreise der Gebildeten anzuzeigen, die Fragen und Probleme, um deren Lösung es sich handelt, kurz und in gemeinverständlicher Weise auch dem Nichtgelehrten darzulegen. Ein solches Ereigniß auf astronomischem Gebiete ist der am 8. und 9. December dieses Jahres stattfindende Vorübergang der Venus vor der Sonnenscheibe; und die Frage, welche durch die Beobachtung dieser Erscheinung beantwortet werden soll, ist einfach die: Wie weit ist der Centralkörper unseres Sonnensystems, die Sonne, von dem Planeten, den wir bewohnen, der Erde, entfernt?

Die Entfernung der Sonne von der Erde, oder mit anderen Worten der Halbmesser der Erdbahn, ist das Maß, mit dem wir Alles messen, sobald wir die Erde verlassen; kennen wir diese Entfernung in einem irdischen Maße, also z. B. in Meilen, so kennen wir damit die Entfernung aller übrigen Körper unseres Sonnensystems, ja sogar einiger Fixsterne, ferner die wahre Größe der Planeten und ihrer Trabanten, können endlich die Fragen nach der Lichtgeschwindigkeit u. A. lösen helfen. Aus diesem Grunde hat die Bestimmung der Sonnenentfernung zu allen Zeiten eine wichtige Rolle in der Astronomie gespielt, und die Bemühungen, dieselbe kennen zu lernen, wuchsen nur mit der Erkenntniß ihrer enormen Größe und der Schwierigkeit ihrer Ermittelung.

Die Bestimmung dieser Entfernung hängt auf das Engste zusammen mit der Bestimmung des Winkels, unter welchem, von der Sonne aus gesehen, der Halbmesser der Erde erscheint; kennt man diesen Winkel, so kann man durch einfache trigonometrische Rechnung aus ihm und dem bekannten Erdhalbmesser die unbekannte Entfernung der Sonne von der Erde ermitteln. Dieser Winkel heißt die Parallaxe der Sonne, und man versteht überhaupt unter der Parallaxe eines Gestirns, welches dem Sonnensystem angehört, den Winkel, unter welchem, von ihm aus gesehen, der Halbmesser der Erde erscheint, und drückt diesen Winkel wie jeden andern in Graden (°), Minuten (′) oder Secunden (″) aus (1° = 60′, 1′ = 60″). So spricht man also von der Mond-, der Venus-, der Marsparallaxe als den Winkeln, unter denen von den betreffenden Himmelskörpern aus der Erdhalbmesser erscheint.

Da man es in der Astronomie stets zunächst mit der Bestimmung von Winkeln zu thun hat, ehe man zu linearen Größen gelangt, so ist begreiflich, daß man erst die Parallaxe der Sonne kennen muß, ehe man auf ihre Entfernung in Meilen etc. schließen kann. Ferner ist leicht einzusehen, daß die Entfernung eines Körpers um so größer, je kleiner seine Parallaxe ist, denn je weiter man sich von einem Körper entfernt, desto kleiner, das heißt unter desto kleinerem Winkel, erscheint er.

Schon das griechische Alterthum (Aristarch von Samos) versuchte eine Bestimmung der Entfernung oder Parallaxe der Sonne; die außerordentliche Kleinheit der letztern, sowie die Ungenauigkeit der damaligen Beobachtungen verhinderte indessen eine auch nur annähernde Erkenntniß, und selbst den Bemühungen eines Kepler und Anderer im Beginne der neuen Zeit gelang es nicht, genaue Resultate zu erreichen. Bemerkenswerth und sowohl der Schärfe der astronomischen Beobachtungen, wie der Richtigkeit der Vorstellungen von den Größenverhältnissen des Sonnensystems entsprechend, ist die Thatsache, daß man im Laufe der Jahrhunderte für die Sonnenparallaxe immer kleinere Zahlen (für die Entfernung also umgekehrt immer größere) fand. So nahm das ganze Alterthum und Mittelalter seit Aristarch die Sonnenparallaxe zu 3′, die Entfernung zu einer Million geographische Meilen, an; Kepler (im Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts) nahm 1′, Entfernung drei Millionen Meilen; der Jesuit P. Riccioli (Ende des siebenzehnten Jahrhunderts) 1/2′ oder 30″, Entfernung sechs Millionen Meilen; der Engländer Halley (Ende des siebenzehnten und Anfang des achtzehnten Jahrhunderts) ging auf 121/2″ (Entfernung vierzehn Millionen Meilen) herab; und jetzt endlich wissen wir, daß die Sonnenparallaxe sich von 8.9″ oder die Entfernung von zwanzig Millionen Meilen nur wenig unterscheiden kann.

Bedenkt man, wie klein ein Winkel von 9″ ist – ein gewöhnliches Menschenhaar von 0.2 Millim. Dicke würde erst in mehr als 4 Meter Entfernung unter diesem Winkel erscheinen – so wird man sich über jahrhundertelanges vergebliches Bemühen nicht wundern. – Es fragt sich nun aber: wie kommen wir überhaupt zur Kenntniß dieses Winkels, da wir uns doch nicht auf die Sonne versetzen und die Erde von dort aus beobachten können?

Sehen wir zunächst von der Sonne ab und stellen uns einen Planeten, etwa den Mars, vor, so hat auch dieser natürlich eine Parallaxe, und zwar, wenn er der Sonne gegenüber (in Opposition) steht, also in den bequemen Nachtstunden sichtbar, um Mitternacht im Süden ist, eine etwa doppelt so große wie die Sonne, das heißt er ist dann der Erde etwa zwei Mal näher als die letztere.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_693.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)