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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

hört, macht sie auf die Nacht eine Dalkerei, fallt mit Glanz durch, und ich kann schauen, wie ich zu meinem schönen ausgelegten Geld komme.“

„Aber –“ wollte der Regisseur erwidern.

Der Director aber unterbrach ihn. „Reden Sie mir nichts mehr!“ rief er. „Ich kenne Sie nicht erst seit heute, Herr Schneider! Sie sind ein ganz guter Regisseur, und ich wünsche mir keinen besseren; aber wenn Sie einmal Jemand auf der Muck’ haben, dann kann er Ihnen nichts recht machen, und wenn er auf dem Seil Monferin tanzen thät’, und wenn man Ihnen etwas dagegen sagen will, dann schlagen Sie gleich mit dem Holzschlägel d’rein und möchten Ihre Grobheit für Aufrichtigkeit verkaufen. Sie sind doch zuerst nicht gegen das Mädl gewesen und haben selber gesagt, was Alles von dem Naturwunder zu erwarten ist.“

„Das hab’ ich allerdings,“ sagte der Regisseur. „Aber inzwischen hab’ ich mich von ihrer Talentlosigkeit überzeugt. Es wird nichts aus ihr – dabei bleib’ ich. Sie können’s mir nachsagen – ich heiße Schneider.“

Der Director hatte das Gespräch halblaut im Vordergrunde geführt, während in der Tiefe die Zimmerleute hin- und wiedergingen und der Maler ihnen seine Anordnungen zurief. Im nämlichen Augenblicke aber war Corona, die unbeachtet in der dunklen Coulisse gestanden, hervorgetreten; sie legte dem Regisseur empfindlich ihre Hand auf die Schulter und fragte in lautem und entschiedenem Tone:

„Wie haben Sie g’sagt, daß Sie heißen?“

„Schneider,“ erwiderte der Ueberraschte.

„Dann geben Sie fein Acht, Herr Schneider, daß Sie den Fleck nicht neben das Loch setzen,“ erwiderte das Mädchen, „und warten Sie, bis am Abend die Komödie vorbei ist!“

Damit wandte sie sich und trat in die Coulisse zurück, den Verblüfften seinem Aerger und dem Spottlachen des Directors überlassend. „Da haben Sie’s,“ rief dieser. „Jetzt können Sie den Hieb einstecken. Aber verlegen ist das Mädl nicht – das muß man sagen. Wenn sie Abends auch so in’s Zeug geht, kann’s ihr nicht fehlen.“

Inzwischen war die Aufstellung der Berglandschaft nahezu beendet; die Zimmerleute mit dem Maschinisten schleppten nur noch ein großes Lattengerüste herbei, an dessen Vorderseite ein Hügel mit einer Sennhütte gemalt und festgebohrt war. Mehrere kräftige Männer hatten Mühe, das mächtige Stück zu schleppen.

„Was ist denn wieder für ein neuer Gehülfe dabei?“ sagte der Director, näher tretend. „Wie oft hab’ ich Ihm schon gesagt, Sußbauer, Er soll mir keine Aushülfe nehmen, ohne daß ich darum weiß. Aber Er haust in den Tag hinein und denkt, der Director soll nur blechen.“

„Sind S’ nur still, Herr Director!“ erwiderte der Maschinist halblaut und mit abwinkender Geberde. „Das ist ja ein Freiwilliger; der kostet nichts. Einen Aushelfer hätte ich heute doch haben müssen, da hab’ ich halt den Burschen genommen. Der ist drüben im Sterneggerbräuhaus Knecht und hat einen solchen Narren am Theater gefressen, daß er gar nichts verlangt, wenn er nur manchmal mitmachen darf.“

„Das muß ich sagen,“ rief Carl lachend, „ich bin doch eine gute Weile Theaterdirector, aber das ist mir noch nicht vorgekommen. Wenn es aber so ist, wollen wir dem Zimmermanne nichts in den Weg legen, seine neue Art von Dilettantismus auszubilden …“

Der Aushelfer stand so nahe, daß er das Gespräch wohl hören konnte; er schien aber ganz mit seiner Arbeit beschäftigt. Es war ein kräftiger, wohlgewachsener Bursche mit bartlosem Gesichte und kohlschwarzem Haare, das tief auf Stirn und Nacken hereinhängend ihm einen etwas tölpelhaften und doch verschmitzten Ausdruck gab.

Nun stand die Berglandschaft vollends fertig da; die Lampen waren angezündet und aufgeschraubt, und das Ganze bot das wirklich anziehende und treue Bild einer Berggegend mit Wald und See. Mit dem Bewußtsein des Künstlers nahm der Maler Burnickel die Anerkennung des Directors sowie die Lobsprüche der Schauspieler hin, welche ebenfalls aus den Coulissen hervorgekommen waren, das neue Werk in Augenschein zu nehmen. Aergerlich tönte das Glöcklein vom Tische vorn an der Rampe darein und unterbrach die Huldigung.

„Von der Bühne, meine Herrschaften!“ rief der Regisseur. „Ich beginne die Probe, sonst stehen wir um drei Uhr noch auf dem Theater.“

Schweigend gehorchte Alles dem Rufe. Die Hülfsarbeiter verschwanden. Die augenblicklich nicht beschäftigten Schauspieler zogen sich geräuschlos in die Coulissen zurück, ihrer Auftritte und Stichworte gewärtig. Die Eifrigeren überlasen ihre Rollen. Andere standen in Gruppen beisammen und unterhielten sich über Alles, was in der Welt und in deren Spiegelbild, der Schaubühne, zu geschehen pflegt, in jenem liebenswürdig leichtlebigen Tone, der ein Vorrecht und Eigenthum ihres Standes ist – ist der Schauspieler doch auf den Augenblick angewiesen, wie kein anderer Künstler, und ist es doch erklärlich, wenn er deshalb auch vor Allem darauf ausgeht, den Augenblick auszunützen und jeden für verloren zu halten, der ihm nicht eine Blüthe getragen. Es war eine heitere und feine Versammlung, darunter mancher Träger eines Namens, der damals von gutem Klange war, manch schönes Talent, dem das warme Herz von den höchsten Hoffnungen und Vorsätzen schwoll, und das dann doch mit der Zeit und den Zeitgenossen spurlos dahinging, ohne daß mehr von ihm übrig geblieben als die erlöschende Jugenderinnerung der Greise. Sind einst auch diese dahingegangen, dann ist die Fluth vollends über ihnen zusammengeschlagen, als wären sie nie gewesen. Die Flüchtigkeit ihrer Schöpfungen, die mit dem Schaffen untergehen, ist es wohl auch, was den Persönlichkeiten der Schauspieler nicht selten eine gewisse Erregung und hastige Unruhe aufprägt – Niemand fühlt mehr, als sie, wie kostbar und unwiederbringlich die Minuten sind. Diese Hast zwingt sie, vorwärts zu drängen, und wer vorwärts drängt, wird nur zu leicht veranlaßt, einen Gefährten, den er sich voraus sieht, zu beneiden, ihn zurückzuhalten oder auch, wenn es die Gelegenheit möglich macht, zu verdrängen.

Etwas abseits von der Gesellschaft, der sie nach dem Erfolge des heutigen Abends auch angehören sollte, stand Corona wieder im Dämmerdunkel einer Coulisse unweit des Inspicienten, der, mit dem Scenarium ist der Hand, das richtige Auftreten der Schauspieler zu überwachen, sie auch wohl zu rufen und zugleich Alles auszuführen hatte, was hinter der Scene geschah, wie etwa einen Schuß abzufeuern, eine Glocke zu läuten, Rufen oder sonstiges Getöse auszuführen.

Sie war äußerlich kaum verändert; wie sie sich geweigert, ihre ländliche Tracht abzulegen, ehe Alles fest entschieden sei, war auch ihr Sinn während des halben Jahres, das sie in der Stadt zugebracht, derselbe geblieben – man konnte sie einer versetzten Pflanze vergleichen, die sich noch nicht entschieden hat, ob sie in dem neuen Boden anwurzeln oder lieber verwelken will. Sie war sich selber nicht recht klar, was in ihr vorging; aber so viel stand fest: der trotzige Frohsinn, der sich sonst am Abend mit ihr auf das Heulager gelegt und Morgens mit ihr davon aufgesprungen, war nicht mehr in der alten Frische und Unbefangenheit in ihr. Sie lachte wohl, aber es kam nicht so frei vom Herzen weg wie früher; sie scherzte, aber der Scherz klang oft wie unwillig, nicht selten gar wie gereizt. Es erging ihr wie Jedem, der mit sich selbst nicht zufrieden ist und sich das nicht gestehen will. Wohl hatte es ihr gefallen, als man ihr bei der Ankunft in der Hauptstadt von allen Seiten mit freundlicher Aufmerksamkeit begegnet, als der dicke Pianist sie in seiner Familie aufnahm und sie die Annehmlichkeiten bürgerlicher Häuslichkeit kennen zu lernen begann. Dennoch fand sie sich nicht heimisch; sie kam sich vor wie ein fremder Gast, den man für die kurze Zeit seiner Anwesenheit im Müßiggange nicht behelligt; sie vermißte, was bisher die Grundlage ihres Lebens gewesen, die stete Arbeit, die, wie sie die Zeit ausfüllt, auch das Gleichgewicht erhält zwischen Kopf und Herzen. Der Unterricht im Gesange war nicht geeignet, ihr dieselbe zu ersetzen.


(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_690.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)