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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Kopf gefallen ist, und wie ich mich hab’ wieder aufrichten wollen, ist ein Kürassier vorbeigesprengt und hat mir mit dem Säbel Eine über den Kopf gegeben, daß mir Hören und Seh’n vergangen ist.“ Er schwieg; aber wie lebhaft die Erinnerung in ihm war, zeigte die Narbe, welche dunkelroth glühte. „Wie ich wieder zu mir ’kommen bin,“ fuhr er fort, „bin ich mit vielen anderen Verwundeten auf einem Wagen gelegen und schon weit weggeführt gewesen. Um uns her sind Kosaken geritten; die haben uns in’s Rußland hineintransportirt als Gefangene, und weit und breit, so weit man hat sehen können, ist nichts gewesen als Schnee, und nur manchmal hat das Dach einer Hütten d’runter mit dem Rauchfang herausg’schaut.

Manchmal, wenn’s Einer von uns ausgemacht hat, hat man ihn über den Wagen ’runtergeworfen und liegen lassen, und die Geier sind zehn Schritt hinter uns darauf ’runtergestoßen. Nachher hat man uns noch einen weiten Weg zu Fuß geh’n lassen und mit den Lanzen fortgetrieben, und wer zusammengefallen ist vor Müdigkeit und Hunger, der ist im Schnee gleich gestorben und auch begraben gewesen. Ich hab’s lang’ ausgehalten, daß ich’s heut’ noch nit begreif’ – für den Durst hab’ ich manchmal Schnee in den Mund genommen; das Schrecklichste aber ist der Hunger gewesen, wenn wir oft ein Paar Tage lang nichts Ander’s gekriegt haben als ein Stück hartes Brod. … So sind wir einmal in ein Dorf gekommen, wo ein großes Schloß gestanden ist. Wir sind in den Hof hineingetrieben worden, wie eine Heerde Vieh; nachher ist der Verwalter gekommen – ich seh’ ihn heut’ noch vor mir mit seinem großen schwarzen Bart. – Der hat Mitleid mit uns gehabt und hat Jedem ein Krügel voll warmer Milch geben lassen. …. Schon hab’ ich das Krügel an den Mund gehoben, da ist der Sohn vom Schloßherrn herausgekommen, ein junges Bürsch’l in einem prächtigen Rock, mit Pelz gefüttert und rundum besetzt mit Pelz, und die Reitpeitsche in der Hand, weil er eben hat ausreiten wollen. … Der hat mir lachend das Krügel vom Mund gerissen und hat verlangt, daß ich vor’m Trinken erst niederknieen und mit aufgehobenen Händen d’rum bitten sollt’. In meinem Elend hätt’ ich das vielleicht auch gern gethan; aber ich habe ihn nicht verstanden, weil er russisch gered’t hat. Darüber ist der junge Herr ganz wüthend geworden; ‚Chatshesh sluchat tui ssawaka?‘ – das heißt auf Deutsch: ‚Willst Du gehorchen, Hund?‘ – hat er geschri’en und mich mit der Reitgerte über die Hand gehaut; der Krug mit Milch ist auf den Boden gefallen und das gehoffte Labsal vergeblich im Schnee zerronnen. Da hab’ ich nimmer gewußt, was ich thu; trotz meiner Armseligkeit hab’ ich auf ihn losstürzen wollen – aber ich bin gleich zu Boden gerissen und mit der Knute geschlagen worden, bis ich für todt liegen geblieben bin.“

Corona schauderte.

„Ich hab’ auch das ausgestanden,“ begann Quirin wieder. „Wie ich wieder hab’ gehen können, hab’ ich arbeiten müssen als Bauernknecht, und so sind die Paar Jahr’ vorbeigegangen, bis die Gefangenen ausgewechselt worden sind, und mir ist just nichts abgegangen in Rußland. Der Muschik, der Verwalter, hat zwar gemeint, ich sollt’ ganz bei ihm bleiben, und es wär’ vielleicht nicht mein Unglück gewesen; aber wenn ich auch keinen Menschen, keinen Freund, kein Haus und Hof daheim gewußt hab’ – ich dummer Teufel hab’ doch das Heimweh nicht verwinden können. Ich hab’ mir eingebild’t, es wird doch wer eine Freud’ haben, wenn ich wieder heimkomm’ – aber die Gemeind’ hat nichts mehr von mir wissen wollen und das alte Weibl im Hüthaus ist auch lange gestorben gewesen. … So arbeite ich seitdem so fort und bring’s zu nichts. Ich bin Bauernknecht gewesen und Fuhrmann, und jetzt bin ich Steinhauer im Kreuther Marmorbruch – aber ich hab’ keine Freud’ und kein Leid und weiß eigentlich gar nicht, wegen was ich auf der Welt bin. Da ist mir zunächst in der Nacht einmal eingefallen, wie’s denn wär’, wenn ich auch einmal daran denken thät’, mir ein Heimathl zu schaffen. … Am Hirschberg hab’ ich einen Platz geseh’n, mitten im Walde, mit einem frischen Bach und einem kleinen Angerl, wo eine Schneidsäg’ gar gut stehen thät’. …. Ich hab’ mir ausgerechnet, daß, wenn ich mich drei Jahre als Flößer verdingen thät’, nach Oesterreich und Ungarn hinunter, ich mir so viel erhausen könnt’, das Platzl zu kaufen und mir eine Säg’ und ein Häusl zu bauen und dann ein Weib heirathen zu können. – Aber ich bin ein wilder Kerl. Wenn ich nicht was hab’, was mich dazu zwingt, da ist’s nichts mit dem Hausen und Sparen, da geht das Geld, das ich verdien’, allemal wieder dahin, wie Wasser zwischen den Fingern. Ich muß zuerst wissen, daß mich Eine nimmt; ich muß wissen, für wen ich mich schind’ und haus’ – wie ist’s, Rohnberger Corona, weißt mir keine Heirath? Könntest Dich auf einen schönen Kuppelpelz freuen – weißt mir Keine, die drei Jahre auf mich warten und nachher Säg’müllerin werden möcht’?“

Er hielt inne, der Antwort gewärtig, aber Corona kam nicht dazu, sie zu geben, denn Clarl, die im Stalle vergeblich nach der Sennerin gesucht, stand auf der Schwelle, schlug verwundert die Hände zusammen und rief: „So ist’s recht. Jetzt freut mich mein Leben. Also auf die Weis’ bist Du nit versponnen! Ich hab’ gemeint, Du willst geschwind fertig werden mit dem Burschen da, und jetzt sitzt Ihr nebeneinander, als wenn Ihr Euch schon zwanzig Jahr’ kennen thätet.“

Corona war wie mit Blut übergossen; Quirin lachte vergnügt vor sich hin – aber jede weitere Erörterung ward durch das Erscheinen zweier neuer Gäste unterbrochen, welche auf die Sennhütte zukamen. Es waren der Münchener Pianist (der Perzel heißen soll, wenn er auch anders hieß) und der junge Russe, der schon im Concerte zu Tegensee so besondern Antheil an der Sennerin und an ihrem kunstfertigen Gesange genommen hatte. Erstaunt sahen ihnen die Anwesenden entgegen. Es war kein Wunder, wenn Corona und Clarl die Kommenden, die sie nur einmal flüchtig gesehen, nicht erkannten; Beide sahen jammervoll aus und kamen sehr gelegen, um der Stimmung, die schon unangenehm zu werden drohte, durch ihre Erscheinung wieder eine heitere Wendung zu geben.

Der Städter sowie der Fremdling hatte die Bergfahrt auf eigene Gefahr unternommen und, unkundig des Weges wie der Art solcher Wanderung, mit Mühseligkeiten aller Art zu kämpfen gehabt. Ihr Anzug war dem entsprechend. Dem Russen waren die an solche Zumuthungen nicht gewöhnten feinen Stiefel gesprungen, der feine Rock war vielfach von Gesträuch und Gestein zerfetzt und zerrissen, das durchkrochen oder überstiegen werden mußte; die Form des aus weißem Glanzfilz verfertigten hohen Hutes aber war kaum mehr zu erkennen, seit sein Besitzer beim Ausgleiten auf einer steinigen Berghalde ihn vom Kopfe verloren und unter sich gebracht hatte. Der Pianist sah äußerlich etwas weniger schadhaft aus, war aber dafür innerlich desto mehr erlegt; er war klein und beleibt, während dem jungen Russen seine Schlankheit die körperlichen Mühen minder fühlbar gemacht hatte. Erschöpft sanken Beide auf die Bank, von welcher Quirin, dessen Angelegenheit sie gerade im entscheidenden Augenblicke unterbrachen, sie nicht mit den freundlichsten Blicken betrachtete, während die mitleidige Sennerin eilte, aus der Vorrathskammer Erfrischungen herbeizutragen. Der Clavierspieler war denn auch bald in die Milchschüssel vertieft und schmauste das schwarze Brod mit gleichem Behagen, als wäre es das feinste Backwerk gewesen; auch der Russe, dem diese Kost nicht munden wollte, fand sich in sein Schicksal, als Clarl mit der Kirschgeistflasche angerückt kam und ihm den kräftigen Trank credenzte. Die Erzählung ihrer Mühen und Gefahren wurde mit lachender Theilnahme angehört, und so schroff Corona im Königszelte die Annäherung des Russen von sich gewiesen, konnte sie sich doch des Lachens nicht erwehren, als er in seinem Kauderwelsch erzählte, daß er nur ihretwegen auf den Berg heraufgestiegen, um sich bei ihr wegen seiner Zudringlichkeit zu entschuldigen und sie nicht auf dem Glauben zu lassen, als wüßte ein Russe nicht, was einem schönen Mädchen gegenüber die Sitte erforderte. Ob ihn nicht noch andere Gründe bewogen, ob er sich nicht schmeichelte, den ersten Eindruck verwischen und die vor Zeugen erlittene Niederlage durch einen Sieg in der Bergeinsamkeit wettmachen zu können, ließ er nicht errathen. Corona dachte an nichts Solches; aber der klügeren Clarl entgingen die feurigen Seitenblicke nicht, mit denen er, kaum etwas erfrischt, sich an Gestalt und Antlitz des Mädchens weidete.

Auch Quirin entging das nicht; wenigstens wurde seine Miene stets finsterer, und die Narbe auf seiner Stirn schwoll immer mehr an, gleich einer sich bäumenden Natter; dabei haftete sein Auge immer durchdringender auf dem zutraulichen Russen, als habe er denselben nicht zum ersten Male erblickt. Immer

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