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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 42.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Geschichte vom Spötterl.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Aus den bairischen Bergen. Von Herman Schmid.


(Fortsetzung.)


Clarl ließ den Löffel sinken und sah Corona mit einem Blicke an, in welchem so viel Ernst lag, daß man ihr denselben trotz der Falten ihres immer heiteren Gesichtes gar nicht zugetraut hätte. „Das hat keine G’fahr bei Dir,“ sagte sie dann. „Du bist so viel sauber, daß schon noch ein Anderer kommt, als ein solcher Steinklopfer, der nix ist und nix hat, und mit dem Du Dich nur in die Noth hinein setzen thät’st. Wenn’s aber so wär’ und wenn’s Dir bestimmt wär’, auch unter das alte Eisen zu kommen, dann wirst Dich halt auch d’reingeben müssen. Es ist nit so schwer, als Du meinst, und wenn man nur will, kann man Alles überwinden.“

Sie hielt inne und sah vor sich hin; ihren Gedanken drängten sich die Gestalten vergangener Zeiten in den Weg. Auch Corona verstummte und sann; sie mochte die Richtigkeit des Gesagten überlegen, als der Spötter im Käfig zu singen anhob, gleich einem Finken schmetternd, als wolle er nichts wissen von der trübseligen Lebensweisheit der Alten.

„Schrei’ nur, dummer Vogel!“ sagte diese. „Deswegen wird’s doch nit anders. Du kannst leicht lustig sein; Dir stellt man alle Tag’ das gefüllte Nürscherl in’s Haus. Aber so müssen’s die Leut’ auch machen. Zuerst muß man schauen, daß man zu leben hat, und lang’ darnach erst, wie und mit wem man leben will. Es haben sich schon gar Manche zusammengefunden, die im Anfange Hott und Wist gezogen haben; wenn sich aber Zwei miteinander in’s leere Nest setzen, kriecht gar oft aus dem ersten Ei die Noth mit aus; die zankt und streit’t, und was zuerst g’wesen ist, als wenn’s zusamm’g’schmied’t wär’, das bringt und frißt der Unfrieden aus einander, wie der Rost das Eisen.“

„Du bist ein trauriger Vogel,“ sagte Corona mit schwachem Lächeln. „Wenn’s Dir nachging’, dann müßt’ man beim Heirathen an Alles eher denken, als an die Lieb’. Ich hab’ aber g’hört, daß die das Erst’ und Nothwendigst’ ist. Ich hab’s an mir selber noch nit erfahren, wie’s damit ist, und Dir wird’s auch so ’gangen sein, und d’rum willst jetzt, weil Du alt bist, nix mehr wissen davon und red’st daher wie der Blinde von der Farb’.“

Das Gesicht der Alten war noch ernster geworden. „Es wird bald Zeit, daß wir zum Butterausrühren herrichten,“ sagte sie. „Aber wenn Du’s hören willst, will ich Dir erzählen, wie’s mir ’gangen ist, als ich in Deinen Schuhen g’standen bin – kannst nachher selber unterscheiden, ob ich die Blind’ bin oder Farben auseinanderkenn’! … Ich bin ein arm’s Dirndl g’wesen,“ begann sie nach einigem Besinnen, „wie Du, grad so lebfrisch und schneidig wie Du, und gar Mancher hätt’ vielleicht einen weiten Weg nit gescheut, wenn er gewußt hätt’, daß ich ihm Gehör geben thät; ich aber hab gemeint, die ganze Welt gehört ohnedem mein; was brauch’ ich mich um die Mannsleut’ zu kümmern! Hat aber nit lang’ angehalten, der Hochmuth, und wie ich meinen Balthes gesehen hab’, da ist’s mit ein’ Mal gewesen wie umgewend’t – ich hab’ keinen andern Gedanken mehr gehabt als den Buben, und wenn er zu mir g’sagt hätt’: ‚Geh’, Clarl, geh’n wir auf und davon und in die Welt!‘ ich hätt’ mich keinen Augenblick besonnen und wär’ mit’gangen. … Das hat’s aber bei ihm nit nothwendig gehabt; er ist ein reicher Bauernsohn gewesen über’m See und der Einzige noch dazu und hat gesagt, er hat schon genug, er braucht kein reiches, aber ein richtiges Weib, das ihm hausen und erhalten hilft. So haben wir gemeint, könnt es uns nit fehlen, und die ganze Welt ist grün gewesen und rosenroth, wie wenn im Lanks (Lenz) die Aepfelbäum’ blüh’n. Es hat aber doch g’fehlt – an seiner Mutter hat’s g’fehlt. Die hat ihm eine Andere vermeint und hat gesagt, sie thät’ niemals nit leiden, daß eine arme Dirn’ in ihren schönen Hof einheirath’t; das soll er sich nur aus’m Sinn schlagen, so lang sie ein offenes Aug’ hat, und auch nachher, weil sie dann im Grab’ keine Ruh’ hätt’ und nix mehr von ihm wissen wollt’ in der Ewigkeit. Da ist’s wohl ein Bissel grau ’worden um uns her, wie wenn sich der Himmel zum Regnen einricht’t auf ein paar Wochen. Es hat auch geregn’t genug, daß man’s gar nit glauben sollt’, daß aus ein paar Augen so viel Wasser kommen könnt’. Eine Weil’ haben wir’s probirt, ob wir’s nit doch durchsetzen. – Dann hat sich aber der Pfarrer dreingemischt und hat ihm vorgestellt, was er seiner Mutter schuldig wär’, und bei mir haben s’ gedacht, daß mir’s nur um die reiche Heirath zu thun wär’, und haben mich hart gered’t und heruntergesetzt, als wenn ich ihn nur desweg’n nit losließ. … Da haben wir uns zusammengered’t, daß es aus sein sollt’ mit uns Zwei auf der Welt und daß wir nix mehr von einander wissen und einander vergessen wollten – wenn’s möglich wär’.“

Die Erzählerin schwieg einen Augenblick, um aufzuathmen. Corona saß regungslos und mit gesenktem Blicke; der Vogel aber flötete in langgezogenen Tönen, wie das Amselmännchen sie hören läßt, wenn es Abends dem Weibchen vorsingt, das brütend im Neste sitzt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_671.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)