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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Angespornt von Sehnsuchtsgefühlen folgten die befiederten Gäste ihrem Wandertriebe und zogen nach wirthlicheren Regionen. Lummen und Alken putzten sich auf ihren alten Nistplätzen nochmals das weiche Fiederkleid und eröffneten den Zug. Ihnen schloß sich lärmend das Heer der Gänse an, nach den Geschlechtern in dichte, die Luft verfinsternde Schaaren geordnet. Der Sturmvogel umkreist nochmals die Klippe, auf der er das Licht der Welt erblickt, und nimmt dann kreischend Abschied. Das sanfte Gezwitscher des Schneefinken ist längst verstummt, und wenn sich die wenigen offenen Stellen des Meeres gleichfalls mit einer Eiskruste überziehen, dann hält es selbst die genügsame Möve nicht länger aus; auch sie zieht südwärts.

Dem Beispiele der Vögel folgen die Vierfüßer. Nur selten noch hört man das heisere Bellen einzelner Polarfüchse oder das wilde Schnauben und Blöken des Walrosses. Rennthiere sowie Moschusochsen sind entflohen, und der Eisbär hat die nahen Felsenhöhlen aufgesucht, um in todesähnlichem Schlummer die Zeit der Finsterniß zu überleben. Der Mensch allein ist geblieben; er will es versuchen, den Unbilden des Winters Trotz zu bieten.

Und ein harter, freudenleerer Winter war es, den wir durchlebten, in einem elenden, von einer rußenden Thranlampe schwach beleuchteten Gemache zusammengepfercht, an dessen Decke sich große Eiszapfen bildeten, von welchen beständig Wasser herabtroff, sobald bei Windstille die Temperatur im Innern der Hütte etwas höher stieg als gewöhnlich. Am 2. März sahen wir zum ersten Male die Sonne wieder, deren Anblick wir hundertfünfunddreißig Tage hatten entbehren müssen. Lauter Jubelruf begrüßte das Erscheinen der Himmelskönigin, als sie sich langsam, fast zaghaft, über die nahen Gebirgsrücken erhob, zuerst ein kleines Kreissegment darstellend, dann aber bis zum stattlichen Halbkreis wachsend, bis wir schließlich die ganze Scheibe zu Gesicht bekamen, deren unterer Rand auf einer anmuthig beleuchteten Stratuswolke ruhte. Beinahe fremdartig erschien es, die alte Freundin wiederzusehen, deren Strahlen sich allmählich über die öde weiße Landschaft stahlen, das Dach unserer Hütte vergoldeten und ihr Licht durch das mittlerweile angebrachte kleine Fensterchen in unser Zimmer sandten. Aber nicht lange dauerte der Genuß. Rastlos ihre Bahn verfolgend, nahm sie schon nach wenigen Minuten wieder Abschied von uns, um andere Stellen in Licht und Schatten spielen zu lassen.

Obschon es noch grimmig kalt und das Quecksilber oft noch tagelang gefroren war, begann der energische Steuermann, ohne dessen Hülfe es schlecht um uns bestellt gewesen wäre, dennoch das Zimmern der Boote. Es wurden Jagdpartieen ausgeschickt, die den Tisch mit Wild versorgten, und das Leben nahm eine etwas freundlichere Färbung an. Mitte April fand ein erneuter Versuch zu Schlitten statt, um womöglich eine höhere Breite zu erreichen, als das Jahr zuvor, aber derselbe scheiterte an der Ungunst der Verhältnisse.

Als es nach und nach etwas wärmer wurde und sich auf den dunkeln Felsen der Umgebung kleine Rinnsale zu bilden begannen, so daß wir nicht mehr nöthig hatten, Eis zu schmelzen, um Trinkwasser zu erhalten, waren unsere Boote nahezu fertig. Um dieselben völlig in Stand zu setzen, mußte die Hütte theilweise abgebrochen werden, da es an Holz fehlte. Willig gaben wir die Bretter unserer Kojen hin, um Böden für die Fahrzeuge zu liefern, denn eine süße Stimme flüsterte: Es geht der Heimath zu. Am 3. Juni sagten wir dem öden Felsgestade Lebewohl und stachen auf unseren gebrechlichen Kähnen in See. Nach Mißgeschicken aller Art wurden wir drei Wochen später von einem wohlwollenden Walfischfänger aufgenommen, der uns Ende September in Schottland landete – und diese in ihrer Art denkwürdige Reise gehörte dem Reiche der Erinnerung an.




Amerikanische Gladiatoren.


Ein Beitrag zur Humanität des neunzehnten Jahrhunderts.


Es giebt im amerikanischen National-Charakter manche Punkte, die für den eingewanderten Deutschen geradezu unbegreiflich sind und die dennoch einen großen Theil des acclimatisirten Deutschthums ebenso beherrschen wie den Anglo-Amerikaner; denn wir haben es nicht selten erlebt, daß Deutsche nach ihrer Ankunft in diesem Lande diese oder jene amerikanische Sitte oder Gewohnheit mit Verachtung betrachteten und in Zeit von wenigen Jahren selbst große Bewunderer und Vertreter des früher von ihnen geschmähten Unfugs wurden.

Einer dieser tadelnswerthen Züge des amerikanischen Lebens ist das Wohlgefallen an grausamen Spielen und Kämpfen. Was jedoch unter diesen rohen Vergnügungen den Menschen am meisten entwürdigt, ist unzweifelhaft der „Faustkampf um’s Geld“.

Deutsch-Amerikaner, die dem Faustkampfe Gefallen abgewonnen haben, pflegen denselben gern mit dem Fechten und Duelliren deutscher Studenten zu vergleichen und Beides auf denselben Culturgrad zu stellen. Ein guter Deutscher aber muß sich gegen eine derartige Anschauung verwahren. Sind die Paukereien deutscher Studenten zwar auch roh und nicht mehr zeitgemäß, so haben sie doch den Vortheil, daß durch sie die akademische Jugend waffenkundig wird – eine Fähigkeit, die, wenn es Noth thut, dem Vaterlande zu Gute kommt. Ueberdies kennzeichnen diese Paukereien nur den Uebermuth einer genialen Jugend und bekunden ein Streben nach Ritterlichkeit, während sich der Faustkämpfer hier zu Lande seiner barbarischen Kunst ausschließlich zur Fristung eines nutzlosen Lebens bedient.

Bewacht von einer oft nach Tausenden zählenden Menge von Zuschauern, unter denen alle Classen der männlichen, aber nur eine der weiblichen Gesellschaft vertreten, stehen sich die beiden Faustkämpfer blutdürstig gegenüber. Mit gespannter Aufmerksamkeit ruht jedes Auge auf den Fäusten der zwei menschlichen Bestien, die sich mit Tigerblicken beliebäugeln und nur auf den Augenblick warten, wo Einer sich anschickt, dem Andern den Unterkiefer zu zerschlagen oder ihm den Augapfel in’s Gehirn zu treiben. Mit scheußlichem Geschrei begrüßt die Menge jeden Hieb und ungeheure Summen Geldes werden auf den Ausgang des Kampfes gewettet. Jeder Fetzen Fleisch, der von den Gesichtern der Kämpfer herabhängt, erzeugt ein Jubelgeheul oder auch ein Grunzen und Murren, je nachdem das Publicum für den Kämpfer Partei genommen hat.

„Aber,“ wird mancher Leser fragen, „giebt es denn kein Gesetz, das diese Rohheit verbietet?“ Natürlich! In Amerika giebt es bekanntlich gegen alle socialen Uebel unzählige Gesetze, aber leider sind die meisten für die Ausführung ganz unpraktisch, oder das Uebel erfreut sich der nationalen Sympathie, und in diesem Falle ist die Bestrafung der Missethäter beinahe unmöglich, und daß das Letztere auf den Faustkampf Anwendung findet, beweist deutlich das Verhalten der respectabeln amerikanischen Presse.

Der vor Kurzem im Staate West-Virginien stattgehabte Preiskampf zwischen Billy Edwards und Sam Collier veranlaßt mich, den Lesern der Gartenlaube dieses nationale Vergnügen zu beschreiben und ihnen zu veranschaulichen, wie überhaupt eine solche Paukerei in Scene gesetzt wird.

Zuvor aber noch ein Wort über die Ausbildung und das Verhalten dieser Gladiatoren.

Alle Faustkämpfer werden in zwei Classen getheilt, in reguläre Boxer und in Boxer des leichten Gewichts. Zu den letzteren zählen alle, deren körperliche Schwere nicht über hundertvierzig Pfund beträgt, während das Gewicht der regulären Boxer über diese Zahl hinausgeht.

Ehe ein Faustkämpfer öffentlich in die Schranken tritt, muß er einen regulären Cursus in der Fechtkunst durchmachen, und die alten Veteranen der faustkämpferischen Brüderschaft übernehmen es gerne, einem vielversprechenden Talente unentgeltlich seine Ausbildung zu Theil werden zu lassen. Wenn ein Kampf stattfinden soll, bei dem sich das Preisgeld manchmal auf Tausende von Dollars beläuft, müssen sich selbst alte erprobte Kämpfer noch einer zwei- bis dreimonatlichen Vorbereitungszeit unterziehen. Während dieser Zeit hat sich der Boxer genau nach den folgenden Regeln zu richten. Um sechs Uhr Morgens muß er aufstehn und ein Kleibad nehmen. Nachdem der Körper mit groben Handtüchern gut abgerieben, macht er einen Spaziergang von anderthalb Meilen. Dann folgen Ruhe und Frühstück. Das letztere besteht aus bestem Beefsteak, rohem oder leicht angebratenem, aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_668.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)