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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

eine Urgroßmutter. Das Verhältniß der verheiratheten Kinder zu ihren Eltern ist zuweilen kein sehr herzliches, aus folgenden Ursachen: Je reicher die Bauernjugend, desto früher tritt sie in die Ehe. Der Gebrauch will es, daß der Sohn vor der Tochter den Hof erhält. Er heirathet ein Mädchen, das wenigstens ebenso viel Güter besitzt, wie er selber einst erhält. Vor der Schließung der Ehe wird dem zukünftigen Ehepaare Haus und Hof mit „Schiff und Geschirr“ gegen eine mäßige Anschlagssumme zum Eigenthume übergeben. Die Eltern behalten sich nur ihre lebenslänglichen Rechte im Hause, Hof, Scheune, Stallung und Garten vor. Diese Anschlagssumme müssen die jungen Eheleute entweder den andern Kindern des Hauses, oder, sind sonst keine Kinder mehr vorhanden, den Eltern bezahlen, die im letztern Falle die Summe auf dem Hause stehen lassen und nur die Bezahlung des Geldes verlangen, wenn sie es brauchen. Dabei essen die jungen Eheleute, je nach der Uebereinkunft, mehrere Jahre umsonst mit ihren Eltern an deren Tische. Dies geschieht in der Absicht, daß die jungen Leute vorwärts kommen und sich für den Erlös ihres verkauften Viehes und ihrer Ernte Güter kaufen können.

Das wäre Alles ganz gut. Sind aber noch Geschwister des im Hause verheiratheten Bruders oder der Schwester vorhanden, so hört das „Hausen“, das heißt die unentgeltliche Lieferung der Kost von Seiten der Eltern an das junge Ehepaar im Hause eher auf, besonders wenn sie verheirathet sind. Dies ist der erste Anlaß zur Unzufriedenheit. Denn wenn die Eltern das Hausen aufgeben, so müssen die Jungen es anfangen, und da mögen nun die Eltern bei den jungen Leuten oder für sich hausen, immer entsteht Unzufriedenheit darüber, und ganz besonders suchen die liebreichen Kinder für die den Eltern zu liefernde Kost mehr Güter zu erpressen.

Das ist die Ursache, warum in sonst ganz ehrbaren Familien Zwistigkeiten ausbrechen. Die Eltern sind aber oft selbst schuld daran, wenn ihre Kinder allzu begehrlich sind. Sie haben selbst nicht anders gegen ihre eigenen Erzeuger gehandelt. Und da sie den Geist der Habsucht in ihren Kindern dadurch angefacht haben, daß sie dieselben antrieben, über deren Kräfte Güter zu kaufen, so suchen die jungen Eheleute sich dadurch zu entschädigen, daß sie übertriebene Forderungen an ihre Eltern stellen und sie nach und nach ganz ausziehen. Die Eltern, um den Frieden zu haben, geben meistens nach.

Viele Fälle kommen vor, daß, wenn die alten Eltern arbeitsunfähig sind, die Achtung der Kinder in dem Maße abnimmt, als sie weniger leisten können. Die Rolle der Großmutter im Hause beschränkt sich nach und nach darauf, Kindeswärterinnenstelle zu leisten und das Vieh zu füttern. Wenn sie aber gar nichts mehr leisten können, dann wehe ihnen! Sie sind übrig überall. Sie, die einstigen Gebieter ihres Hauses und Vermögens, ertragen aber auch das Loos, das sie einst vielleicht ihren eigenen Eltern bereitet haben, mit einer seltenen Ergebung. Diese Thatsache ist häufig genug, daß sie der Erwähnung verdient; sie ist aber weniger der Maßstab, den wir an die Sittlichkeit des elsässischen Bauernstandes legen dürfen, als das Ergebniß der mangelhaft geregelten Verhältnisse zwischen in einer „Hofraith“ wohnenden Eltern und verheiratheten Kindern.

Der elsässische Bauer ist äußerst sparsam, aber das nimmt man nicht wahr bei außerordentlichen Gelegenheiten, wie bei „Leichenimbsen“, Kindtaufessen, „Meßti’s“ oder Kirchweihen und Hochzeiten. Wie viel auch von wohlgesinnten Männern, die dem Volke näher stehen, gegen die Schmäuse bei Beerdigungen geeifert worden, – sie bestehen fast noch überall in den Dörfern. Es wird auch redlich, nach der Sitte der Ahnen, geschmaust und gezecht, und nach der eigenen Aussage der Hinterbliebenen geschieht das, um den Abgeschiedenen zu ehren. „Das wäre eine Schande,“ sagen die Leidtragenden, „wenn wir das Opfer nicht zu Ehren des Entschlafenen brächten.“ Denn auch die ärmeren Dorfbewohner thun das ihren Verstorbenen gegenüber.

Die Kindtauffschmäuse werden noch glänzender gehalten. Das hat auch seine Bewandtniß. Bevor das Tauffest gehalten wird, bringen die Taufpaten der Kindbetterin allerlei mehr oder weniger kostspielige Leckereien und Geschenke. Darum werden dieselben mit der ganzen Verwandtschaft einen oder zwei Tage anständig bewirthet durch allerlei Fleischspeisen, Gebackenes, Kuchen, Pasteten und Torten. Und die Mittelleute geben meistens den Reicheren in der Zahl der Gerichte und ihrer Zubereitung, so wie in der Menge des Weines nichts nach.

Aber ein wahrer Luxus in Kleidern, Speisen, Gebackenem aller Art, sowie in Wein, der, wenn der Herbst gut gerathen, in Strömen fließt, wird bei den Hochzeiten getrieben. Doch, ehe die Hochzeit gehalten wird, muß der „Handstreich“, d. h. der Ehecontract, abgethan sein, wo der Notar die Hauptrolle spielt. Nachdem die beiden Familienväter eins geworden, was sie ihren Kindern in die Ehe geben – eine kitzlige Verhandlung, die, bei der Zähigkeit der einen Partei, manchmal durch einen förmlichen Bruch endet – werden die Mitgift und sonstige besondere Bedingungen in dem Ehepacte zu Papier gebracht.

Hier ist es Sitte, daß, wenn es an der Braut ist, den Contract zu unterzeichnen, dieselbe ihre Unterschrift verweigert und entläuft. Der Hochzeiter aber weiß schon, was er zu thun hat. Er eilt dem Mädchen nach, und durch eine gewisse Summe Geldes macht er es willig zu unterschreiben. Ein ansehnlicher Schmauß, dem die näheren Verwandten, auch zuweilen der Pfarrer, beiwohnen, schließt diese Einleitungen des Hochzeitfestes.

Holt sich der Bursche eine Frau aus einem benachbarten Orte, so verfügen sich die jungen Leute dieses Dorfes in das Haus, wo der „Handstreich“ stattfindet, und überreichen dem fremden Hochzeiter einen mit flitternden seidenen Bändern gezierten Strauß. Der Bräutigam versteht den sinnigen Wink in Form eines Geschenkes. Es ist das Mädchen des Dorfes, das sie ihm, dem Fremden, durch die Gabe des Straußes überlassen, indem sie ihm Glück zu der Maid wünschen. Wehe dem Bräutigam, wenn er den Sinn der Gabe nicht versteht! Aber er kennt die Dorfgebräuche und drückt, zum Zeichen, daß er ihr Recht, die Gespielin zurückzuhalten ober freizulassen, einigermaßen anerkennt, Einem unter ihnen zwanzig bis vierzig Franken je nach seinem Vermögensgrade in die Hand. Dann trinkt er ihnen aus einer Flasche Wein, die sie mitgebracht, Versöhnung und Bruderschaft zu. Die jungen Burschen gehen, nachdem sie auch den Wein des Brauthauses hatten versuchen müssen, zusammen und verbringen zechend und singend einen lustigen Abend mit der Loskaufsumme des Hochzeiters.

Soll die Hochzeit bald vor sich gehen – und gewöhnlich dauert die Zeit des Brautstandes nicht lange – so beginnen die Vorbereitungen dazu. Ein junger Ochse, Kälber, Schweine, Federvieh werden dazu in Mästung gethan. Die Hochzeitkleider des Bräutigams werden verfertigt, sowie diejenigen der Braut, deren Garderobe außerdem noch so sehr vervollständigt wird, daß sie mit den zwanzig bis vierzig rothen, blauen und grünen Röcken, die sie erhält, meistens für ihr ganzes Leben versorgt ist.

Der Bräutigam wählt unter seinen Cameraden den Brautführer, die Braut ihre zwei Braut- oder Traujungfern. Der Erstere beginnt mit dem Brautführer vierzehn oder acht Tage vor der Hochzeit die Gäste zum Feste zu laden. Die auswärtigen Verwandten und Freunde werden zu Pferde geladen. Die beiden Hochzeitslader haben neue blaue Mäntel an. Ihr dreieckiger Hut wird von der Braut mit Bändern, Rosmarin und künstlichen Blumen geschmückt. Die Reitpeitsche und der Zaum der Pferde sind mit bunten Bändern geziert. Vor jedem Hause einer Familie, die eingeladen wird, ertönt ein Pistolenschuß. Feierlich, und wie betend, wird vor der vollständig versammelten Familie durch den Brautführer mit vorgehaltenem Hute und gefalteten Händen in Reimen die Einladungsformel hergesagt. Dann wird der Hochzeiter mit seinem Cameraden bewirthet.

Zu Fuß laden die Letzteren die Gäste im Heimathsdorfe selber. Sie müssen gute Magen haben, um der in allen Häusern angebotenen Bewirthung Ehre anzuthun. Nichts genießen, hieße geradezu die Freunde nur zum Schein einladen.

Eine große Hochzeit wird nur am Dienstage gehalten. Kommt die Braut von einem andern Dorfe, so wird der aus verschiedenen mit Hausrath versehenen Hochzeitswägen bestehende Zug im zukünftigen Heimathsorte mehrmals durch über den Weg gespannte Ketten oder Seile aufgehalten. Der Brautführer muß der vorn zwischen den Brautjungfern sitzenden Braut durch ein Geldstück freien Paß verschaffen.

Ist die Braut aus dem Orte selbst, so muß sie am Vorabende der Hochzeit mit den Traujungfern und dem Brautführer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_660.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)