Seite:Die Gartenlaube (1874) 658.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

die ihre hellen Noten auf das Rauschen des Wassers und die noch dunkleren Töne des sausenden Waldes setzten. Wie verirrt klang hier und da eine der Glocken am Halse der weidenden Rinder darein, welche die Nacht über unter dem Sternenhimmel gelagert waren, und jetzt in immer engeren Kreisen der Hütte nahten, in der sie bald Aufnahme finden sollten. Langsam, mit ausgebreiteten Schwingen und lautlos wie ein königlicher Bote, dessen bloßes Erscheinen seine Botschaft verkündet, schwebte ein Adler über den Berg herein, und hinter ihm schlug die Lohe des Sonnenfunkens empor.

Beinahe gleichzeitig öffnete sich die Thür der Almhütte zunächst des Abhangs, von deren Schwelle sich durch eine Lücke in den Tannenwipfeln eine weite Aussicht öffnete auf das weit tagende Flachland und die darin aufblitzenden Wasserbänder. Die Sennerin trat unter die Thür. Sie athmete hoch auf und sog die frische, von Wald und Wiese durchwürzte Morgenluft in tiefen Zügen ein, dann blickte sie auf der Almweide umher und schaute in’s Land hinaus; aber kein frischer Juhschrei, wie sie sonst gepflegt, grüßte die erwachende. Welt, um den Gegengruß der Berge und Nachbarhütten zu wecken. Wie mit einem Ausdrucke der Besorgniß ließ sie ihr Auge wiederholt in der Umgebung herumgleiten, und erst als sie in derselben nichts als die gewohnten Gegenstände gewahr geworden, zeigte ein zweiter tiefer Athemzug die erleichterte Brust; jetzt erst, als gleichzeitig die benachbarte Sennerin ihr hutschwenkend zujauchzte, blieb sie die Antwort nicht schuldig. „Es ist nichts da,“ sagte sie vor sich hin. „Er wird’s eben doch einmal genug kriegen, wenn er sieht, daß ich mich nicht drum kümmere.“ Dabei streifte ihr Blick ein Felsstück, das, in nur geringer Entfernung von der Hütte liegend, aus dem Graswuchse mächtig emporragte und auf seiner Platte zwei große halb vertrocknete Sträuße von Almenblumen trug, hoch genug, daß die weidenden Thiere die Blumen nicht erreichen konnten, entfernt genug, um zu zeigen, daß die Bewohnerin der Sennhütte von denselben nichts wissen wollte.

Eben wollte sie in ihre Hütte zurücktreten, als ihre Genossin auf der Schwelle erschien. Die Sennerei war zu groß, die Heerde zu zahlreich, als daß Corona allein vermocht hätte, Wirthschaft und Käserei zu bewältigen; die Alte war ihr daher als Gehülfin beigegeben und hatte dagegen das Geschäft über sich, von Zeit zu Zeit die entstandenen Vorräthe abzutragen und, was etwa an Lebensmitteln oder anderen Bedürfnissen mangelte, zu ergänzen. Eben hatte sie einen stattlichen Weitling mit Milch auf den Herdrand der Hütte gesetzt und stand nun, beide Arme in die Hüften gestemmt, mit lautem Lachen unter der Thür, daß Corona sich verwundert nach ihr umwendete, alsbald aber die gleiche Stellung einnahm und ihr mit gleichem lautem Lachen gegenüberstand.

„Was ist’s nachher?“ rief sie. „Hast schon ist aller Früh’ zu tief in’s Enzianflaschl hineing’schaut, daß Du so kuderst (lachst)? Oder ist Dir das Radl noch laufend ’worden in Deinen alten Tagen?“

„Wär’ kein Wunder,“ sagte Clarl, indem sie sich die thränenden Augen wischte. „Was kann man denn thun, als lachen, wenn man solche Narretheien sieht? Ja, hab’ ich in dem Stübl den Fensterladen anmachen wollen und hätt’ bei einem Haar das Vogelhäusl ’nunterg’worfen.“

„Vogelhäusl?“ sagte Corona stutzig. „Jetzt glaub’ ich bald, daß Du im Ernst überg’schnappt bist. – Wo soll denn ein Vogelhäusl herkommen?“

„Ja, das weiß ich nit,“ erwiderte Clarl, noch immer lachend. „Es wird’s wohl derselbige wüste Ding gebracht haben, von dem die Buschen dort sind. So viel ist einmal g’wiß, daß an dem Fensterladen ein kleines Schlaghäusl mit einem Vogel hängt. Schau’ nur selber! Ich hab’ gemeint, Du müßtest es schon geseh’n haben, wie Du aufgestanden bist.“

Corona war um die Hütte herumgeeilt und stand vor dem kleinen Käfige, in welchem ein Spötter, munter und scheinbar mit seiner Haft ganz ausgesöhnt, hin und wieder hüpfte. Sie sprach nicht; aber mit rascher Bewegung hatte sie den Käfig herabgehoben und schritt der Hüttenthür zu, während eine starke Röthe ihr über Nacken und Angesicht flog.

Verwundert folgte die Alte. „Was thust denn?“ fragte sie. „Wirst den Vogel doch nicht auch auf den Felsen hinausstellen? Da müßt’ er ja verhungern und verkommen. – Mach’ lieber das Thürl auf und laß ihn fliegen!“

„Ich weiß selber nit, was ich thun soll,“ erwiderte Corona, indem sie den Käfig in die Hütte trug und bei Seite stellte, sich selbst aber eilig an den Tisch setzte, als wäre es ihr sehr darum zu thun, das Frühstück zu beginnen.

Die Alte brachte den Brodlaib, legte die Blechlöffel daneben und fing an, Schnitten in die Milch zu schneiden. „Du gefallst mir schon,“ sagte sie; „wie Du den Vogel siehst, wirst roth über und über, und jetzt mußt Dich erst noch besinnen, was Du mit dem Vogel thun sollst – das heißt, wenn man’s recht auslegt: Du mußt Dich besinnen, bis Dir eine Ausred’ einfallt, daß Du ihn behalten kannst.“

„Was Dir nit Alles einfallt,“ entgegnete Corona, aus der Schüssel schöpfend. „Es ist wohl kein Wunder, wenn man roth wird – vor Zorn. Muß ich mich denn nit ärgern, wenn man mir meinen Spitznamen aufmutzt und mir ein Spötterl vor’s Fenster hängt? Wenn ich mir nur einbilden könnt’, was er will, der zuwid’re Mensch.“

„Thu’ mir den einzigen G’fallen,“ rief Clarl, „und stell’ Dich nit gar so an, als wenn Du nit Fünfe zählen könntest! Was wird er wollen? Mit Dir anbandeln will er, eine Bekanntschaft mit Dir anfangen! Schon neulich, wie er auf Dich so herübergeschaut hat, hab’ ich ihm das an der Nas’n angeseh’n. Seitdem sind noch nit acht Tag’ vergangen, und während der Zeit hat er Dir schon dreimal in der Nacht einen Buschel frische Almrosen ’bracht. …“

„Ich hab’ sie aber allemal wegg’legt,“ sagte Corona rasch. „Da wird er wohl wissen, wie viel’s geschlagen hat. …“

„Ja wohl, er wird aber auch wissen, daß kein Baum auf ’n ersten Hieb fallt; drum laßt er nit aus. Das Nest vom Spötterl hat er einmal ausgefunden, und es soll mich gar nit wundern, wenn er über kurz oder lang selber kommt und klopft an, wie er’s gesagt hat.“

„Soll nur kommen und soll’s probir’n; dann kann er erleben, daß es geht, wie ich gesagt hab’, und kann abfahren.“

Corona sagte dies so hastig und entschieden, als ob sie dadurch ihren eigenen Entschluß beschleunigen und befestigen wollte.“

Clarl nickte beistimmend, indem sie den Löffel zum Munde führte, „Das ist das Rechte, Corona!“ sagte sie dann. „Bei dem Vorhaben bleib’, und wenn er etwa wirklich kommt, und Du willst ihm’s nit selber sagen, laß nur mich reden für Dich! Ich will ihm den Weg zeigen, daß er ihn als Blinder finden soll.“

„Ich bin zwar selber nit versponnen, und könnt’ selber mit ihm fertig werden,“ rief Corona; „aber wenn’s Dir eine Freud’ macht, kannst schon meinen Procurator spielen. Ich glaub’ aber nit, daß er kommen wird. … Wenn wir aber so fortmachen miteinander, dann scheint mir, Clarl, es geht mir am End’ wie Dir: ich bleib’ über, und wir können einmal in der Ewigkeit als alte Jungfern miteinander Wolken schieben.“


(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.


Nr. 37. Familienfeste im Elsaß.


Wir können diese Schilderungen elsässischer ländlicher Zustände nicht schließen, ohne einen Blick auch auf das Familienleben und den gegenseitigen Verkehr der Dorfbewohner geworfen zu haben.

Das Familienleben der Landbevölkerung ist ein durch die ununterbrochene Arbeit der Woche bedingt geregeltes und stilles. Nie wohnen zwei verschiedene Familien in einem Hause. Jeder, selbst der ärmste Tagelöhner, hat sein eigenes Häuschen. Wer sich kein Haus bauen oder kaufen kann, der wandert aus nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Dagegen sind in vielen Häusern der Bauern zwei Ehepaare beisammen, Eltern und Großeltern; dazu gesellt sich zuweilen ein Urgroßvater oder

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_658.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)