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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Nun ergingen schriftliche Anfragen an alle mecklenburgischen und einige pommersche Buchhandlungen. Es war November, und Bestellungen erfolgten sofort, meistens zur Ansicht; aber die Zahlen eins, fünf, zehn bis fünfundzwanzig wurden nicht überschritten. Das waren aber noch lange, lange keine zwölfhundert. Und – o die „Krebse“! Wie und wo sollten die den Augen Neugieriger verborgen bleiben? Wenn sie doch nur spät Abends zurückgesandt würden und Niemand von ihrer Existenz erführe! Wie mich der Gedanke quälte! Ich glaube, ich hätte als getreuer Genosse dem angehenden Schriftsteller zu Lieb’ und Ehren Jedem dreist Sand in die Augen gestreut. Ich hielt Umschau in unseren kleinen freundlichen, aber beschränkten Räumen; an der Küche befand sich ein verschließbares, acht Fuß langes und ebenso breites Verließ von leidlicher Höhe – das sollte die „Krebse“ bergen für alle Ewigkeit; den Schlüssel wollte ich verstecken. Ja, so ging es.

Die Exemplare kamen; die Packerei begann. Die Latzschürze und der Zuckerhammer, dem sich das steife Packpapier besser fügte als der bloßen Hand, blieben mir tagelang angetraut; mein Fritz schrieb nebenan Begleitbriefe und signirte und siegelte. Es war wie in einer Werkstatt, und wir ließen uns in unserer Arbeit nicht stören.

Justizrath Schröder steckte den Kopf zwischen die Thür und sagte: „Rutsching, heut’ Abend Schachabend beim Superintendenten; Du kommst doch?“

„Nein, Schröder, heut’ nicht – wir packen.“

Darauf kam Dörthe mit der Meldung, daß Frau Doctor Adam mich zum Essen bitten ließe und daß Frau Peters-Thalberg sich angemeldet hätte.

„Gar nicht daran zu denken Dörthe,“ entgegnete ich. „Ein anderes Mal, und schönsten Gruß – wir packen.“

Auf dem großen langen Zeichentische, der Stätte meines Wirkens, häufte sich Paket auf Paket – aber „unten lag es noch bergestief“ an unbestellten Exemplaren.

„Lass’ Dich’s nicht verdrießen, Louising, wenn’s auch Quesen (Schwielen) giebt!“ tönte Reuter’s liebe Stimme mehr als einmal vom Schreibtische herüber. „Kriegst ’n neu’ Seidenkleid. Ach, mein liebes, liebes Kind!“

Die Pakete waren abgeschickt und hatten viel Porto gekostet. „Den Rest der Exemplare gebe ich später als zweite Auflage heraus,“ erklärte Fritz mit einer Bestimmtheit, als verstände sich das von selbst.

Ich staunte ob der Kühnheit. „Fritz!“

„Ja, mein Wising, mir wächst der Kamm,“ lachte er. „Solche Schlauheit hätt’st Du mir wohl nicht zugetraut? Deshalb ließ ich ja gleich die zwölfhundert Exemplare drucken. Einstweilen schließ’ sie nur ein!“

Dazu kam ich aber nicht.

Täglich kamen Nachbestellungen. Unsere Seelen hatten nicht daran gedacht. Wir lachten und weinten.

Manche Bestellungen konnten nur theilweise berücksichtigt werden. Die Kuhn’sche Universitätsbuchhandlung in Rostock begehrte dreihundert Exemplare und sprengte den ganzen Kram.

Die lieben Menschen, deren Freundschaft wir uns damals erwarben und bis auf heute unverändert treu bewahrt, fühlten in rührender Theilnahme mit uns, als wär’s ihnen geschehen. – Nach sechs Wochen begann der Druck der wirklichen zweiten Auflage, abermals im Selbstverlag.

„Das Seidenkleid nehmen wir vom allerbesten End’, mein liebes Wising,“ sagte Fritz nun zu mir, „aber die Fische brät’st Du mir von jetzt an nicht mehr in Wasser, sonst …! –“

Das gelobte ich denn auch feierlich.




Das seidene Kleid bekam Louising, und die Fische hat sie nie wieder in Wasser gebraten, denn schnell ergoß sich nun auch das Füllhorn äußeren Glückes über den Dichter. Allseitige Anerkennung und der verdiente Lohn seiner Arbeit wurden ihm so reichlich zu Theil, wie selten einem Schriftsteller, aber sein Herz blieb dasselbe: aller Ruhm, den er erntete, rüttelte nicht an seiner Liebe und auch nicht an seiner Bescheidenheit. Noch kurze Zeit vor seinem Scheiden fragte er seine Gattin, ob seine Werke ihn wohl überleben würden; er ahnte kaum, wie tief dieselben in dem Herzen des deutschen Volkes gewurzelt sind.

Wo er Jemandem helfen konnte, that er es mit voller und freudig gebender Hand, und auch darin unterstützte ihn sein Louising, empfand sie doch ebenso wie er und war seine Freude doch auch die ihrige.

Alle Diejenigen, welche Reuter persönlich näher kannten, werden sich sein Bild nicht in die Erinnerung zurück rufen können, ohne zugleich seines Louising zu gedenken, denn Beide gehörten unzertrennlich zusammen, wie das Licht und die Wärme des Sonnenlichts. Sie lachte mit ihm, wenn er heiter war, und sie saß ernst neben ihm, wenn Krankheit ihn an das Bett fesselte, sie hat ihn gehütet und gepflegt bis zur letzten Minute seines Lebens, und sie hat ihm nach dem Tode die Augen geschlossen. Deshalb werden auch alle die, welche Reuter durch seine Werke lieben gelernt haben, das diesen Zeilen beigegebene wohlgenossene Bild seines Louising und in ihm zugleich das Bild einer edlen Frau freudig begrüßen.

Friedrich Friedrich.




Zehn musikalische Sonnette von David Fr. Strauß,


E. F. Kauffmann gewidmet.


David Friedrich Strauß, der berühmte Verfasser des „Leben Jesu“, widmete seinem im Jahre 1856 verstorbenen Jugendfreunde E. F. Kauffmann einen schönen Nachruf in den längst eingegangenen „Unterhaltungen am häuslichen Heerde“. Strauß sagt dort in der Einleitung: „Wenn ich ein philosophischer Kaiser wäre und Selbstbekenntnisse schriebe, so würde ich den Göttern unter andern Gutthaten, die sie mir erwiesen, auch dafür danken, daß sie mir Dichter und Musiker zu Jugendfreunden gegeben haben. – Er ist nun todt, leider! der herrliche Mensch, dem allein ich es danke, daß mir das Ohr, wenn auch noch so unvollkommen, für die Welt der Töne sich erschlossen hat. Er war kein Musiker von Profession, aber eine durch und durch musikalische Natur. Er hatte die Gesetze des Tonsatzes theoretisch studirt, wie er sie praktisch auszuüben vermochte; aber seiner bürgerlicher Stellung nach war E. F. Kauffmann Professor der Mathematik. Die Musik war seine stille Liebe; es wäre ihm peinlich gewesen, auf sie seine häusliche Existenz zu gründen, aber sein innerstes Leben machte sie aus. Die Werke der großen Meister kannte er nicht blos, er lebte in denselben. Eine Mozart’sche Oper Nummer für Nummer auswendig auf dem Claviere vorzutragen, war ihm Kleinigkeit. Wie viel verdanke ich solchen Stunden! Wie wußte er da die Hörer in die rechte Empfindung hineinzureißen, wie dem tappenden Verständniß durch Gedankenblitze vorzuleuchten!“

Dieser Mann ist es nun, dem Strauß im Februar 1851 während der Fastenzeit von München aus die nachfolgenden in dieser Zeit von ihm gedichteten musikalischen Sonnette mit einer Widmung zuschickte, wobei er eben so einfach wie bescheiden bemerkte: „Für diesmal habe ich meinen unmusikalischen Pegasus abgesattelt. Soviel habe ich wenigstens dabei gewonnen, daß ich alle diese Musikwerke mir jetzt weit bestimmter gemerkt und eingeprägt habe, als sonst.“

Die geistige Verwandtschaft des großen Denkers mit Gotthold Ephraim Lessing, welche in der trefflichen Schrift Reuschle’s „Philosophie und Naturwissenschaft“ so einleuchtend besprochen wurde, wird durch diese köstlichen Dichtungen, von denen wir heute die erste Hälfte mittheilen, auf’s Neue entschieden bekräftigt.


Widmung an Kauffmann.

In dieses lange Carnevales Nöthen,
Wo in den Sälen die Concerte schweigen,
Nur luft’ge Walzer alle Geigen geigen
Und süße Polkas alle Flöten flöten,

Wo auf der Bühne schale Novitäten
Sich einer abgespannten Menge zeigen,
Der Sonnenaufgang und der Schlittschuhreigen
Die Gafferwelt entzücken im „Propheten“ –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_652.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2018)