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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

An einem dieser Fälle kletterten wir denn empor durch dichten Wald und üppiges Kraut, welches den Boden bedeckte. Riesige Fichten, Balsambirken und der Vogelbeerstrauch waren hier die drei einzigen Vertreter baumartiger Vegetation.

Nicht lange hatten wir zu steigen, so lag die Waldregion hinter uns, und wir bogen nun in ein ödes Hochthal ein; die Vegetation schwand mehr und mehr; die todte Erde, das nackte Gestein behielten die Oberhand über die spärliche Grasnarbe; öde Steinhalden, Uten, ziehen sich von den Berghängen herab. Schneezungen leckten von den Schneefeldern des Hochgebirges herein, und schon verkündete das Bellen der Hunde die Nähe der Lappländer und ihrer Heerde. In der That kamen sie eben vom Gebirge herab, an dreihundert Stück, und bald wurden uns auch die Zelte sichtbar, denen sie zustrebten.

Ehe wir dieselben erreichten, wurde uns aber auch bereits die Zwecklosigkeit unseres Besuches klar, denn wo sich das Langvandsthal nach dem Hochgebirge öffnet, schaute finster und imponirend die gewaltige Gestalt des Sulitelma herein; wir sahen seine scharfe Schneide mit ihren Zacken, die gewaltige Felswand, mit der er zum Gletscher abstürzt, in scheinbar unmittelbarer Nähe vor uns.

Es war noch früh am Tage, baldiges Einbrechen der Nacht nicht zu besorgen; also wurde frisch an die Besteigung des gewaltigen Berges gegangen. Die Resultate dieser Wanderung werden an anderm Orte eine breitere Darlegung finden. Hier sei nur erwähnt, daß Nebel uns hinderte, die Spitze zu erreichen, daß wir den ungeheuren Gletscher blos ein Stück weit begehen konnten, welches sich zwischen den verschiedenen Häuptern des Sulitelma ausbreitet. Endlich senkte sich der Nebel von der Bergspitze herab und drohte uns den Weg völlig zu verdunkeln, indem er uns mit seinem finstern Schleier umhüllte. Trostlose Wanderung in dunklem, feuchtem Nebel durch die endlosen, gedehnten einförmigen Schnee- und Felswüsten des nordischen Hochgebirges! Als wir uns dann wieder in’s Thal herabsenkten und sich der Nebel in Regen auflöste, boten uns die Zelte der Lappen eine willkommene Station.

Die beiden Zelte sind in der einen unserer Abbildungen dargestellt; über einige Birkenstangen, die sich oben kegelförmig zusammenneigen, ist grobes Segeltuch gespannt; es bedeckt das Stangengerüst nicht ganz, sondern läßt oben eine weite Oeffnung zum Ausgange des Rauches frei; auf dem Boden breitet sich das Segeltuch noch eine Strecke neben dem Zelte hin und gewährt der spärlichen Habe der Familie eine nothdürftige Decke; die eine Seite des vieleckigen Zeltes bildet die Thür. Das Segeltuch ist über eine Anzahl Querstäbe gespannt und kann so leichter emporgehoben werden. Nach der Windseite hin ist die Bedeckung doppelt, und auch über das Rauchloch ist nach dieser Richtung hin noch ein Fetzen Tuch gehängt, um das Einblasen des Windes in das Zelt zu verhüten. Das Innere trägt die einfache Einrichtung der Gammen: ein eiserner Kessel über dem Feuerherde, rings um das Feuer weiche Rennthierfelle, auf denen die Menschen und Hunde lagern. Wir trafen eine zahlreiche Familie im Innern des Zeltes und fanden kaum noch Platz, uns am Feuer zu lagern und zu wärmen. Eine Mutter zahlreicher Kinder, welche wie die Orgelpfeifen den ehelichen Segen des Himmels priesen, bildete den Mittelpunkt der Gruppe.

Unterdeß war der Termin gekommen, wo zwei Glieder der Familie zwei andere ablösen und die Wache über die Rennthierheerde im Gebirge übernehmen mußten; pfeifend riefen sie ihre Hunde an sich und zogen mit ihnen dem Hochgebirge entgegen. Immer muß diese Wache stattfinden, bei Tage wie bei Nacht, selbst in dem fürchterlichsten Wetter; kein Glied der Familie, das den Dienst leisten kann, ist davon ausgeschlossen; jedes trifft die Reihe, jedes hat dann seine eigenen Hunde, welche es selbst aufgezogen und die nur ihm gehorchen, und zieht mit ihnen zu den eisigen Höhen, um die scheuen, nur halbzahmen Thiere zusammenzuhalten und den Wolf zu verscheuchen.

Letztere Gefahr hat seit einigen Jahren bedeutend abgenommen; der Wolf, den die Lappen früher aus abergläubischer Furcht nicht schossen, sondern nur verscheuchten, wird jetzt von denselben erlegt, da sie gern die von der Regierung festgesetzte Prämie verdienen. Noch mehr aber wurde die Zahl dieser Raubthiere vermindert durch eine epidemische Krankheit, welche unter denselben grassirte. In Folge dieser Verminderung der Wölfe haben sich die wilden Rennthiere, sowie die Elke bedeutend vermehrt, wozu außerdem noch die trefflichen Gesetze über die Schonung nützlicher Thiere viel beitragen.

Um die Gäste zu ehren und zu erwärmen, bereitet die Hausfrau einen Kaffee – o Cultur, die alle Welt beleckt! Kaffee in einem Lappenzelte, im norwegischen Hochgebirge, an der lappländischen Grenze! Ich hörte jedoch, daß dieses Genußmittel vielen Eingang unter den Lappen gefunden hat, und es mag wohl zum Theil einen willkommenen Ersatz für den Branntwein bilden. In einem ganz modernen Theekessel wurde das Wasser gewärmt, alsdann der Kaffee gemahlen und hineingethan, das Gebräu (Gott sei Dank, ohne es durchzugießen) in Kaffeetassen gegossen, die vorher vor unseren Augen ausgespült wurden, Rennthiermilch hinzugesetzt und das Ganze uns präsentirt. Es war eine willkommene Erquickung. Der Regen wollte nicht aufhören, und meine beiden normannischen Begleiter hatten keine Lust aufzubrechen, sondern plauderten mit den Leuten, welche des Normannischen leidlich mächtig waren. Einige Männer beschäftigten sich mit Schnitzereien zur Reparatur von Hausgeräthen; halbwüchsige Kinder beiderlei Geschlechts bewunderten uns; die Scene wiegte mich in sanften Schlaf, in dessen Armen ich ruhte, bis zum Aufbruche geblasen wurde. Wir langten in später Nacht und gründlich durchnäßt wieder am Seeufer an und fanden im Stadel auf duftigem Heu, über das Rennthierfelle gebreitet waren, während Schaffelle uns als Deckbett dienten, eine willkommene Nachtruhe.

Die Lappen, welche wir besucht hatten, waren in Schweden zu Hause; dort stehen ihre Gammen, und dort haben sie ihre eigentliche Heimath; den Sommeraufenthalt im Hochgebirge betrachten sie nur als Erholung, er ist ihr Tegernsee oder Partenkirchen. – In Schwedens dichten Wäldern wohnen sie meist etwas dichter beisammen, oft in der Nähe einer Kirche, wo sie auch Vorrathshäuser besitzen; dieselbe bildet das Centrum ihres geistigen und geselligen Verkehrs. Schlitten oder der leichte Schneeschuh führen sie dort zusammen; dort finden sie die normannischen Kaufleute, die ihnen liefern, was sie bedürfen, und dafür Pelze, Komager, Handschuhe, Schneehühner, welche sie in unendlicher Menge fangen, gefrornes Rennthierfleisch, Rennthierschinken, Rennthierkäse und gefrorne Rennthiermilch eintauschen, welche sie nach dem Süden liefern, sodaß wir jetzt sogar an Herrn Murschel’s*[1] gastlicher Tafel davon zu genießen bekommen. Dort vollzieht sich auch der Verkehr unter den Lappen selbst; die Jugend trifft sich, zarte Herzensverhältnisse knüpfen sich an und schließen, wenn die Alten über die Zahl der Rennthiere einig geworden sind, mit der Prosa der Ehe.

Schmilzt aber der Schnee, schattirt sich das weiße Winterkleid des Hasen mit Braun, dann läßt sich das Rennthier nicht mehr in den Niederungen zurückhalten; ihm folgen die Familien und stieben nach allen Richtungen des öden, endlosen Hochgebirges auseinander. Je höher die Sonne steigt, desto höher steigt auch der Lappe in’s Gebirge, und desto mehr nähert er sich dem Meere, über dem sich im Norden die höchsten Gebirgserhebungen unmittelbar aufbauen und dann in dasselbe hinabstürzen. Es ist oft ein mühseliger Dienst, den die lappischen Hirten zu besorgen haben; das Zelt steht im Thale, in einer Höhe, daß wenigstens Birkengestrüpp zur Feuerung in der Nähe ist; die Thiere weiden oft viele Stunden entfernt im Hochgebirge und werden nur an einzelnen Tagen zum Melken herbeigetrieben. Ein solches Lager am Ufer des nördlichen Eismeeres stellt unsere außerordentlich charakteristische Landschaft dar.

Neigt sich aber die Sonne bereits wieder um Mitternacht unter den Horizont, dann treten die Lappen allmählich wieder den Rückzug an; der sinkenden Jahreszeit entsprechend, steigen sie nach und nach an der langsam nach der Ostsee sich abdachenden Gebirgsplatte herab, bis der erste dauernde Schnee sie wieder in ihren Gammen findet.

Dieses wandernde Leben ist das Ideal des Stammes; nur bei ihm findet sich der Lappe frei und glücklich. Wenn sich seine Heerde so weit vermindert, daß sie ihm nicht mehr Unterhalt gewährt, muß er an der Meeresküste bleiben und Fischer werden; aber die Sehnsucht nach dem Nomadenleben erlischt nie, und jeden Augenblick ist der Seelappe bereit, seinen Kahn und seine Hütte mit dem Zelte und der Gamme zu vertauschen.

Die Zelte unseres Holzschnittes stellen die beiden Sommerzelte

  1. * Eine Münchener Restauration


Hierzu die „Allgemeinen Anzeigen zur Gartenlaube“, Verlag von G. L. Daube & Comp.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_633.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)