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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Störungen in der telegraphischen Correspondenz.


Unterbrechungen durch Feuchtigkeit, Menschenhand, Drahtbruch, Stürme. – Bäume als Stützpunkte. – Unterirdische Drähte, ihre Isolation und die ihnen drohenden Gefahren. – Die Kabel.


Wenn der Aufgeber einer Depesche dieselbe dem Annahmebeamten übergeben, die Gebühren entrichtet und ihm vielleicht auch noch überflüssiger Weise die sofortige aufmerksamste Beförderung derselben ganz besonders an’s Herz gelegt hat, dann geht er befriedigt und mit der frohen Hoffnung von dannen, seine Depesche werde nun binnen kürzester Zeit die Adreßstation erreichen, ohne irgend welchen Fährlichkeiten ausgesetzt zu sein. Diesen süßen Wein muß ich ihm jedoch rauben; denn in der That gleicht der Weg, welchen eine Depesche von der Hand des gebenden bis vor das Auge des nehmenden Beamten zurückzulegen hat, dem Marsche einer Patrouille in Feindesland durch eine fortlaufende Reihe von Hinterhalten. Der telegraphische Betrieb ist einer zahllosen Menge von Störungen unterworfen, verursacht bald durch die harmlosesten Zufälle, bald durch gewaltige Naturerscheinungen, gegen welche der unwissende, schwache Mensch trotz beharrlicher Anstrengung stets vergebens ankämpft.

Einige der dem telegraphischen Verkehre drohenden Gefahren, sowie die gegen dieselbe angewendeten Mittel will ich im Folgenden versuchen etwas näher zu beleuchten, wobei ich in der Hauptsache meinen Aufzeichnungen aus den Vorträgen meiner verehrten Lehrer, der Herren Dr. Brix und Rechnungsrath Weber in Berlin, folgen werde.

Schon die Anlage einer oberirdischen Leitung – worunter im Gegensatze zu den durch die Erde, die Binnengewässer und das Meer geführte (subterrestrischen, subaquatischen und submarinen) Leitungen eine an Stangen und anderen Stützpunkten durch die Luft geführte verstanden wird – ist gar nicht so leicht und schnell ausgeführt, wie dies nach Vorstellung sehr Vieler geschehen könnte.

Die vornehmsten an eine Telegraphenleitung zu stellenden Anforderungen sind, daß sie gut isolirt sei, dem Strome einen bequemen Weg bieten und die nöthige Dauerhaftigkeit besitze. Die Frage der Billigkeit kommt erst in vierter Linie in Betracht.

Eine Leitung ist dann gut isolirt, wenn sie dem elektrischen Strome nirgends gestattet, seiner Neigung nachzugeben, zur Erde, unserem großen elektrischen Reservoir, zurückzukehren, wenn sie ihn also in ungeschwächter Stärke fortführt. Um dies zu können, darf die Leitung ihrer ganzen Länge nach keine Stelle enthalten, an welcher eine leitende Verbindung zwischen dem Drahte und der Erde vorhanden wäre. Eine solche wird aber hergestellt nicht nur durch Metall – wenn z. B. von mehreren Drähten der oberste gerissen ist und unter Berührung der übrigen zur Erde herniederhängt –, sondern auch durch Feuchtigkeit und feuchte Luft an der hölzernen Stange herab, welche letztere ja bis 1,7 Meter tief in den Boden eingegraben wird. Es verbietet sich demnach, sofern man nicht den Draht seiner ganzen Länge nach mit einer isolirenden Substanz, wie Kautschuk und Guttapercha, überziehen will, von selbst, denselben direct an den Stangen zu befestigen, weil sonst der Strom bei feuchtem Wetter schon an der ersten Stange zur Erde zurückkehren würde. Die Construction dieses Mittelgliedes nun, welches den nicht isolirten Draht von den allein als Stützpunkte dienenden Stangen trennt, hat den menschlichen Erfindungsgeist lange Zeit ungemein in Anspruch genommen, bis es im Jahre 1858 dem Telegraphendirector von Chauvin in Berlin gelang, diese Aufgabe endgültig zu lösen.

Die seit 1862 in der preußischen, seit 1868 in der norddeutschen Telegraphenverwaltung ausschließlich verwendete Chauvin’sche Doppelglocke erfüllt alle an eine guten Isolator zu stellenden Anforderungen: das Material, Porcellan, gehört zu den schlechtesten Leitern; ihre Construction ist dauerhaft genug, um dem oft sehr bedeutenden Drahtzuge Widerstand leisten zu können, und ihre Form derart, daß nicht nur bei Regen und Schnee, sondern auch bei Nebel und Thau, welche die Isolation am meisten erschweren, zwischen der äußeren und inneren Glocke ein vollkommen trockener Raum sich befindet, welcher dem elektrischen Strome den Uebergang von dem Drahte über die nasse Stange unmöglich macht oder doch ganz bedeutend erschwert. Es ist nämlich über den inneren, cylinderförmigen Theil des Isolators eine zweite, ihn ganz bedeckende Glocke gesetzt, welche eine Wärme-Ausstrahlung des inneren Cylinders und somit ein Bethauen desselben ganz unmöglich macht. Bis jetzt hat man weder in der Höhlung der inneren, noch in der der äußeren Glocke eine zusammenhängende Feuchtigkeitsschicht nachweisen können, und somit ist bei der Eigenschaft des galvanischen Stromes, nur einen ununterbrochenen Weg benutzen zu können, die Gefahr, derselbe könne über diese Isolatoren hinweg sich der aufgezwungenen Dienstbarkeit durch die Flucht entziehen, vollständig beseitigt. Leider aber machen sehr oft Spinnen das Innere dieser Glocken zu ihrer Wohnung, überziehen dieselben mit ihre feinen, dichten Netzen und machen dadurch die durch die Construction erlangten Vortheile illusorisch: Regen, Nebel und Thau pflanzen sich mit Hülfe dieser Gespinnste bis in das Innere fort und öffnen so dem Strome einen Weg zur Erde.

Bedenkt man nun, wie sehr eine Depesche durch Verkürzung oder Verlust eines oder mehrerer Zeichen entstellt werden kann, und wie oft sich solche feine Fäden dem Auge des Revisors entziehen mögen, so wird man nicht gleich jede Depeschenverstümmelung auf das Conto „Nachlässigkeit der Beamten“ setzen dürfen.

Es überziehen sich aber auch die Glocken sehr häufig, besonders in der Nähe chemischer Fabriken, mit metallischen Niederschlägen, welche selbstverständlich den Strom noch besser leiten als einfach feuchte Niederschläge; denn das Leitungsvermögen des Eisens ist z. B. siebenundsechszig Millionen Mal größer als dasjenige des Quellwassers bei gleichen Dimensionen der leitenden Massen. Ebenso befördert der in der Nähe von Bahnhöfen anfliegende Steinkohlenruß das Entweichen des Stromes aus der Drahtleitung.

Zwar werden sämmtliche Isolatoren alljährlich ein oder mehrere Mal sorgfältig gereinigt, aber dennoch ist deren fortdauerndes Freibleiben von leitenden Stoffen nicht zu erreichen.

Unglücklicher Weise besitzen die hoch oben an den Stangen befindlichen Glocken auch noch eine absonderliche Anziehungskraft für die steinwerfende Jugend von Stadt und Land, welche sich zu ihren Uebungen meist abgelegene Orte aussucht, sodaß etwaige Opfer der edlen Kunst nicht sofort bemerkt und ausgewechselt, und dadurch leicht entstehende Störungen beseitigt werden können.

Eine andere, nie versiechende Quelle von Betriebsstörungen ist der eiserne Leitungsdraht.

Obgleich man in Deutschland denselben nur in der Stärke von 5,4 bis 4 Millimeter (solche von 6 und 2,7 nur ausnahmsweise) benutzt und ihn vor der Uebernahme auf eine absolute Festigkeit von 4386 Kilogramm pro Quadratcentimeter prüft, kommen doch – besonders im Winter bei einer großen Belastung mit Schnee und Eis – Drahtbrüche nicht selten vor. Sobald aber ein Draht gebrochen ist, hat die Correspondenz auf der betreffenden Leitung natürlich sofort ein Ende, und man hat von Glück zu sagen, wenn die beiden Enden nicht mit den übrigen Drähten in Berührung stehen und auf der Erde aufliegen, wodurch eine Correspondenz bis zur Wiederherstellung des Schadens ganz unmöglich gemacht wird. Denn dann steht dem Strome der bequemste Weg zur Flucht offen, und er zögert nicht, ihn zu benutzen, sodaß die entfernte Station keine Spur von ihm erhält. Hingegen setzt derselbe, je nach der Größe des Widerstandes, welchen die Fehlerstelle darbietet, die Apparate der gebenden Station mehr oder weniger in Bewegung, sodaß dem arbeitenden Beamten die gegebenen Zeichen plötzlich auf dem nebenstehenden Apparate, wie von einem äffenden Echo, zurückgegeben werden.

Der galvanische Strom begnügt sich aber auch mit minder bequemen Wegen, um von einem Drahte zu dem andern und vielleicht durch Vermittelung lebender Bäume oder feuchter Stangen zur Erde zu gelangen.

Wird z. B. auf zwei gleichlaufenden Leitungen gearbeitet, und erscheinen die auf dem einen Apparate gegebenen Zeichen auf den drei anderen, an den beiden Enden der Leitungen eingeschalteten Apparate, anstatt blos auf einem, dem mitarbeitende Apparate correspondirenden, so sind die beiden Leitungen in Berührung miteinander gerathen, entweder direct, das heißt sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_625.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)