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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

weit bist Du nun glücklich mit Deinen Mitleids-Exercitien gekommen?“

Jonas seufzte tief auf. „Ja, Herr Capitain, ich bin so weit,“ versetzte er resignirt.

Das Geständniß wurde mit einer so unendlich komischen Zerknirschung gethan, daß Hugo mühsam ein Lächeln unterdrückte; dennoch sagte er mit ernster Miene:

„Jonas, ich habe nie geglaubt, daß ich dergleichen an Dir erleben würde. Es ist nur ein Glück, daß Du ein Mensch von Grundsätzen bist, die Dir nicht erlauben, aus solchen Thorheiten Ernst zu machen. Die Grundsätze über Alles! Unsere ‚Ellida‘ ist segelfertig; morgen reisen wir nach dem Hafen ab, und wenn wir aus Westindien zurückkehren, hast Du Dir die Liebesgeschichte aus dem Sinne geschlagen, und die Annunziata hat inzwischen einen Andern genommen –“

„Das wird sie bleiben lassen,“ fuhr Jonas wüthend auf. „Ich bringe mich um und sie dazu, wenn sie mir so etwas anthut.“

„Willst Du das Umbringen nicht auch auf mich ausdehnen?“ fragte Hugo kaltblütig. „Du scheinst mir ganz in der Laune dazu. Bis zum Küssen bist Du gekommen, das steht fest. Ich habe es mit diesen meinen Augen sehen müssen, wie der Matrose Wilhelm Jonas von der ‚Ellida‘ ein Frauenzimmer geküßt hat, und ich dächte, mit dieser haarsträubenden Thatsache wäre Alles zu Ende.

„Bewahre,“ sagte Jonas trotzig. „Damit fängt es erst an – jetzt kommt das Heirathen.“

„Heirathen willst Du auch noch?“ fragte der Capitain im Tone der tiefsten Empörung. „Ein Frauenzimmer willst Du heirathen? Aber so bedenke doch, Jonas, daß die Frauenzimmer an allem Schlimmen schuld sind, daß alles Unheil auf der ganzen Welt nur von ihnen stammt, daß der Mann nur Ruhe und Frieden hat, wenn er fern von ihnen ist, daß –“

„Herr Capitain,“ erwiderte ihm der Matrose, der gegen allen Respect seinem Herrn mitten in die Rede fiel, als er seine eigenen Worte aus dessen Munde vernahm. „Herr Capitain – ich war ein Dummkopf.“

„So? Deine Annunziata scheint Dir bereits einen hohen Grad von Selbsterkenntniß beigebracht zu haben, und das ist um so bewundernswerther, als die Sprache in Eurem Verkehre nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Deine Auserkorene spricht das Deutsche noch herzlich schlecht, und Du hast vom Italienischen nicht viel mehr als ihren Namen begriffen. Freilich, ich habe ja vorhin gesehen, wie vortrefflich Ihr Euch zu helfen wißt. Eure Conjugation des ‚amare‘ war, wenn auch nicht gerade grammatikalisch richtig, doch äußerst verständlich.“

„Ja wohl, wir wissen uns zu helfen,“ sagte Jonas voll Selbstgefühl. „Wir verstehen uns überhaupt immer, und in der Hauptsache haben wir uns gleich verstanden. Ich habe sie gern, sie will mich, und wir heirathen einander.“

„Punctum!“ vollendete Hugo. „Und was wird unter so bewandten Umständen aus unserer Abreise?“

„Nach Westindien gehe ich noch mit, Herr Capitain,“ versicherte Jonas eifrig. „So über Hals und Kopf können wir doch nicht heirathen und meine Braut bleibt indeß bei der jungen Frau Almbach, die versprochen hat, für sie zu sorgen. Wenn ich aber zurückkomme, dann, meint Annunziata, müßte das Seefahren ein Ende nehmen. Sie meint, wenn sie einen Mann nähme, dann müßte er auch bei ihr bleiben und nicht jahrelang auf allen möglichen Meeren umhersegeln. Wir könnten ja irgendwo eine kleine Gastwirthschaft anlegen, dann wäre ich nicht so weit von der See entfernt und hätte immer noch Verkehr mit meinen Cameraden – meint Annunziata.“

„Deine Annunziata scheint sehr viel zu meinen,“ bemerkte der Capitain. „Und Du fügst Dich als bekehrter Weiberfeind und gehorsamer Bräutigam natürlich unbedingt dieser ‚Meinung‘ Deiner Zukünftigen. Für diese Fahrt also soll die ‚Ellida‘ noch die Ehre haben, Dich zu ihrer Besatzung zählen zu dürfen? Später hat sie sich einen andern Matrosen zu suchen und ich mir einen andern Diener?“

„Ja, später freilich,“ sagte Jonas kleinlaut. „Wenn nicht – wenn Sie nicht auch – Herr Capitain – Sie sollten doch lieber auch heirathen.“

„Bleib’ mir vom Leibe mit Deinen Vorschlägen!“ rief Hugo, ärgerlich auffahrend. „Ich dächte, es wäre vorläufig genug, daß Du unter den Pantoffel geräthst. Jetzt packe die Koffer und nimm Abschied von Deiner Annunziata! Denn morgen in aller Frühe geht es fort. Ich – habe auch noch Abschied zu nehmen.“

Die letzten Worte klangen so eigenthümlich gepreßt, daß Jonas verwundert aufschaute. Er wußte, daß es nicht die Art seines Herrn war, sich den Abschied irgendwo und irgendwie schwer zu machen, und doch hörte sich das an, als werde ihm das Lebewohl diesmal recht von Herzen schwer. Zum Glück befand sich der Matrose in der gleichen Lage; deshalb grübelte er nicht viel nach, sondern machte sich an das Einpacken, während Hugo nach den Zimmern hinüberging, die jetzt seine Schwägerin bewohnte. Einige Minuten stand er regungslos vor der geschlossenen Thür, als wage er es nicht einzutreten; dann auf einmal legte er wie mit einem plötzlichen Entschluß die Hand auf den Drücker und öffnete.

Ella saß am Schreibtisch. Sie war allein und im Begriff, einen soeben vollendeten Brief zu schließen, als ihr Schwager eintrat und sich ihr rasch näherte.

„Haben Sie sich in Deutschland angemeldet?“ fragte er, auf den Brief deutend, „Consul Erlau wird ganz H. aufrührerisch machen mit seiner Verzweiflung darüber, daß er ohne Sie und den Kleinen zurückkehren muß.“

Die junge Frau legte die Feder bei Seite und stand auf. „Es thut mir weh, daß der Onkel sich so unendlich schwer in die Trennung findet,“ entgegnete sie. „Ich habe bereits nach Kräften für einen Ersatz gesorgt und brieflich eine seiner Verwandten gebeten, meine Stelle in seinem Hause einzunehmen, da mich jetzt andere Pflichten rufen. Seinen Wunsch, mich nach H. zu begleiten und für die erste Zeit unsern Aufenthalt dort zu nehmen, konnte ich um Reinhold’s willen nicht erfüllen. Wir haben der dortigen Gesellschaft schon einmal Anlaß gegeben, sich eingehend mit uns zu beschäftigen; wenn wir jetzt zurückkehren, wäre der peinigenden Neugier und Theilnahme kein Ende, und Reinhold bedarf noch so sehr der Schonung. Er erträgt noch nicht die leiseste Hindeutung auf das Vergangene, ohne sich gefährlich aufzureizen. Wir müssen durchaus einen andern, ruhigern Aufenthalt suchen.“

„Jedenfalls ist es ein Glück, daß Sie ihn bestimmt haben, überhaupt nach Deutschland zurückzukehren,“ sagte Hugo. „Er ist der Heimath lange genug entfremdet gewesen, in seinem Leben wie in seinem künstlerischen Schaffen. Es ist Zeit, daß er endlich einmal wieder im Vaterlande Wurzel faßt.“

Ella lächelte. „Das predigen Sie ihm und mir täglich, und Sie selber sehnen sich doch wieder ruhelos in’s Weite? Gestehen Sie es nur, Hugo, Sie können den Tag Ihrer Abreise kaum erwarten, und es wird Ihnen schwer genug, die wenigen Wochen noch hier bei uns auszuhalten.“

„Die Schwierigkeit ist bereits gehoben,“ warf Hugo mit erkünstelter Unbefangenheit hin. „Ich reise schon morgen.“

„Morgen?“ rief Ella halb verwundert, halb erschreckt. „Aber Sie versprachen ja doch bis zu unserer eigenen Abreise hier zu bleiben.“

Der Capitain beugte sich tief über die auf dem Tische liegenden Papiere und Briefschaften, als suche er etwas darin.

„Das – hat sich inzwischen geändert. Ich habe Nachrichten von der ‚Ellida‘ erhalten, die mich sofort abrufen. Sie wissen ja, bei uns Seeleuten pflegt dergleichen schnell und unerwartet zu kommen. Ich wollte es Ihnen und Reinhold soeben mittheilen und Ihnen zugleich Lebewohl sagen, denn ich muß bereits in aller Frühe fort.“

Er hatte das Alles hastig hervorgestoßen, ohne aufzublicken. Die Augen der jungen Frau hafteten ernst und forschend auf seinem Antlitze.

„Hugo, das ist ein Vorwand,“ sagte sie bestimmt. „Sie haben keine Nachrichten erhalten, wenigstens keine so dringenden. Was ist geschehen? Warum wollen Sie fort?“

„Sie inquiriren mich ja wie ein Criminalrichter,“ scherzte Hugo mit einem Versuche, den Ton des alten Uebermuthes wiederzufinden. „Seien Sie vorsichtig, Ella! Sie haben es mit einem verstockten Sünder zu thun, der durchaus nichts eingestehen will.“

„Ich sehe aber doch, daß irgend etwas vorgefallen ist, das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 621. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_621.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)