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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

im Seminare ist eine durchaus nationale und nirgends kann das czechische Nationalbewußtsein und der Deutschenhaß mehr cultivirt werden, als hier. Kein Blatt ist schlecht genug, das nicht gelesen werden dürfte, wenn es nur in czechischer Sprache nationalen Tendenzen huldigt. Und das wird von den gleichfalls czechischen Vorstehern sehr unterstützt. Die Alumnen sollen ja Leiter des Volkes werden; in ihnen muß darum der Geist der Nation lebendig sein, der Geist „der großen, herrlichen czechischen Nation“. Die Anzahl der Deutschen im Kloster schmilzt deshalb auch immer mehr zusammen; sie sollen vier Jahre lang die Chicanen nationalen Uebermuthes tragen und dann die dürftigsten, beschwerlichsten Stellen im Erzgebirge übernehmen, denn selbst an bedeutendere deutsche Stationen schickt man gern czechische Seelsorger, vielleicht, damit sie auch hier Propaganda für die „herrliche Nation“ machen.

Rücksichtslosigkeiten gegen deutsche Alumnen sind an der Tagesordnung. Die Umgangssprache ist selbstverständlich die czechische, auch bei Tische; wenn der Deutsche mitsprechen will, muß er eben czechisch lernen, obwohl die Czechen alle des Deutschen mächtig sind, weil sie einsehen, daß ihre Zunge nur einen beschränkten Kreis umfaßt.

Mit dieser häuslichen Erziehung, welche nicht eben geeignet ist, tüchtige Charaktere heranzubilden, welche die jungen Leute nicht fromm, sondern zu Frömmlern und einseitigen Fanatikern macht, hängt auch die theologische Ausbildung zusammen. Das sind nicht freie, frische Studenten, welche hier vor dem Katheder sitzen, das sind ganz armselige Schuljungen in der Kutte, welche in ungeheurem Respecte vor dem Professor zerfließen, besonders wenn derselbe zugleich Seminar-Vicedirector ist. Und deutsche Hörer sitzen dabei und schlucken die nationalen Bissen mit hinunter, weil der Vortragende eben Vicedirector ist.

Fast in jeder Stunde wird lectionsweise abgeprüft, und es ist ein peinliches Vergnügen, wenn die großen Schulknaben das Eingelernte herunterleiern. Das Uhrwerk wird mit der Frage aufgezogen und läuft dann pünktlich ab. Daß damit dem Verstande nicht genützt wird, ist klar. Manchmal ist einer der tüchtigeren Professoren, wie der für Moral, so malitiös, eine Zwischenfrage zu thun; dann stocken die Räder des Gedächtnisses, und der denkfaule Verstand vermag sie nicht in Gang zu bringen. War der unglückliche Professor ein Deutscher, dann wehe ihm! Er wird auf alle mögliche Weise chicanirt, aber nur hinter seinem Rücken.

Wenn das Gedächtniß so vorwiegend cultivirt wird, so liegt das großentheils auch daran, daß der alte Zopf es verlangt, daß die meisten theologischen Disciplinen in lateinischer Sprache vorgetragen und abgeprüft werden. Vom Gymnasium bringt Keiner ein derartiges Wissen mit, daß er sich in der fremden Sprache mit Gewandtheit und Sicherheit ausdrücken könnte. So bleibt bei der strengen Forderung nichts übrig, als die so und so vielen Seiten, welche zur nächsten Stunde abgeprüft werden, wortgetreu auswendig zu lernen.

Wenn man nun durch vier Jahre immer „mitgebüffelt“ hat, so lernt man endlich die fremde todte Sprache radebrechen, und das geschieht denn in einer Weise, daß sich dabei dem rechtschaffenen Philologen wohl alle Haare sträuben. Und dabei wird so viel Unpraktisches und Unklares, so viel leerer Ballast für das Leben geboten, daß der Hörer gar nicht über das Oberflächliche hinauskommt, daß er bei dem beständigen Memoriren ermüdet; daher denn auch die begründete Klage Aller, welche die Prager theologische Facultät besuchen, daß das dortige theologische Studium das unfruchtbarste und trockenste sei, für Herz und Verstand nichts biete und keinen praktischen Nutzen gewähre. Das liegt wohl auch mit an einem Theile der Lehrkräfte.

Es giebt unter den Lehrern hier allerdings auch tüchtige Männer, wie der Professor der orientalischen Sprachen, ein kleiner lebhafter Mann mit blitzenden Augen, in die er zeitweilig ein Glas klemmt, oder der Lehrer der Moral, eine angenehme Persönlichkeit mit rundem, intelligentem, geröthetem Gesicht, einem an Phlegma grenzenden Gleichmuth und einer großen Gewandtheit in der lateinischen Sprache. Der letztere war der Adlatus des Prager Erzbischofes bei dem letzten Concil zu Rom und hat wohl den größten Antheil an der ursprünglichen Opposition des Cardinals Schwarzenberg gegen das neue Dogma.

Indeß bedeutendere Gelehrte sind immerhin selten, und das ist für den begreiflich, der da weiß, wie man meist Universitätslehrer wird. Wer das Rädchen des Gedächtnisses seiner Zeit als Seminarist am besten schnurren ließ, wer den Rücken am meisten zu krümmen vermochte, wem es ein Vergnügen machte, der peinliche Aufseher seiner Collegen zu sein, der besitzt alle Eigenschaften, auf das Katheder erhoben zu werden. Ob der Mann wirklich einen geistigen Fond, ein geeignetes Wissen, die Gabe des Vortrags besitzt, ist wohl Nebensache – wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand – und so wird denn der gewesene Seminarist Adjunct der theologischen Facultät und klettert an der Leiter der akademischen Würden, geschoben von seinen Gönnern, hinauf bis zum Doctor und Professor. Ein Deutscher hat übrigens selten das Glück, für diese Laufbahn ausersehen zu werden. –

In monotonem Trabe geht das Semester bei fortwährendem „Vorlesen“ und ebenso consequentem Abprüfen zu Ende bis zur Zeit der Examina. Es fehlt einzelnen Prüfungen übrigens nicht an komischen Seiten. So wird z. B. beim Einüben des Taufritus ein hölzernes Wickelkind mit beweglichem Kopfe verwendet, und dieses in aller Form Rechtens getauft, und zwar mit Zuziehung von Pathen und Hebamme, als welche letztere natürlich auch ein Seminarist fungirt.

Ja, Abhülfe thäte hier Noth in mannigfacher Weise. Diese Facultät ist beinahe ein losgerissenes Glied vom Körper der Universität, trägt nicht den Charakter einer Hochschule, sondern blos den einer erzbischöflichen Anstalt.

Ach, daß Lehr- und Lernfreiheit, daß Freiheit im Umgange und Ausgange, im Leben und Studium ihnen gegönnt würde, daß die theologische Facultät in innigste Beziehung zu dem Ganzen der Hochschule träte! Die katholische Kirche würde Priester erhalten, welchen das Leben nicht ganz fremd wäre, welche sich darin mit Anstand zu bewegen wüßten, während jetzt ein Pfaffengeschlecht voll Einseitigkeit und Heuchelei erzogen wird, das zum Theil oberflächliche Zeloten, zum Theil moralisch verkommene Individuen enthält, die für Staat und Kirche nicht nützen. –

Nach drei Jahren kam der Zeitpunkt, an welchem wir die feierliche Ordensprofeß abzulegen hatten. Der Tag fiel in die Ferien, welche wir ohnehin in unserem Kloster zuzubringen gewohnt waren. Drei Tage zuvor hielten wir die üblichen Exercitien in der bereits früher angegebenen Weise ab und gingen von Thür zu Thür, um das Votum der Capitularen zu dem bevorstehenden Acte einzuholen, selbstverständlich eine bloße Formalität, da das Votum wohl niemals verweigert wird.

An dem bestimmten Tage (es müssen seit Ablegung der einfachen Gelübde drei Jahre und ein Tag verflossen sein, weil sonst binnen der folgenden fünf Jahre eine Ungültigkeitserklärung möglich wäre) wurde die eigentliche Feier in aller Frühe und Stille in dem Capitelsaale im Beisein der Capitularen vorgenommen. Es war ein Act, der vielfach an die Einkleidung erinnerte, nur ungleich wichtiger war. Fast dieselben Fragen wurden seitens des Abtes vorgelegt und dieselben Antworten ertheilt. In die Hände des Prälaten wurde knieend das Gelübde des Gehorsams, der Armuth und der Keuschheit abgelegt und mit einem Handkuß besiegelt. Ein neues, zuvor eingesegnetes Ordensgewand wurde angelegt und unter Absingung des Salve regina begab sich der Zug zur Kirche. Damit war der folgenschwere Act eigentlich vorüber, aber zur Erbauung des Publicums wurde derselbe mit weit größerer Feierlichkeit während des Hochgottesdienstes noch einmal wiederholt. In Gegenwart des gesammten Capitels und einer zahlreichen Versammlung von Gläubigen lagen wir vor dem Hochaltare auf dem Angesichte, während der Chor über uns die Litanei zu allen Heiligen betete. Nach deren Beendigung erhoben wir uns auf die Kniee und sangen nun dreimal mit stets erhöhter Stimme: „Suscipe me, domine, secundum eloquium tuum, et vivam“, worauf der Chor entsprechend antwortete. Nun erhoben wir uns der Reihe nach, traten an den Altar und lasen die schon früher niedergeschriebene Profeßformel in lateinischer Sprache vor, worauf dieselbe auf dem Altarblatt in Gegenwart des Abtes und seiner Assistenten eigenhändig unterschrieben und dem äbtlichen Secretäre übergeben wurde. Daß Einigen die Stimme beim Vorlesen, die Hand beim Unterschreiben zitterte, ist wohl begreiflich und verzeihlich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_617.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)