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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

An die Gegner der „Feuerbestattung“.


Das Gute kann nur durch Kampf zur Geltung gelangen. In unserer schnelllebigen Zeit sind sechs Monate ein langer Zeitraum, und fast erfüllte es mich mit Bedauern, daß er verstrich, ohne daß Jemand auf dem Kampfplatze erschienen wäre, um gegen die Feuerbestattung aufzutreten. Alle Stimmen, die ich las oder hörte, waren für die neue Forderung. So erfreulich es ist, im Sinne der Mehrheit gesprochen zu haben, so ist es doch fast erdrückend, wenn von keiner Seite Gegenrede erschallt. Endlich sind einige Gegner aufgetaucht. Wir wollen ihnen antworten. Die Herren „Gegner“ haben es uns so leicht gemacht, daß wir sie zum Theil mit ihren eigenen Waffen schlagen können. Wir haben uns vergeblich nach besseren Mannen umgesehen, von denen wir gern Lehre um Lehre getauscht hätten. Wir müssen uns eben begnügen.

Um hübsch Ordnung und Reihenfolge zu halten, wollen wir zunächst die Feinde der Feuerbestattung in’s Auge fassen, dann die Einwände der (jetzigen) Freunde beantworten und darauf uns zu denjenigen Gegnern wenden, welche wir als künftige Freunde betrachten.

1) Die Feinde. Der Herold hat zum Kampf geblasen und gespornt und gewappnet stürmt unser werther Herr College, Herr „Medicinalrath“ Mohr in Bonn, auf den Kampfplatz, um „Gründe der exacten (!) Naturwissenschaft gegen die Leichenverbrennung“ vorzubringen.

„Man kann die Leuchte der Wahrheit nicht durch das Gedränge tragen,“ sagt Lichtenberg, „ohne einige Perrücken zu versengen.“ Das scheint Herr Mohr in Bonn empfunden zu haben, und er zetert Mordio. Das Ergebniß seiner Darlegung ist: die Leichenverbrennung ist a) „unnütz“, b) „ein Raub an der Erde“, c) „unnatürlich“ und d) „sehr kostspielig“. Diese vier Qualitäten seiner Gegnerschaft wollen wir nun einzeln betrachten.

Also: a) die Leichenverbrennung ist „unnütz“. Hier giebt zuerst Herr Mohr zu, daß der Bewegung für die Leichenverbrennung die menschenfreundliche Absicht zu Grunde liege, den Nachtheil zu entfernen, welchen die verwesenden Leiber den Lebenden bringen. Hierbei widerfahren ihm folgende zwei kleine lustige Sätze, welche wir wortgetreu wiedergeben:

„Die Alten verbrannten ihre Leichen auf einem Holzstoße. Später wurde der Scheiterhaufen auch auf lebende Menschen angewendet, aber auch dadurch konnte man die Verbreitung giftiger Ansteckungsstoffe nicht verhindern.“

Wann und wo wurde der Scheiterhaufen auf lebende Menschen „angewendet“? Antwort: Im Mittelalter unter dem Einflusse der Inquisition gegen Ketzer. Wenn man „auch dadurch“ die Verbreitung „giftiger Ansteckungsstoffe“ nicht hindern konnte, worin bestanden dann diese giftigen Ansteckungsstoffe? Antwort: In Verbreitung der Wahrheit und in Vernunft. – Das sind also Ansteckungsstoffe, vor denen man sich hüten muß – lehrt uns Herr Medicinalrath Mohr.

Später spricht er auch von anderen Ansteckungsstoffen und wagt die kühne Behauptung, daß „die Ansteckung der Cholera, der Pocken, des Scharlachs, der Diphtheritis, des Typhus ‚nur von Lebenden zu Lebenden‘“ geschehe. Was soll man darauf erwidern? Sind die Arbeiten unserer bedeutendsten Aerzte und Hygieiniker vor Herrn Mohr Nichts? Weiß er denn nicht, daß jedes Lehrbuch der Pathologie oder der Hygieine ihn eines Andern belehren kann? Dann ist nur zu wünschen, daß der Herr „Medicinalrath“ Mohr sich an irgend einen „Candidaten der Medicin“ in Bonn wende, damit ihn dieser über den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft belehre. Für uns und unsere Leser ist der Raum der Gartenlaube hierfür zu kostbar.

b) „Ein Raub an der Erde“ soll es sein, wenn die Todten nicht begraben, sondern verbrannt werden. Heiliger Liebig, hilf! Es handelt sich um „Raubbau“.

Und worin besteht der „Raub“? Das Ammoniak wird zerstört. Ammoniak ist aber (nach Mohr) die höchste Leckerei der Pflanzen; Leichenverbrennung, Schießpulver und Eisenbahnen verdienen gleichmäßig einen Kreuzzug, weil sie die Bildung des Ammoniak hindern. Die Leichenverbrennung setzt der Ammoniakverschwendung die Krone auf, und nun muß die Natur zu Grunde gehen. „Wo solch ein Köpfchen keinen Ausweg sieht, stellt es sich gleich das Ende vor.“ Zum Glück steht es nicht so schlimm. Herr Mohr, der Mann der „exacten“ Naturwissenschaft, führt nicht den Nachweis, daß das aus den begrabenen Leichen entstehende Ammoniak auch wirklich den Pflanzen zu Gute komme, Im Gegentheile, er führt Gründe an, weshalb dies nicht geschehe. Er sagt:

„Endlich ist die Beerdigung sowohl das natürlichste, als auch das sicherste Miitel, alle Effluvien (Ausströmungen) zurückzuhalten.“

Also: durch die Beerdigung werden sicher „alle Effluvien“ zurückgehalten; das Ammoniak gehört zu den „Effluvien“ der Leichen; folglich wird auch das Ammoniak zurückgehalten, – folglich ist es für die Pflanzen sehr gleichgültig, ob die Leichen verbrannt oder begraben werden. Im letzteren Falle wird das Ammoniak „zurückgehalten“, und es kommt den Pflanzen nicht zu Gute, im ersteren Falle wird es chemisch verändert und kommt ebenfalls den Pflanzen nicht zu Gute. – Jedermann wird zugeben, daß es den Pflanzen sehr gleichgültig sein kann, was mit dem Ammoniak geschieht, wenn es ihnen doch nicht zu Gute kommt.

Aber die Pflanzen erhalten ja überhaupt das Ammoniak nicht aus den Leichen der Begrabenen. Dieses könnte höchstens den Pflanzen des Friedhofes zu Theil werden. Woher erhalten es die übrigen, viel, viel zahlreicheren Pflanzen? Die zahllose kleine Thierwelt, welche unbegraben verwest, die stickstoffhaltigen Theile der abgestorbenen Pflanzen sind (wie Jedermann weiß) die eigentlichen Quellen des Ammoniak für die grüne Vegetation. Nur Herrn Mohr beliebt es für seinen Zweck, eine andere Quelle anzunehmen. Gesetzt aber, die Pflanzen erlitten im „Ammoniak“ einen Verlust, so erhalten sie dafür Ersatz in einem andern, ihnen kaum minder wichtigen Nährstoffe: in der „Kohlensäure“. Auch dies beweisen wir aus des Herrn Mohr eigenen Worten, welcher sagt:

„Die Kohlensäure findet wieder ihre Verwendung in der Pflanze, und diese Erzeugung ist ein dauernder Raub an der Erde.“

c) Allein die Verbrennung ist „unnatürlich“, denn: „diese beiden Ergebnisse der Cultur, das Schießpulver und die geruchlose Leichenverbrennung, liegen nicht im Plane der Natur, und sie hat kein Mittel, den dadurch bewirkten Verlust zu ersetzen.“

„Liegen nicht im Plane der Natur“! Herr Medicinalrath Mohr ist ein Eingeweihter. Er kennt den Plan der Natur. Wir dachten, es handelte sich (nach der Ueberschrift) um „exacte Naturwissenschaft“. Statt dessen taucht ein Stück längst vergessener Naturphilosophie auf und belehrt uns über den teleologischen „Plan“ der Natur. Der Naturphilosoph Mohr kennt auch die Schätze und Subsidien der Natur ganz genau; er weiß, daß die Natur „keine Hülfsmittel“ dagegen hat. – Arme Natur! Wir Uebrigen haben Dich bisher für reich an Hülfsmitteln gehalten. Aber Herr Mohr weiß das besser. – Weiter ist nichts zu erwidern.

Endlich d) „die Leichenverbrennung ist sehr kostspielig“. – Gegen diesen Einwand führe ich einfach die Thatsache an, daß die Kosten für Verbrennung der Weichtheile und Knochen eines menschlichen Leichnams nach dem von mir erwählten und empfohlenen System etwa drei Mark betragen. Man vergleiche damit die Kosten des „Begrabens“ und man urtheile, ob der Einwand stichhaltig ist oder nicht.

Die Gründe der „exacten“ Naturwissenschaft sind erst noch zu hören. Bis jetzt wurden, wie man sieht, keine derselben vernommen. –

Ein anderer Gegner, Professor J. P. Lange in Bonn, hat nicht die Kühnheit, die „exacte Naturwissenschaft“ als Schild vorzuhalten. Er scheint vielmehr zur theologischen Facultät zu gehören, und wir haben daher keinen Grund, ihm die Unkenntniß der Naturwissenschaften und des Verbrennungsverfahrens vorzuwerfen. Er kennt z. B. nicht die Kennzeichen des eingetretenen Todes, und alle von ihm in dieser Beziehung gegen die „Physiologie“ gerichteten Worte sind ohne jede Begründung. – Ebenso ist es unbegründet, wenn er glaubt, die Leichen, welche zu anatomischen Uebungen und Lehrvorträgen gedient haben, könnten nicht verbrannt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_608.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)