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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

nur Dein Kind geliebt, mich nie. Um seinetwillen konntest Du mit allen Vorurtheilen Deiner Erziehung brechen und eine Andere werden, für Deinen Gatten hast Du das nicht gekonnt.“

„Hat er mir denn je Liebe gegeben, wie ich sie bei meinem Knaben fand?“ fragte Ella mit verschleierter Stimme. „Laß’ das, Reinhold! Du weißt, wer zwischen uns steht und ewig stehen wird.“

„Beatrice? Ich will sie nicht anklagen, obgleich sie mehr Schuld an meiner damaligen Entfernung trug, als Du vielleicht glaubst. Gleichviel, ich war immer Herr meines Willens – warum unterlag ich dem Zauber! Aber wenn ich jetzt seinen Trug erkannt habe und mich davon losreiße –“

„Willst Du sie verlassen, wie Du mich einst verlassen hast?“ unterbrach ihn die junge Frau mit vernichtendem Vorwurfe. „Meinst Du, daß das uns versöhnen würde? Ich habe den Glauben an Dich verloren, Reinhold, und der wird mir nicht wiedergegeben, wenn Du jetzt noch eine Zweite opferst. Ich habe keinen Grund, diese Biancona zu schonen oder zu achten, aber sie liebt Dich; sie hat Dir Alles geopfert, und Du selbst gabst ihr jahrelang ein unbestrittenes Recht auf Deinen Besitz. Wenn Du auch jetzt die selbstgeschmiedete Fessel zerreißen wolltest, uns trennt sie dennoch auf immer. Es ist zu spät; ich kann Dir nicht mehr vertrauen.“

Es klang ein grenzenloses Weh aus den letzten Worten, aber zugleich eine unbeugsame Festigkeit. In der nächsten Minute hatte Ella das Zimmer verlassen. Reinhold war allein.




Es war am Tage, welcher der Festlichkeit folgte, schon gegen Abend, als Capitain Almbach in das Empfangszimmer Reinhold’s trat.

„Ist mein Bruder noch immer nicht sichtbar?“ fragte er den ihm begegnenden Diener.

Dieser zuckte die Achseln und zeigte hinüber nach der geschlossenen Thür des Arbeitszimmers.

„Sie wissen ja, Signor, daß wir nicht stören dürfen; Signor Rinaldo hat sich eingeschlossen.“

„Schon seit heute Morgen,“ murmelte der Capitain. „Das fängt nachgerade an beängstigend zu werden. Ich muß durchaus wissen, was da vorgefallen ist.“

Er ging an die Thür des Arbeitszimmers und pochte in einer Weise, die nicht überhört werden konnte.

„Reinhold, öffne! Ich bin es.“

Von drinnen erfolgte keine Antwort.

„Reinhold, ich habe heute bereits zweimal vergebens Einlaß bei Dir verlangt. Wenn Du jetzt nicht öffnest, so nehme ich an, daß ein Unglück geschehen ist, und sprenge in der nächsten Minute die Thür.“

Diese Drohung schien endlich zu fruchten; man hörte Schritte drinnen im Zimmer. Der Riegel wurde zurückgeschoben, und Reinhold stand vor dem rasch eintretenden Bruder und sagte ungeduldig:

„Wozu die Störung? Kann ich denn nie allein sein?“

„Nie?“ fragte Hugo vorwurfsvoll. „Seit heute Morgen bist Du unzugänglich für Jeden, sogar für mich, und Dein Gesicht zeigt, daß Du jetzt eher alles Andere ertragen kannst als das Alleinsein. Diese unglückliche Soirée gestern! Der Himmel weiß, was da mit Euch Allen vorgegangen ist! Ella war auf einmal aus dem Saale verschwunden, und ich bin überzeugt, Ihr habt Euch gesprochen. Marchese Tortoni, der gleichfalls unsichtbar wurde, kommt mit einer Miene zurück, als habe er soeben sein Todesurtheil vernommen, und verläßt in der nächsten Minute die Gesellschaft. Dich finde ich in der Galerie in einer Aufregung ohne Gleichen, und Donna Beatrice sieht aus wie das jüngste Gericht, als sie in den Wagen steigt. Ich wette darauf, sie allein hat wieder das ganze Unheil angestiftet. Was hast Du mit ihr?“

Reinhold verschränkte die Arme und sah finster zu Boden. „Jetzt nichts mehr – wir sind zu Ende.“

Der Capitain trat in jähem Erstaunen zurück. „Was soll das heißen? Du begleitetest sie ja.“

„Gewiß! Sie wußte das zu ertrotzen, und da kam es denn endlich zur Entscheidung zwischen uns.“

„Du hast mit ihr gebrochen?“ fragte Hugo.

„Ich – nein,“ versetzte Reinhold mit einem bitteren Ausdruck. „Es war mir ja deutlich genug gesagt worden, daß ich keine ‚Zweite‘ opfern dürfe. Beatrice war es, die den Bruch gewaltsam herbeiführte. Warum mußte sie mich auch zu einer Unterredung zwingen, so unmittelbar nachdem mir klar geworden war, was ich um ihretwillen verloren habe. Sie stellte mich zur Rede über mein Denken und Fühlen, und ich gab ihr die Wahrheit, die sie verlangte – schonungslos vielleicht, aber wenn ich grausam war, so hat sie mich zehnfach dazu herausgefordert.“

„Ich kann es mir denken, wie ich die Biancona kenne,“ sagte Hugo halblaut.

„Wie Du sie kennst?“ wiederholte sein Bruder. „Glaube das nicht! Habe ich selbst sie doch erst gestern Abend ganz kennen gelernt. Es war eine Scene – ich sage Dir, Hugo, auch Du mit all Deiner Energie wärest ihr nicht gewachsen gewesen. Man muß selbst etwas vom Dämon in sich haben, um solch einem Weibe Stand zu halten. Die Stunde drückte das Siegel auf unsere Trennung.“

Es bebte ein dumpfer Groll in den Worten, aber ein Aufathmen, eine Erleichterung verriethen sie nicht. Der Capitain schüttelte den Kopf.

„Ich fürchte, die Geschichte ist damit noch keineswegs zu Ende. Diese Beatrice ist keine Frau, die sich in ohnmächtigen Thränen verzehrt. Sei auf Deiner Hut, Reinhold!“

„Sie drohte mir mit ihrer ganzen Rache,“ sagte Reinhold finster. „Und wie ich sie kenne, wird sie das halten. Mag sie doch! Ich zittere nicht vor dem, was ich selbst heraufbeschwor – mit dem Glücke habe ich ja ohnehin abgeschlossen.“

„Und wenn jene Trennung unwiderruflich bleibt, glaubst Du nicht an die Möglichkeit einer Versöhnung mit Ella?“ fragte der Capitain ernst.

„Nein, Hugo, das ist vorbei. Ich weiß, daß sie nicht vergessen kann. In ihrem Herzen spricht auch nicht eine Stimme mehr für mich, wenn sie überhaupt je gesprochen hat. Die Kluft zwischen uns ist zu weit und zu tief; es führt keine Brücke mehr hinüber. Ich habe die letzte Hoffnung aufgegeben.“

Das Gespräch der beiden Brüder wurde in diesem Augenblicke durch Jonas unterbrochen, der rasch eintrat. Reinhold sah unwillig auf, als der Diener seines Bruders sich erlaubte, sein Arbeitszimmer so ohne Weiteres zu betreten, und Hugo hatte bereits einen Verweis auf den Lippen, als ein Blick auf das Gesicht des Matrosen ihn innehalten ließ.

„Was giebt es, Jonas?“ fragte er unruhig. „Bringst Du irgend etwas Besonderes?“

„Herr Capitain!“ – die Stimme des Matrosen hatte ganz und gar ihren sonstigen ruhigen Klang verloren; sie zitterte hörbar – „Ich komme eben aus dem Erlau’schen Hause – Sie wissen ja, daß ich jetzt oft dahin gehe – der alte Herr ist außer sich; die ganze Dienerschaft ist auf den Beinen – die Annunziata weint sich die Augen aus, obgleich sie doch wahrhaftig keine Schuld hat – und die junge Frau Erlau nun erst –“

„Was ist geschehen?“ fuhr Reinhold in ahnender Angst empor. „Ein Unglück?“

„Das Kind ist fort,“ sagte Jonas verzweifelt, „schon seit heute Mittag. Wenn sie es nicht wiederfinden, ich glaube, das geht der Mutter an’s Leben.“

„Wer? Der kleine Reinhold?“ forschte Hugo, während sein Bruder keines Wortes mächtig den Unglücksboten anstarrte. „Wie konnte das geschehen? War er denn nicht unter Aufsicht?“

„Er spielte im Garten, wie gewöhnlich,“ berichtete Jonas, „und die Annunziata war bei ihm. Sie geht nur auf eine Viertelstunde in’s Haus – das kommt öfter vor. Als sie zurückkommt, ist die Gartenthür offen, das Kind fort, keine Spur von ihm zu finden. Sie haben schon die ganze Nachbarschaft aufgeboten, die ganze Umgegend durchsucht, aber Teiche oder Gräben, wo der Kleine verunglücken könnte, giebt es ja nicht in der Nähe, und wenn er fortgelaufen wäre, so ist er ja am Ende groß genug, sich wieder zurecht zu finden. Kein Mensch kann sich die Geschichte erklären.“

Die Blicke der Brüder begegneten sich. In Beider Augen stand derselbe furchtbare Gedanke. In der nächsten Minute schon riß Reinhold, leichenblaß und an allen Gliedern bebend vor Aufregung, seinen Hut vom Tische.


(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_590.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)