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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

von der Brust, was ich mondenlang mit mir herumgetragen habe, und da Du sonst unerreichbar für mich bist, so wirst Du mich hier und jetzt anhören. Du wirst, sage ich.“

Er ergriff ihren Arm, um sie gewaltsam zurückzuhalten; in demselben Augenblicke aber erschien Marchese Tortoni in der Thür und trat fast stürmisch zwischen Beide.

Reinhold ließ den Arm seiner Gattin fahren und wich zurück. Cesario’s Aussehen verrieth ihm, daß dieser wenigstens die letzte Scene mit angesehen haben müsse; mit finsterer Stirn und ernstem Blicke stellte sich der Marchese sofort an die Seite der jungen Frau.

„Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten, Signora?“ sagte er sehr entschieden. „Ihr Herr Oheim ist bereits in Sorge wegen Ihrer Abwesenheit. Sie gestatten wohl, daß ich Sie zu ihm begleite.“

Reinhold war bereits Herr seiner Ueberraschung geworden, nicht aber Herr seiner Aufregung. Die Störung in einem solchen Augenblick reizte ihn auf’s Aeußerste, und der Anblick Cesario’s an der Seite seiner Frau raubte ihm vollends die Fassung.

„Ich bitte, daß Sie sich entfernen, Cesario,“ sagte er heftig und gebieterisch, mit jener Ueberlegenheit, die er von jeher über seinen jungen Freund und Bewunderer ausgeübt hatte, aber er vergaß, daß er bei diesem jetzt nicht mehr im Vordergrunde stand. Die Augen des Marchese blitzten vor Entrüstung, als er erwiderte:

„Der Ton Ihrer Bitte ist so seltsam, Rinaldo, wie die Bitte selbst; Sie werden es daher begreiflich finden, wenn ich ihr nicht nachkomme. Ich habe allerdings nicht die deutschen Worte verstanden, die Sie mit Signora Erlau wechselten, aber ich sah doch, daß sie zum Bleiben gezwungen werden sollte, wo sie zu gehen wünschte. Ich fürchte, daß sie des Schutzes bedarf – befehlen Sie über mich, Signora!“

Sie wollen sie gegen mich schützen?“ rief Reinhold auffahrend. „Ich verbiete Ihnen, sich dieser Dame zu nahen.“

„Sie scheinen zu vergessen, daß es sich hier nicht um Signora Biancona handelt,“ sagte der Marchese schneidend. „Dort mögen Sie ein Recht haben, zu verbieten oder zu erlauben, hier aber –“

„Hier habe ich es mehr als jeder Andere.“

„Sie lügen.“

„Cesario! Das Wort werden Sie mir bezahlen,“ brauste Reinhold auf.

„Wie es Ihnen beliebt,“ gab der Marchese ebenso heftig zurück.

Ella hatte es bisher vergebens versucht, die drohenden, Schlag auf Schlag fallenden Reden der wild erregten Männer zu unterbrechen; man hörte nicht auf sie, aber die letzten Worte, deren Bedeutung sie nur zu gut verstand, zeigten ihr die ganze Gefahr dieses unseligen Zusammentreffens. Rasch entschlossen trat sie dazwischen und rief mit einer Entschiedenheit, die ihr selbst in dieser Minute Gehör erzwang:

„Marchese Tortoni, gehen Sie nicht weiter! Es ist ein Mißverständniß.“

Cesario wandte sich sofort zu ihr. „Verzeihung, Signora! Wir vergaßen Ihre Gegenwart,“ sagte er ruhiger. „Aber Sie übersehen, daß in den Worten Signor Rinaldo’s eine Beleidigung für Sie liegt, die ich nicht gesonnen bin, zu dulden. Ich kann und werde meine Worte nicht zurücknehmen, es sei denn, Sie selbst überzeugten mich, daß er sich im Rechte befindet.“

Ella rang in qualvollster Unentschlossenheit mit sich selber. Reinhold stand stumm und düster; sie sah, daß er jetzt nicht sprechen würde, daß er sie mit diesem Schweigen zwingen wollte, ihn zu verleugnen oder als Gatten anzuerkennen, aber ihn verleugnen, hieß hier das Schlimmste herbeirufen. Die Beleidigung war einmal gefallen, und bei dem Charakter der beiden Männer war ein blutiger Zusammenstoß unvermeidlich, wenn sie nicht zurückgenommen wurde. Der jungen Frau blieb keine Wahl mehr.

„Signor Rinaldo geht zu weit, wenn er jetzt noch Rechte beansprucht, die er einst besaß,“ entgegnete sie endlich. „Eine Beleidigung aber lag in seinen Worten nicht, er sprach – von seiner Gattin.“

Reinhold athmete tief auf – also endlich bekannte sie sich doch dazu, und das vor Cesario. Dieser aber stand wie vom Blitz getroffen. Wie oft er auch schon nach der Lösung des Räthsels gesucht haben mochte, eine solche hatte er nicht erwartet.

„Von seiner Gattin?“ wiederholte er fast betäubt.

„Wir sind schon seit Jahren getrennt,“ sagte Ella tonlos.

Diese Erklärung gab dem Marchese seine ganze Fassung zurück. Er errieth sofort den Grund der Trennung, kannte er doch Beatrice Biancona. Der eine Name machte ihm Alles klar und ließ ihm keinen Zweifel darüber, auf wessen Seite hier die Schuld lag. Der Capitain hatte Recht mit seiner Annahme; die Entdeckung ließ Cesario, anstatt ihn zurückzuschrecken, vielmehr aufflammen in leidenschaftlicher Parteinahme für die geliebte und gekränkte Frau.

„Nun denn, Signora,“ sagte er rasch, „so steht es ja nur bei Ihnen, ob Sie einen Anspruch anerkennen wollen, den Reinhold auf eine Vergangenheit stützt, die nicht mehr existirt, und die er wohl selbst vernichtet hat. Sie allein haben darüber zu entscheiden, ob ich Ihnen noch ferner nahen, ob ich Ihnen auch in Zukunft ein Gefühl weihen darf, von dem ich offen bekenne, daß es mehr ist als nur die kalte Bewunderung eines Fremden, und das Sie eines Tages werden annehmen oder verwerfen müssen.“

Er sprach mit der ganzen Gluth einer lang zurückgehaltenen Empfindung, aber auch mit dem edlen unerschütterlichen Vertrauen eines Mannes, dem das Geliebte über allen Zweifel erhaben ist, und die Sprache war unzweideutig genug; sie drängte unabweisbar zu einer Entscheidung, vor der die junge Frau zurückbebte.

„Ja wohl, Eleonore, Du wirst entscheiden,“ nahm jetzt auch Reinhold das Wort. Die Stimme klang auf einmal unnatürlich ruhig, aber der Blick, der unverwandt an dem Antlitze seiner Gattin hing, mit einem Ausdrucke, als sollte in der nächsten Minute das Urtheil über Leben und Tod von ihren Lippen fallen, zeigte besser, wie es um ihn stand. Eine Secunde lang begegneten sich die Augen der Beiden, und Ella hätte kein Weib sein müssen, hätte sie jetzt nicht gesehen, daß die vollste und vernichtendste Rache in ihrer Hand lag. Ein einziges Ja aus ihrem Munde rächte Alles, was sie je erduldet. Langsam wandte sie sich zu Cesario.

„Marchese Tortoni – ich bitte Sie, davon abzustehen – ich betrachte mich noch als gebunden.“

Eine kurze, inhaltschwere Pause folgte den Worten. Ella sah, wie in den schönen Zügen des jungen Italieners ein tiefer Schmerz mit dem Stolze des Mannes kämpfte, der nicht zeigen wollte, wie tief er getroffen war; sie sah es, wie er sich, ohne ein Wort zu sprechen, vor ihr verneigte und sich zum Gehen wandte; den Blick nach der andern Seite zu richten, dazu fehlte ihr der Muth.

„Cesario!“ rief Reinhold, der wie in aufflammender Reue einen Schritt ihm nach that. „Wir sind Freunde.“

„Wir waren es,“ entgegnete der Marchese kalt. „Sie begreifen doch wohl, Reinhold, daß diese Stunde uns trennt. Meine Beschuldigung gegen Sie muß ich allerdings zurücknehmen; die Erklärung Ihrer Gemahlin spricht Sie frei davon – leben Sie wohl, Signora!“

Er ließ die beiden Gatten allein. Keiner von ihnen sprach während der nächsten Minuten. Ella beugte sich tief über eins der duftenden Blumengewächse, und ein paar Thränen fielen herab auf die breiten glänzenden Blätter. Da streifte ihr Name wie ein zitternder Hauch an ihrem Ohre vorüber – sie schien es nicht zu hören.

„Eleonore!“ wiederholte Reinhold.

Sie hob das Auge zu ihm empor. Noch stand ein tiefer Schmerz in ihrem Antlitz, aber die Stimme klang schon wieder völlig beherrscht.

„Was habe ich denn gesagt? Daß ich nie von der Freiheit Gebrauch machen werde, die Dein Schritt mir gab? Das stand ohnedies fest von Anbeginn. Die Erfahrungen meiner Ehe schützen mich vor jeder zweiten. Ich habe ja mein Kind, und damit den Zweck und das Glück meines Lebens. Einer andern Liebe bedarf ich nicht.“

„Du freilich nicht,“ sagte Reinhold mit zuckender Lippe, „und mein Schicksal ist Dir ja gleichgültig. Du hast von jeher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_589.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)