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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Der König geht auf ihn zu, nimmt den Thaler des Kutschers in die Hand und hält diesen in die nächste Nähe des küchenmeisterlichen Mundes.

„Da – ess’ Er!“

„Majestät – ich –“

„Ess’ Er!“

„Majestät – wie kann ich –“

„Er kann nicht? – Hm! – Kutscher soll aber können! – Kann er satt werden von Thaler, wenn Hunger hat? Leute sollen Essen haben, nicht Thaler – ich will’s!“

Die derbe Logik des Königs soll vom besten Erfolge gewesen sein.

Chronologisch gehört hierher auch eine andere kleine Mittheilung meines liebenswürdigen Gewährsmannes. Hat sie auch mit der Person des Königs direct durchaus nichts zu thun, so fällt sie doch in seine Zeit und mag darum hier Platz finden.

In den ersten Decennien dieses Jahrhunderts lebte in Potsdam der alte General von P. als Pensionär. Er hatte seine militärische Carrière als Cornet unter dem großen Fritz begonnen. Der alte General war stets ein tüchtiger Haudegen gewesen, aber Alles, was über den Begriff der streng militärischen Bildung hinausging, war ihm eine terra incognita. Seine sonstigen sonderbaren Manieren machten ihn sehr häufig zur Zielscheibe von kleinen Scherzen der jüngeren Officiere. Friedrich Wilhelm der Dritte hörte von solchen Scherzen sehr ungern und hatte immer eine höchstpersönliche Genugthuung für den alten Herrn bereit. Aber einmal hat er doch auch herzlich über den General von P. lachen müssen und zwar wegen des Folgenden:

Der frühere napoleonische Marschall Bernadotte hat es bekanntlich bis zum Könige von Schweden gebracht. Sein Sohn und späterer Nachfolger war einige Jahre vor seiner Thronbesteigung, während einer Reise auf dem Continente der Gast des Berliner Hofes. Der hohe Reisende ließ es sich während seines Aufenthaltes sehr angelegen sein, die Sehenswürdigkeiten der Residenzstädte Berlin und Potsdam kennen zu lernen. So durchwanderte die schwedische Hoheit auch eines Tages in Begleitung eines zahlreichen Gefolges, unter welchem sich auch der alte General von P. befand, die Gärten von Sanssouci und dessen Umgebungen. Eine – zur damaligen Zeit wenigstens – sehr primitive Fähre führte über einen kleinen Flußarm. Zu beiden Seiten dieses Flußarmes befanden sich damals – ob noch heute, konnte mein greiser Erzähler nicht behaupten – mehrere nicht sehr kunstvoll ausgefallene Statuen berühmter Männer, unter anderen die des schwedischen Helden im dreißigjährigen Kriege, des Königs Gustav Adolf. Als der hohe Gast mit seinem Gefolge in die Nähe des Steinbildes seines großen Vorgängers gekommen war, machte ihn Jemand auf die Statue aufmerksam. Der Kronprinz von Schweden, der Sohn des französischen Marschalls Bernadotte, blieb einen Augenblick stehen, mit forschendem Blicke das Antlitz des Steinbildes musternd. Da ließ sich plötzlich während der allgemeinen Stille die halblaute Stimme des Generals von P. hören, der seinem nächsten Nachbar bemerkte:

„Es ist doch sonderbar mit der Familienähnlichkeit! – Vergleichen Sie einmal, meine Herren! – Die Züge Sr. Hoheit ähneln doch auf das Täuschendste dem Antlitze seines erlauchten Ahnherrn, dessen Statue er jetzt so forschend betrachtet!“

Nicht alle Herren aus dem Gefolge vermochten hier eine berechtigte Heiterkeit zu unterdrücken. Der Kronprinz von Schweden bemerkte diese Heiterkeit. Im Weiterschreiten frug er einen seiner distinguirtesten Begleiter nach der Ursache. Als ihm Bescheid geworden, theilte er diese Heiterkeit vollständig. Friedrich Wilhelm der Dritte und sein Gast sollen über die tiefsinnige Betrachtung des General von P. herzlich gelacht haben.

Für seinen „Herrn“, den Kaiser Wilhelm, schwärmte er aus vollem, treuem Soldatenherzen. Am 22. März, dem Geburtstage des hohen Herrn, begab ich mich zu dem Oberst. Ich fand ihn in voller Uniform, mit seinen Orden und Ehrenzeichen geschmückt. Es läßt sich nicht leugnen, die Uniform übt einen magischen Einfluß auf einen alten Militär. Der Greis des Civilrocks verschwindet und der alte Soldat reckt und streckt sich noch einmal zu früherer Strammheit, sobald er in „seines Königs Rock“ steckt. Ich machte dem alten Herrn mein Compliment über seine stattliche Erscheinung. Er seufzte trotz der Heiterkeit, die entschieden auf seinem freundlichen Gesichte thronte.

„Zu Ehren meines Herrn trage ich nochmals die Uniform! – Ich ahne, es ist zum letzten Male! –“

Zwei Monate später ist er heimgegangen, der älteste Officier des ersten Garderegiments z. F. Er ruhe in Frieden! –

Arno Hempel.




Schulze-Delitzsch in Frankreich. Auch Schulze-Delitzsch hat bekanntlich zu der großen Anzahl hervorragender Vertreter der deutschen Demokratie, der deutschen Wissenschaft und Geistesbewegung gehört, die in und nach dem Kriege von 1870 und 1871 mit dem vollen Gewichte ihres ermuthigenden Zeugnisses, der ganzen Kraft ihres Urtheils und ihrer Ueberzeugungen, für den nationalen Gedanken und für den gerechten Kampf ihres Vaterlandes eingetreten sind. Es hat sich diese patriotische Gesinnung des bewährten Freiheitsmannes und socialen Organisators, abgesehen von sonstigen Aeußerungen, ganz unzweideutig in den drei offenen Briefen ausgeprägt, die er an den Italiener Vigano über die Frage geschrieben, ob Deutschland nach dem Tage bei Sedan von einer weiteren Verfolgung des Krieges hätte abstehen sollen oder können; sie hat sich ferner mit aller Schärfe und Wärme in einem Vortrage offenbart, den Schulze erst vor Kurzem in Leipzig gehalten und unter der Ueberschrift „Deutschland und Frankreich nach dem Frieden“ in Lindau’s „Gegenwart“ veröffentlicht hat. Bestimmte Anzeichen machen es unzweifelhaft, daß man diese Manifestationen in Frankreich kennt und beachtet hat, es ist gewiß, daß der Verfasser derselben bei allen Chauvinisten, allen Wortführern des französischen Haß- und Revanchegeistes, ein wenig beliebter Name ist.

Ob dieser lärmende Haufe drüben an Einfluß verloren, oder ob nur einzelne Besonnene allmählich den Versuch machen, dem einschüchternden Wuthgeschrei einer sinn- und gedankenlosen Tollheit entgegen zu wirken? Noch läßt sich darüber Bestimmtes nicht sagen. Gegenüber den wüsten und meistens sehr pöbelhaften Verkleinerungen deutschen Geistes und Wesens aber, durch welche in den letzten Jahren die Intelligenz Frankreichs sich nur selber herabgewürdigt und in wahrhaft mitleiderregender Weise blamirt hat, erscheint es immerhin als ein Symptom mehr beruhigter Stimmungen, daß gegenwärtig schon die französische Uebersetzung eines deutschen Buches, des berühmten „Arbeiterkatechismus“ von Schulze-Delitzsch, sich in Paris mit der ausgesprochenen Absicht an das Licht wagen darf, den Franzosen hier etwas Bedeutsames zu lehren, was sie in ihrer eigenen Literatur und Culturbewegung nicht aufzuweisen haben.

Herr Benjamin Rampal ist es, der den Muth hatte und es für eine „Pflicht des Patriotismus“ hielt, seinen wider unsere Nation nur in leidenschaftlichen Zornausbrüchen sich ergehenden Landsleuten dieses Kleinod deutscher Geistesarbeit so unbefangen und ruhig darzubieten, wie heute noch bei uns jede irgend werthvolle französische Leistung aufgenommen wird. Nur einmal berührt er dabei den nationalen Widerstreit, indem er die Ueberzeugungen Schulze’s in Betreff der französischen Politik zu widerlegen sich bemüht. Es geschieht das aber nicht in der unverschämten Weise eines Alexander Dumas jun. und des Pariser Preßpöbels, sondern in einem Tone maßvoller Erörterung, der Achtung und Theilnahme erwecken muß.

Das bezeichnete französische Werk ist bei Guillomin und Compagnie in Paris erschienen und führt den Titel „Cours d’Économie politique à l’usage des Ouvriers et des Artisans par Schulze-Delitzsch“. Erst der zweite Band enthält die sehr geschickte und sorgfältige Uebersetzung des „Arbeiterkatechismus“, während der erste einleitende Theil eine ausführliche Biographie und Würdigung Schulze’s, ein wahrheitsgetreu und in warmen Zügen entworfenes Bild seiner Persönlichkeit, seines Lebens und Wirkens auf dem politischen und wirthschaftlichen Felde bietet, sowie eine kritisch-wissenschaftliche Beleuchtung des Genossenschaftswesens, seiner Entwickelung und der dieser großen Schöpfung zu Grunde liegenden ökonomischen Gedanken. Auch der bekannte Brief an Lassalle in Betreff der „Aufhebung des Risico“, sowie viele andere bezeichnende und eingreifende Stellen aus den Vorträgen Schulze’s sind zur Ergänzung der ebenso gediegenen als eindrucksvollen Schilderung mitgetheilt. In der Vorrede sagt der Biograph und Uebersetzer von dem „Arbeiterkatechismus“: „Wir kennen weder in unserer Literatur, noch in der Literatur eines anderen Volkes eine Arbeit, die in einer so gemeinfaßlichen Darstellung besser die großen Fragen behandelt, die in so außerordentlichem Grade die Geister des civilisirten Europa beschäftigen. Gegenüber den tiefen socialen Zerwürfnissen, welche die französische Gesellschaft spalten, haben wir es für eine patriotische Pflicht gehalten, die Stimme eines Mannes sprechen zu lassen, dessen Leben dem Studium jener heißen Fragen gewidmet war und dessen Autorität die doppelte Weihe der Wissenschaft und der praktischen Erfahrung erhalten hat.“

Es ist nur ein Buch, um das es sich handelt, aber die Erscheinung hat für uns in zweifacher Hinsicht etwas Tröstliches. Indem sie die gebildete französische Welt nach einer bestimmten Seite hin zu einer ruhigen Beschäftigung mit deutschem Leben, Leisten und Wirken auffordert, die nur günstig auf das Entstehen versöhnlicher Neigungen wirken kann, bahnt sie zugleich dem Werke unseres Schulze-Delitzsch, den Grundsätzen der Selbsthülfe und der Genossenschaftsbewegung neue Wege, auf denen ihre erlösende und versöhnende Kraft sich bewähren kann.




Noch eine Erinnerung an David Friedrich Strauß. Einer meiner Freunde, ein alter Apotheker, hatte im Jahre 1864 im Bade Homburg das Glück, den berühmten Verfasser vom „Leben Jesu“ kennen zu lernen und sich mehrere Wochen lang seines und seiner liebenswürdigen Familie täglichen Umganges zu erfreuen. Mein Freund, der sich etwas mit Naturwissenschaften beschäftigte, pflegte dort nicht allein Pflanzen und Steine, sondern auch Land- und Wasserschnecken zu sammeln, was auch auf den gemeinschaftlichen Spaziergängen mit der Familie Strauß geschah und den großen Gelehrten sehr zu interessiren schien. Als nun mein Freund vor seiner Abreise den Wunsch äußerte, für seine Autographensammlung ein paar Zeilen von Strauß zu erhalten, erhielt er nach wenigen Stunden von ihm folgendes allerliebste Gedicht:

Der Knabe jagt nach Schmetterlingen,
Die sich von Blum’ zu Blume schwingen,
Der rasche Lauf ist ihm Genuß.
Der Mann an hellen Wintertagen
Liebt es, das flücht’ge Wild zu jagen
Im rauhen Forst mit schnellem Fuß.

Als Jäger wollen wir, die Alten,
Uns weislich an die Schnecken halten,
Die laufen uns nicht zu geschwind.
Und wenn auch sie uns noch ermüden,
So wenden wir uns zu den Blüthen,
Die bleiben ruhig, wo sie sind.

Indessen nicht im Schneckengange
Enteilt das Leben; aber bange
Macht uns sein rasches Schwinden nicht.
Bereitet sind wir längst und fertig,
Als reife Früchte still gewärtig,
Bis uns die Hand des Gärtners bricht.

Dem werthen Botaniker und Conchyliologen Herrn D.... zum Andenken an den gemeinsamen Aufenthalt in Homburg

Im Juli 1864. von

 D. F. Strauß.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_586.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2021)