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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und mit wahrer Bescheidenheit, und von Anderen mit aufrichtigem Wohlwollen. Man fand ihn im Leben, wie man ihn in seinen Dichtungen findet. „Mes chansons, c’est moi,“ hat er gesungen, und sobald man ihn persönlich kennen lernte, überzeugte man sich von der vollen Wahrheit dieser Worte.

Und dieser Mann hatte nicht nur erbitterte Feinde unter den Pfaffen und Reactionären, er hatte auch zahlreiche Widersacher unter den Republikanern. Sie erklärten ihn für einen Komödianten, der seine eigene Rolle spiele. Seine Uneigennützigkeit, seine Verachtung aller irdischen Güter, seine unbegrenzte Wohlthätigkeit, seine Zurückgezogenheit vom Geräusche der Welt: dies Alles war ihnen blos eine auf Effect berechnete und mit Talent durchgeführte Rolle. Nun, wenn Béranger ein Komödiant war, so hätte man zu wünschen, daß es Tausende solcher Komödianten gäbe. Wir armen harmlosen Zuschauer würden dann die Darstellungen auf der Weltbühne gewiß viel erbaulicher und erquicklicher finden.

Während Béranger sprach, warf ich mehrere Male einen Blick auf seine fünfundsiebenzigjährige Freundin, welche, in die Lectüre vertieft, sich an der Unterhaltung nicht betheiligte. Es war dies die zweite, des Poeten würdige Lisette. Die erste Lisette, welche Béranger in seinen ersten Liedern besungen, war ein Schmetterling von der flatterhaftesten Art. Als Béranger sie kennen lernte, hatte er kaum das siebenzehnte Jahr zurückgelegt, hatte sie kaum das sechszehnte Jahr erreicht. Sie war schön, liebenswürdig und gutmüthig, aber auch sehr launenhaft und sehr leichtsinnig. Béranger’s Verhältniß zu ihr dauerte nicht lange; denn bevor noch ein Jahr dahin geschwunden, verschwand sie selbst spurlos wie Schiller’s Mädchen aus der Fremde.

In dieser Lisette hatte Béranger nichts verloren als eine Maitresse. Er sollte bald eine treu ergebene, edelgesinnte und gebildete Freundin in Judith Frère finden. Fräulein Frère, die zweite Lisette, lebte mit dem Dichter seit 1798, seit siebenundfünfzig Jahren. Sie war in ihrer Jugend sehr schön gewesen. Man bewunderte an ihr die klaren blauen Augen, den tadellosen Wuchs, das wallende blonde Haar und die sanften Gesichtszüge; noch mehr aber bewunderte man an ihr das biedere edle Herz, die aufopferungsfähige Treue und das unermüdliche Streben nach geistiger Vervollkommnung. Sie war sehr unterrichtet und suchte ihre Erholung in der Lectüre. Ich betrachtete ihre gefurchte Stirn und erinnerte mich dabei der herzlichen Verse, die Béranger seiner „Alten“ gewidmet. Sie war drei Jahre älter als er; doch hoffte er, daß sie ihn überleben würde. Diese Hoffnung wurde nicht erfüllt. Zwei Jahre nach meinem Besuche ward sie ihm entrissen, nachdem sie fast zwei Menschenalter an seiner Seite gelebt. Der greise Chansonnier folgte ihr einige Monate später in’s Grab.




Im Weltengarten.


Von Dr. Hermann J. Klein.


Es liegt tief in des Menschen Natur begründet, daß er gern und oft den Blick emporwendet zu der nächtlich leuchtenden Sternenschaar an der weiten Himmelsdecke, und daß er sehnsüchtig eindringen möchte in Natur und Wesen der funkelnden Himmelslichter, die da droben schweigend ihre uralten Kreise ziehen. Wohl Niemand giebt es, der, aufblickend zu den Sternen, nicht schon gedacht hätte, was das englische Volksliedchen in den Versen ausdrückt:

Funkle, funkle, schöner Stern,
Was du bist, wie wüßt’ ich’s gern!

Was du bist, wie wüßt’ ich’s gern! Das haben Millionen von Menschen Jahrtausende hindurch gedacht, wenn sie das sternbesäete Himmelsgewölbe betrachteten und sehnsüchtige Blicke hinüberschweifen ließen in jene hohen Regionen, deren Durchforschung auf ewig dem Menschengeiste entzogen schien. Aber im Laufe der Zeiten und mit dem Fortschritte der Wissenschaften ist das Unmöglichscheinende zur Wirklichkeit geworden. Von der engen kleinen Warte Erde aus, auf die ihn ein freundliches Geschick gestellt, ist der menschliche Geist emporgestiegen bis in jene entlegenen Regionen, wo die Sonnen wandeln, welche den Gürtel des Orion bilden und wo in dem schimmernden Streifen der Milchstraße „wie Gras der Nacht Myriaden Welten keimen“. Und nicht allein die Gegenwart im Baue des uns sichtbaren Theiles der Welt hat der Mensch erkannt, sondern auch die Vergangenheit liegt vor seinen Blicken. Jahrmillionen hat er durchmessen und gefunden, daß es einst eine Zeit gab, wo die Milchstraße, welche heute ihren mildleuchtenden Gürtel um den Himmel zieht, nicht vorhanden war, und daß eine Zeit kommen wird, in der die Sternenbilder zerrissen sind, die uns noch leuchten, wie sie einst den sidonischen Seefahrern den einsamen Pfad auf den graulichen Wogen des Oceans zeigten.

Die Alten haben, wie bereits bemerkt, von der Natur der Sterne und ihrer Stellung zu einander sowie der Erde gegenüber nichts gewußt. Die Schriften der größten Pilosophen des Alterthums enthalten meist nur thörichte Aussprüche über den Sternenhimmel. So hielt Anaximenes das scheinbare Himmelsgewölbe für eine krystallartige Sphäre, also für eine Art Glasglocke, die über die Erde gestülpt ist. Aristoteles meinte, die Fixsterne seien der Himmelskugel eingeheftet, Ptolemäus glaubte sie dort angewachsen und Demokritus nebst seinem Schüler Metrodarus lehrten, die Fixsterne wären wie Nägel am Krystallhimmel befestigt. Die Kirchenväter gingen noch weiter und nahmen sieben bis zehn wie Zwiebelhäute übereinander liegende gläserne Himmelsschichten an. Diese Meinung hat sich fast während des ganzen Mittelalters erhalten, in einigen Klöstern des südlichen Europa’s sogar noch bis heute, wo selbst ein ehrwürdiger Kirchenfürst, nach dem so viel Aufsehen erregenden Meteorsteinfalle von Aigle, gegen Alexander von Humboldt äußerte, diese Meteorsteine seien nicht Theile des gefallenen Steines selbst, sondern Stücke des durch denselben zerschlagenen krystallenen Himmels.

Die Idee von festen Sphären, an denen die Fixsterne wie Nägel befestigt sein sollten, war bei den Alten dadurch entstanden, daß sie, dem unmittelbaren Eindrucke folgend, alle Sterne für gleich entfernt annahmen, sowie weiter glaubten, daß sie gegeneinander völlig unbeweglich seien und nur gemeinsam täglich um die Erde herumgeführt würden. Diese beiden Annahmen sind aber grundfalsch. Schon Kepler, der unsterbliche deutsche Astronom, rühmte sich, daß er mit dem Nachweise, die Kometen durchschnitten die Bahnen der Planeten, die kugelförmigem Glassphären der Alten zertrümmert habe.

Heute wissen wir, daß die Fixsterne in sehr ungleichen Entfernungen von der Erde sich befinden, und daß man im Großen und Ganzen ihren Abstand von uns in dem Maße bedeutender annehmen kann, als sie uns zahlreicher und lichtschwächer erscheinen. Die hellsten Sterne des Himmels, wie Sirius, die glänzenden Sterne im Orion etc., befinden sich demnach weit näher bei der Erde, als die zahllosen kleinen, lichtschwachen Sternchen, die man eben noch mit bloßem Auge wahrnehmen kann. Es ist natürlich von großem Interesse, die genaue, etwa in Meilen ausgedrückte Entfernung der hervorragenderen Fixsterne zu kennen, und in der That haben sich die Astronomen sehr viele Mühe gegeben, in dieser Beziehung zu sichern Resultaten zu gelangen; allein lange Zeit hindurch ohne allen und jeden Erfolg. Diese Entfernungen erwiesen sich nämlich als so groß, daß es mittelst der feinsten Meßinstrumente nicht möglich war, sie zu bestimmen. Der Entdecker des wahren Weltsystems, Copernikus, versuchte es zuerst, die Entfernung eines Fixsternes zu messen. Mittelst seiner Instrumente sondirte er den Weltraum bis zu einer Distanz von siebentausend Millionen Meilen rings um die Erde herum, allein die Fixsterne erwiesen sich als weiter abstehend. Fünfzig Jahre später beobachtete Tycho de Brahe mit weit vollkommneren Instrumenten, aber selbst in einer Entfernung von sechszigtausend Millionen Meilen war noch kein Fixstern zu erreichen. Nach weiteren hundertfünfzig Jahren war die Kunst, astronomische Instrumente zu bauen und damit zu beobachten, soweit gediehen, daß der große englische Beobachter Bradley Entfernungen im Weltraume bis zu viertausend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_580.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)