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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

denn von den vier damals so fröhlichen Sängern ruhen auch schon zwei in kühler Erde – und ‚Warte nur, balde schlummerst du auch!‘ tönte es geisterhaft von drüben herüber.

Es ist doch eine eigene Sprache, welche die Berge reden; Alles, woran unser Herz hängt, vergeht, sie aber bleiben in Kraft und Herrlichkeit, und man mag sie als Knabe, Jüngling oder Mann besteigen, immer der Eindruck des Erhabenen, Dauernden! Wann werden auch sie vergehen?“

Ja, der alte Joel ist todt. Auf dem Kirchhofe des Thüringer Walddörfchens Oberhof, zwei Stunden von dem Gasthaus der Schmücke am Schneekopf, ist auf einem Grabkreuz zu lesen:

„Hier ruhet Johann Friedrich Joel,
 Gastgeber zur Schmücke,
 Geboren 1792
 Gestorben 1852.“

Schlummre sanft, Du lust’ge, gute Seele!

Es ist ein herrliches Stück Erde, wo es dem Alten gegönnt war, seinen Lebenstraum auszuträumen. In der Centralgruppe des Gebirges, zweitausendachthundertundfünf Fuß hoch gelegen, erheben sich in halbstündiger Nähe die gewaltigen Berghäupter des westlich ansteigenden hohen Beerberges und des nördlich vorspringenden Schneekopfes. Kräftige Nadelwälder bedecken Wände und Gründe, ohne den vielen dazwischen eingestreuten Wiesenflächen das Recht ihres lieblichen Daseins zu verkümmern. Nach Südost hin, zwischen dem Felskoloß des Sachsensteines und dem aus der Tiefe emporsteigenden großen Finsterberge hindurch tritt dem entzückten Auge das prächtigste Gebirgsbild entgegen, rein östlich aber hinter dem Sachsensteine her winkt der Ilmenauer Kickelhahn mit seinem steinernen Luginsland bedeutsam einladenden Gruß. Die Quellengebiete dreier thüringer Flüßchen, der vielgefeierten Ilm und der wilden und zahmen Gera, welche in unmittelbarer Nähe umherliegen, beleben Höhen und Thäler durch vielfaches Geriesel.

Inmitten dieser Gegend liegen nun die dem gothaischen Staate gehörigen Gebäude der Schmücke: Forsthaus, Gasthaus und geräumige Stallungen.

Zu einer Zeit, wo das Gebirg noch nicht von guten Straßen durchzogen war, wie heutzutage, und wo nur wenige Naturfreunde den Wanderstab in das Innere des Gebirgs trugen, entfaltete sich da oben schon reges Leben und Treiben. Die umherliegenden vortrefflichen Weideplätze veranlaßten so manchen Viehbesitzer im platten Lande, Kühe und Fohlen dort in Pension zu geben; ein reizendes Hirtenidyll belebte die Berge. An der Stelle des Wirthshauses stand damals noch eine kleine einstöckige bretterbeschlagene Gebirgsschenke, in welcher höchstens Schwarzbrod, Käse und eine Flasche Dünnbier zu erhalten war.

Da erhielt im Jahre 1843 Joel die Pachtung dieser Schenke. Ein Sohn des Wirthes „Zum Schützen“ in Gotha, war er als berittener Armeegensdarm weit in der Welt umhergekommen, hatte, als vortrefflicher Schütze, einen hohen Herrn auf dessen Jagdzügen in Polen, Ungarn etc. begleitet und schließlich als Wirth verschiedene Gastwirthschaften betrieben. Die Wirthschaft auf der Schmücke erhielt er mit der Verpflichtung anvertraut, daß er Forst- und Jagdschutz mit ausüben helfe. Da verwandelte die alte Spelunke sich rasch in ein gutes gemüthliches Erfrischungshaus, wenn auch noch in primitiven und beschränkten Verhältnissen. Diese Metamorphose und der unverwüstliche Humor des Wirthes zogen immer mehr Gäste aus den benachbarten Orten heran, und bald war die Schmücke die erklärte Exkneipe Derer von Gehlberg, Elgersburg, Ilmenau, Suhl, Zella etc. Auch Bruder Studio, der sich bekanntlich sehr feiner Organe zu derartigen Entdeckungen erfreut, hatte auf seinen Streifereien das trauliche Nest bald aufgefunden; die nächsten Hochschulen, Jena, Halle, Leipzig, Göttingen, sandten die ersten Pfadfinder zu dieser Hochwacht der Fidelität, und welche Schaaren folgten ihnen nach! In „seliger Verschollenheit“ wurde da flott commersirt und dabei – was das Werthvollste war – „lasterhaft billig“ gelebt. Da war denn Joel, das Haupt häufig mit bunter Studentenmütze anstatt des stereotypen Hauskäppchens bedeckt, mit seinen derben Waldwitzen mitten in seinem Elemente. Das urwüchsige, schlagfertige Wesen des dicken, lustigen Wirthes paßte vortrefflich zu dem jugendlichen Uebermuthe der Gäste. Glückliche Stunden wurden da vertrunken, versungen, verbraust. Die Musensöhne wurden gewissermaßen die Pionniere des Schmückecultus. In alle Welt trugen sie die „famosen“ Erinnerungen, sowie die Mähr vom „dicken Joel“ und seiner „fabelhaft-gemüthlichen Grobheit“.

Von wesentlicher Bedeutung für den Aufschwung der Schmückewirthschaft war die kurz vor jene Zeit fallende Eröffnung der Bäder zu Ilmenau und Elgersburg, sowie der Bau guter Fahrstraßen über das Gebirg. Von Jahr zu Jahr steigerte sich nun der Fremdenverkehr, und demgemäß ließ die gothaische Regierung auch das Wirthshaus vergrößern und mit behaglichem Comfort versehen, so daß bald die Joel’sche Wirthschaft auf der Schmücke zu den Musterwirthschaften gezählt werden konnte. Immer wohler fühlte sich der Alte, da seinen Bestrebungen der Erfolg nicht fehlte.

„Wie ein Bacchus stand im Schlafrockkleide
Fröhlich er vor seines Hauses Thür;
Graue Locken waren sein Geschmeide
Und er selbst der Schmücke Schmuck und Zier.
Heiterkeit umfloß wie Sonnenschimmer
Seine vollen Wangen, seinen Blick;
Nimmer wich der Witz von ihm und nimmer
Vor dem alten dicken Freund zurück.“

So besang ihn einer seiner treuesten Gäste: Ludwig Bechstein. Als nach einiger Zeit sich eine neue bedeutende Erweiterung des Gasthauses nöthig machte und die Herren von der Regierung sich ein wenig harthörig erwiesen, verhalf der Alte sich in seiner Weise zum erwünschten Ziele. Denn als eines Tages fürstlicher Besuch von Gotha vor der Schmücke hielt, um da zu übernachten, rieb Joel sich stillvergnügt die Hände und raunte seiner Frau zu: „Warte, nun wird gebaut.“ Dann gab er rasch zweien seiner Dienstmädchen einen heimlichen Auftrag, und als nun der fürstliche Besuch nach einem ausgezeichneten Mahle zu Bette gehen wollte, erfolgte von Seiten Joel’s ein bedauerndes Achselzucken und die entschuldigende Bemerkung, daß die beiden noch einzig disponibel gewesenen Betten bereits von zwei Damen besetzt seien. Die heitere Gesellschaft nahm die Mittheilung, der Lage entsprechend, lustig auf, fand es ganz prächtig, einmal auf Heu schlafen zu können und that auch nach der ermattenden Tour einen festen gesunden Schlaf auf solcher Unterlage; in den weichen Betten eines freundlichen Gastzimmers aber dehnten Jette und Röse die robusten Glieder. Das Abenteuer erregte in Gotha bei Hofe viel Heiterkeit; aber man konnte sich doch der Erkenntniß nicht verschließen, daß hier zur Vorbeugung ähnlicher Verlegenheiten etwas geschehen müsse, und so wurde der große Erweiterungsbau der Schmücke in Angriff genommen.

Seinem Zwecke vollkommen angemessen ausgestattet, winkt seitdem der freundliche Bau dem Wanderer von der Höhe entgegen, wie ihn Hermann Heubner’s Skizze in Nr. 29 der Gartenlaube von 1873 uns vorgeführt hat.

Offenbar war es der Gothaischen Regierung nicht zu verargen und auch der Landtag drang darauf, daß von der nunmehr sehr ertragsfähig gewordenen Wirthschaft ein dem entsprechender Pacht bezogen werde. Da wird nun erzählt, es sei ein herzoglicher Beamter von Gotha zur Schmücke gekommen, der nach genauer Besichtigung und Belobigung der gesammten Wirthschaftsanlagen in freundlichster Weise sich mit Joel über Dies und Das unterhalten und auch reichlich gezecht habe, um den Alten in möglichst angenehme Temperatur zu versetzen; und als er ihn endlich in bester Stimmung gefunden, da habe er die Pachtangelegenheit in Anregung gebracht. Joel war wirklich die Liebenswürdigkeit selber, denn er erbot sich mit außerordentlicher Zuvorkommenheit, von jetzt an freiwillig noch einmal so viel Pachtgeld zu entrichten, als bisher, und bestätigte dies auf Wunsch dem Beamten schriftlich. Sehr zufrieden mit dem Erfolge seiner Mission kehrte dieser nach Gotha zurück, und erst, als im Collegium auf diesen Bericht allgemeine Heiterkeit ausbrach, ward ihm das glückselige Lächeln klar, mit welchem Joel verheißen hatte, fortan das Doppelte des bisherigen Pachtes bezahlen zu wollen: der alte Schlaukopf hatte bis dahin eben gar kein Pachtgeld bezahlt. Natürlich hat er sich, als der Schwank so gut gerathen war, nicht geweigert, den Ansprüchen der Regierung gerecht zu werden.

„Joel im Kreise seiner Zecher“ müßte passend die Ueberschrift eines Capitels in seiner Lebensgeschichte lauten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_568.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)