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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

sich zugesellt und stand, das Käppchen in den gefalteten Händen, lauschend dabei. Kaum war der letzte Ton verhallt, so reichte er seine Rechte zum biedern Willkommen entgegen, während die Linke verstohlen eine Thräne im Auge zerdrückte. Mit bewegter Stimme bat er, noch ein Lied zu singen, wenn’s möglich wäre, Kuhlau’s schönes ‚Ueber allen Wipfeln ist Ruh.‘ Gern erfüllten die Jünglinge diese Bitte und einem Abendgebete gleich floß der Melodieenstrom zu Thale, begleitet von den aus der Ferne herüberklingenden Abendglocken. Es war ein ergreifendes Bild, den Greis mit schneeweißem Haar inmitten vier blühender,


Johann Friedrich Joel.
Aus einem Bilde des Landrath Ewald in Berlin.


frischer Jünglinge zu sehen, aller Angesichter glühend im Abendroth der scheidenden Sonne, hoch oben auf freiem Gebirge; und wie reizend, als er zweien unter die Arme griff und sie so einführte in sein gastliches Haus!

Den vielen Fremden war es nicht unbemerkt geblieben, mit welcher Auszeichnung Joel die Vier behandelte, und bald hatte sich, nachdem ein stärkender Imbiß die Wanderer gelabt, ein weiter Kreis Männer, durchwoben von zartem Frauenflor, um sie gebildet; den stürmischen Bitten zarter Schönen vermochten die Jünglinge auf die Dauer nicht zu widerstehen und Lied auf Lied entquoll dem liederreichen Munde. Daß die trockene Kehle tüchtig aufgefrischt wurde, braucht wohl nur der Vollständigkeit des Berichts wegen erwähnt zu werden, so selbstverständlich ist das. Als die Schatten der Nacht sich über die Erde gebreitet, suchten endlich die müden Gäste das Lager auf, um in Morpheus’ Armen alles Erdenleid und alle Sorgen auf Stunden zu vergessen.

Kaum verkündete der Hahn den anbrechenden Tag, als es auch schon im Hause lebendig wurde, denn Keiner wollte verfehlen, den Sonnenaufgang vom Schneekopfthurme aus zu sehen. Fort ging’s in die Morgenfrische hinein, und am Bestimmungsorte angekommen harrten Alle des köstlichen Phänomens. Da zitterte im Osten der erste Strahl über die Berge und empor stieg das Gestirn des Tages in majestätischer Würde, begrüßt von den Klängen des Chorals: ‚Brich an, du schönes Tageslicht!‘ Zurückgekehrt nach der Schmücke mundete der Kaffee ganz vortrefflich, und verscheuchte in Bälde das Unbehagen, welches den Wanderer stets ergreift, sobald er nüchternen Magens in der Morgenfrische wandert. Als die Viere ihre Zeche bezahlen wollten, suchte Joel immer auszuweichen; endlich ihren Bitten nachgebend, berechnete er eine Kleinigkeit. Einer der vier Jünglinge war etwas pfennigfuchserig und hatte, während die übrigen sich an dem köstlichen Biere gelabt, sich einige Glas Wasser geben lassen. Nun sollte er gleiche Zeche bezahlen, das war ihm nicht einleuchtend. Noch ehe er die rechte Anrede gefunden, klopfte Joel ihm auf die Schulter und sagte: ‚Lieber junger Herr, wenn ich rathen soll, trinken Sie auf der Schmücke nie wieder Wasser, das kommt theurer als Bier; letzteres bringen die Fuhrleute ins Haus; ersteres muß ich weit holen lassen. Aber nichts für ungut und fröhliche Reise!‘[1]

Als Jeder sein Ränzel aufnimmt, dünkt’s ihm schwerer als Tags zuvor und bei nächster schöner Aussicht wird Halt gemacht und eine Ocularinspection vorgenommen. Was hatte Joel gethan? In jedes Ränzel hatte er ein reichliches Frühstück gepackt, dazu eine halbe Flasche Wein; nur in einem Ränzel war zwar auch eine Flasche, aber gefüllt mit hellem klarem Schneekopfwasser. Nun, wir theilen brüderlich mit unserm Wasserverehrer, weil er gelobte nie wieder Wasser zu trinken, wo es irgendwie ein vernünftiges Stöffchen gäbe, und das Wasser aufzuheben und seinen ersten Jungen darin zu baden. Ersteres hat er jahrelang gehalten, ob auch das zweite? Sollten ihm diese Zeilen zu Gesicht kommen, dann möge er gedenken an den fernweilenden Freund, an denselben, welchem der alte Joel beim. Abschiede einen herzhaften Kuß gab mit den Worten: ‚Behüt’ Gott Ihre schöne Stimme!‘ Ist längst unter dem grünen Rasen, die alte, ehrliche Haut, der brave Joel, und gar wunderlich ward’s dem Einen von den Vieren, als er im vorigen Jahr mit seinem Aeltesten die Schmücke betrat. Der Junge machte große Augen, als die Erinnerung seinen Vater gar mächtig bewegte; er wußte nichts vom Weh, das durch die Seele ging –

  1. Da hat der Alte ein wenig geflunkert; denn gleich am Hause springt ein prächtiger, mächtiger Born.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_567.jpg&oldid=- (Version vom 8.1.2017)