Seite:Die Gartenlaube (1874) 561.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Lebhaftigkeit lästig zu fallen. Wohl aber kam er, der Vertrauliche, dann gern dicht an mich heran und steckte mir, wie tröstend, seine naßkalte Nase in die herabhängende Hand. Wahrlich, ein solcher feuchter Kuß von ihm und sein ehrlicher, liebeversichernder Blick dazu bot mir mehr Trost, als mancher menschliche nichtssagende Zuspruch. Darum wuchs unsere gegenseitige Zuneigung aber auch mit jedem Tage, und längst hatte ich deshalb den Mißmuth über seine Jagduntüchtigkeit verwunden – blieb er mir doch sonst der unentbehrliche liebe Begleiter bei meinen Waldausflügen ohne Büchse, geschahen diese nun zum Studium oder zur bloßen Erholung; immer aber war dann mein getreuer Nimrod bei mir.

So kam es denn eines schönen Tages wieder einmal, daß ich bei duftigfrischem Frühmorgen hinausschweifte in den weiten stillen Friedewald, inmitten dessen, gleich einer Perle, das vielgenannte Jagdschloß Moritzburg aus schilfumsäumten Weihern sich erhebt und wie ein tiefmelancholisch anklingendes Gedicht von vergangener Jägerpracht und -Poesie so eindringlich zu Herzen spricht. Kaum in dem weitestvorgeschobenen Thiergartentheile, „die Oberecke“ genannt, angekommen, hörte ich in ziemlicher Nähe von mir einen Schuß fallen. Donnerwetter! wie flog ich bei diesem Tone nach der Seite herum, von woher der scharfe Büchsenknall erdröhnt war und im Augenblicke auch ein leichtes blaues Pulverwölkchen aufstieg!

Schon glaubte ich einen Wilderer zu ertappen und nahm daher vorsichtig passende Deckung wahr, mich an den verdächtigen Ort hinanzuschleichen, wobei ich denn auch wirklich so unbemerkt und nah’ an die betreffende Stelle kam, daß ich, auch hier noch hinter Schilfkaupen und dichtem Erlengebüsch vortrefflich geborgen, gerade noch erspähen konnte, wie der Schütze eben mit dem Wiederladen seiner Büchse fertig war und nun vorwärts zu schreiten begann, bis er etwa auf achtzig Schritt hin am Boden zu suchen anfing, jedenfalls auf den Anschuß, hier Schnitthaare und Schweiß zu erspähen.

Längst aber hatte ich in dem Dahinschreitenden, schon an seinem charakteristischen Gange, einen forschen Vertreter der „grünen Farbe“, den jetzigen Jagdzeugmeister P., erkannt, den, wie sowohl von seinen Cameraden wie von allen Vorgesetzten anerkannt wurde, tüchtigsten Jäger des ganzen Reviers. Nur um zu sehen, ob es mir wohl möglich sei, diesen so gewiegten Schützen auch weiter unvermerkt anpürschen zu können, hatte ich mich vorläufig noch in meinem Verstecke gehalten, und mein lammfrommer Hund erschwerte mir dies auch nicht. Dann aber schauete ich von meinem Lugaus vorsichtig in’s Holz; von hier folgte ich dem inzwischen weitergegangenen, dabei sichtlich auf der Fährte seines wahrscheinlich angeschossenen Wildes eifrig fortsuchenden Waidmanne, wobei es mir auch wirklich gelang, diesem bis auf zwanzig Schritte heranzukommen, als nur leise ein dürres Reis unter meinem Fuße knisterte. Gleich als habe ihn eine Natter gestochen, fuhr hierbei der Beschlichene herum, wobei auch schon der Hahn seiner Büchse knackte. Als er aber in dem Störer mich erkannte, da freute er sich sichtlich darüber und nach biederem Händedruck theilte er mir mit, wie er soeben nach einem Rothspießer, auf den bis spätestens heute Abend die Lieferung laute, geschossen, dieser auch die Kugel habe, indem er brillant gezeichnet und vortrefflich schweiße und also gar nicht mehr weit kommen werde. Dennoch wolle er ihn, sollte er nicht gar schon in vorliegender Dickung verendet sein, krank werden lassen und nachher mit einem neuangekauften Schweißhunde, der auf dem Fasanengarten stehe, auf den Angeschossenen nachsuchen. Dazu aber kam ich ihm eben wie gerufen, indem er den erwähnten Hund holen konnte, während ich an Ort und Stelle zur Aufsicht blieb, damit der Spießer nicht doch noch etwa vorzeitig durch Holzleser – es war gerade „Haidetag“ – rege gemacht werde und so wohl gar noch eine langwierige Nachsuche verursache.

Bald war der jugendlich frische Jäger im Waldesdunkel meinem Blicke entschwunden, indessen ich die mir erst kürzlich ausgehordete Schonung, in welcher der Hirsch zu vermuthen war, nach allen Seiten hin fest im Auge behielt. In nicht allzulanger Frist kehrte der rasche Waidmann wieder, den geholten vierbeinigen Jagdgehülfen am Riemen. Unverweilt arbeiteten wir nun mit dem die Fährte von Anschüssen sogleich gut aufnehmenden „Hirschmann“ auf dieser fort, bis wir gar bald schon von Weitem, und zwar wider unsere Annahme noch außerhalb der Dickung, nach dem Steingrundteiche zu, unter alten flechtengrauen Fichten den bereits Verendeten liegen sahen. Natürlich ließen wir uns nun ruhig noch vom Hunde hingeleiten, der dann aber auch unter schmeichelndem und belobendem Zuspruch den frischen Schweiß am Ausschuß kosten durfte.

Bei dieser Gelegenheit führte ich denn, ohne eigentlichen Zweck, auch meine gute Hundeseele dicht an den Hirsch heran, aber auch hier blieb der Gemüthliche so ruhig wie vor einer umgestürzten Ofenbank stehen. Nach jägerlichem Brauche nahm ich aber dennoch mit der hohlen Hand etwas von dem dem Hirsche aus dem Geäße entquellenden Lungenschweiße auf und rieb davon meiner sanftmüthigen Schlafmütze in die Nase und auf die nicht eben blutlechzende Zunge. Unwillkürlich aber sog er den Duft des ungewohnten Saftes ein, wie er nicht minder denselben mit lebhaftem Ausdrucke des Wohlschmeckens zu lecken begann. Ja, nachdem er noch unmittelbar selber von dem vergossenen rothen Lebensstrome des Erlegten gekostet, ward er so „genossen“ darauf und es ging eine so auffällige Wandlung in meinem Nimrod vor, daß ich meine helle Freude daran hatte und ihn nun durch besonderes Zureden erst recht zu weiterem Schweißlecken anregte. Und wie umgewandelt wurde dabei der bisher für Wild so Unempfängliche.

Mit gierigem Auge, weit geöffneten Nasenflügeln und lechzender Zunge gab er sich nun dem ihn wahrhaft berauschenden Genusse hin, und trachtete diesem mit solcher an ihm ungewohnten Hastigkeit nach, daß ich in der That fürchtete, er möchte den Hirsch am Kopfe noch anschneiden; deshalb hob ich ihn, nicht ohne Mühe, davon ab, ließ ihn aber dafür noch einmal an der Schußwunde seine erwachte Blutgier kühlen. Hierbei kam es nun, daß der Schweißhund, der sich dadurch wohl in seinem Rechte gekränkt fühlen mochte, von Eifersucht angestachelt, zu knurren, ja sogar zu beißen anfing. Das war aber das Signal zu einer Scene, die durch meinen Hund verwirklicht zu sehen ich nimmer erwartet hätte.

In pantherhafter Schnelle sprang dieser nämlich im Augenblick auf den kühnen Angreifer ein, und ehe es Einer von uns hindern konnte, hatte der Wüthende auch schon diesen gepackt und schleuderte ihn rücklings gegen den Hirsch. Und nun stürzte er sich wie toll über seinen mannhaft sich wehrenden Gegner und würgte ihn mit furchtbaren Bissen an der Kehle, daß, noch ehe ich zuspringen konnte und den Rasenden an dem borstenaufgelaufenen Nacken zu fassen und von seinem Opfer wegzureißen vermochte, er diesem doch schon das starklederne Halsband durch und durch gebissen hatte, daß es gesprengt von ihm abfiel. Die schlimmsten Bisse hatte der Gurt aber doch von dem Unterliegenden abgehalten, weshalb denn, als wir Beide, mein Gefährte und ich, der zornschnaubenden Bestie endlich völlig Herr geworden, sein doch um so viel schwächerer Widerpart immerhin noch glimpflich genug aus dem Kampfe hervorging, ja, freilich durch unseren helfenden Eingriff, die Arena sogar behaupten konnte. Von Stund’ an aber war mein Hund ein anderer geworden – die in ihm tiefschlummernde wilde Natur war nach ihrem ersten, wahrhaft dämonischen Ausbruche nicht wieder zu dämpfen, und gern ließ ich ihm gewähren, hatte mich diese jäh aufsprühende Leidenschaft an ihm doch mit erquicklichster Genugthuung und lebendigster Hoffnung erfüllt. Aber auch meinem kernigen Hirschtödter leuchtete die Freude über den ganzen Vorfall aus den Augen, und angeregt von so naturwüchsigem Erlebniß trug mir der Wackere, den ich schon längst in mein Herz geschlossen, getrost an: ihn von heut’ an Bruder nennen zu wollen.

Aber nach alter guter Jägersitte sollte der neue Bund besiegelt werden, da ja gerade jetzt alle erforderlichen, nicht so leicht wiederkehrenden Bedingungen dazu vorhanden waren, denn nur in so jagdgerechter Umgebung von Wald, erlegtem Wild und Hunden gebot es der Brauch. Und so tauschten wir denn in Gottes freier, herrlicher Natur, gegenseitig auf dem erlegten Hirsch knieend und uns die Hände reichend, über der edlen Beute den Bruderkuß, dazu aus rechtem, echtem, schlichtem Jägerherzen ein treugemeintes Waidmanns Heil uns einander zujubelnd. – Ob das nicht eine frischere, lustigere und sicher auch weihevollere Art war, ein Freundschaftsbündniß zu schließen, als bei Bier- oder Weinstimmung? Ich wenigstens gedenke noch immer mit Stolz des damals geschlossenen und heute noch in fester Unverbrüchlichkeit bestehenden Gelöbnisses.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 561. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_561.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)