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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Sehnsucht er Stunden in diesen Erinnerungen verträumte; er gestand sich auch den Gedanken nicht, der unausgesprochen in seiner Seele lag, daß die Frau, welche noch immer seinen Namen trug, welche die Mutter seines Kindes war, trotz alledem und alledem ihm noch angehörte, und wenn er das Recht auf ihren Besitz verwirkt hatte, so durfte ihr wenigstens kein Anderer nahen.

Und nun mußte er hören, daß ein Anderer bereits die Hand nach dem Preise ausstreckte und Alles daran setzte, ihn zu erringen. Die Worte des Bruders deckten ihm schonungslos den Beweggrund auf, dem allein er es verdankte, daß Ella auf seine Flucht nicht mit dem Scheidungsantrage geantwortet hatte. Nur um des Kindes willen hieß sie noch seine Gattin, nicht weil noch eine Spur von Neigung für ihn in ihrem Inneren lebte. Und wenn sie nun endlich dennoch den einst vermiedenen Schritt that, wenn sie auch ihrerseits die Kette abstreifte, jetzt wo ein Cesario ihr die Hand bot, wer konnte sie hindern, wer durfte die Frau tadeln,[WS 1] die nach Jahren endlich in einer besseren, reineren Liebe Ersatz suchte für den Verrath, den der Gatte an ihr geübt? Die Gefahr lag nicht darin, daß Marchese Tortoni, der schön, reich und aus einem der edelsten Geschlechter das Ziel so mancher Bestrebungen war, seine Gemahlin zu einer glänzenden Stellung erheben konnte; das konnte höchstens bei Erlau in Betracht kommen, aber Reinhold wußte, daß Cesario mit seinem edlen und durchaus reinen Charakter, mit seinem glühenden Enthusiasmus für alles Schöne und Ideale, wohl auch das Herz einer Eleonore gewinnen konnte, ja gewinnen mußte, wenn dieses Herz noch frei war, und diese Ueberzeugung raubte ihm jede Fassung. Es hatte einst eine Stunde gegeben, wo die junge Frau verzweiflungsvoll an der Wiege ihres Kindes auf den Knieen lag, mit dem vernichtenden Bewußtsein, daß ihr Gatte in diesem Augenblicke sie, das Kind und die Heimath verließ, um einer Anderen willen – die Stunde rächte sich jetzt an dem, der sie verschuldet, rächte sich in den Worten, die wie mit Flammenschrift vor seiner Seele standen: „Du hast damit auch sie frei gemacht – vielleicht für einen Anderen.“

(Fortsetzung folgt.)




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 40. Eine Hundegeschichte.


In dem Bauergehöfte eines einsamen Haidedorfes hatte ich einen weißen, nur am Kopfe mäusegrau abgezeichneten echten dänischen Hetzhund, an Gestalt und Farbe ein wahres Juwel, ausgegattert. Gleich einem gemeinen Köter hing das edle Thier an der Kette – und die Sehnsucht nach ihm ließ mir keine Ruhe, bis ich den Prächtigen mein eigen nannte. Sicherlich stammte Nimrod – so hieß mein errungener Liebling – noch von den auserlesenen Meuten der jägerlichen Glanzperiode des sächsischen Hofes unter dem Kurfürsten, nachmaligen Könige Friedrich August ab. Deshalb war es auch mein Erstes, das herrliche Geschöpf nach dem Hauptsitze sächsischer Jägerei, nach Moritzburg, meinem Eldorado, zu geleiten, es dort der „grünen Farbe“ vorzuführen, speciell es einen mir besonders werthen Jägersmann, den meinen Lesern schon bekannten Oberförster, früheren Piqueur Probsthain, sehen und beurtheilen zu lassen.

„Ei, ei, Capitalhund, Capitalhund!“ war der erste freudige Ausruf des originellen Grünrockes, und, nachdem er die mächtige, unter meiner pflegenden Hand glänzend und schneeweiß gehaltene Dogge von allen Seiten auf’s Eingehendste betrachtet hatte, nickte er beifällig und äußerte sich weiter: „Ja, ja, unbedingt ein Nachkomme aus der kostbaren Meute der höchstseligen Königin; hatte lauter weiße, ja nur weiße Exemplare, und mit gerade solcher grauen Abzeichnung wie dieser. Kein Zweifel, kein Zweifel, ein Abkömmling davon, ja, ganz prächtiger Abkömmling davon. Na, müssen doch gleich einmal zusammen ’naus in den Thiergarten, sehen, wie sich der Bursche unter Sauen benimmt. Haben doch festes Zeug bei der Hand? damit das Satansthier beim Anblicke von Wild nicht etwa gar Halsband oder Leine sprengt; denn diese Sorte will gehalten sein. Wäre schöne Geschichte, schöne Geschichte, den Packan etwa auf einen Keiler loszulassen, denn wie der aussieht“ – dabei streichelte er den Hund schmunzelnd über den bildschönen Kopf „der möchte – hol’ mich der Teufel! – als Solofänger schon einen recht leidlichen Borstwisch abwürgen.“

Nun prüfte er selber noch auf’s Genaueste Halsband und Fangleine und fand Beides gediegen und fest genug, um jede Fährlichkeit ausschließen zu dürfen. In humpeliger Schnelle nahm darauf der alte gichtgeplagte und doch nimmer zu ermüdende Waidmann seinen Eichenstock mit der wuchtigen Augensprosse vom Flintenrechen herunter, um sofort mit mir hinaus nach dem Saugarten zu gehen, dort den Vielbelobten im Freien und unter Wild beobachten zu können. Draußen angekommen, glückte es uns auch recht bald, mehrere Sauen auf einem Bruch am Mittelteiche unter einer Jahrhunderte lang übergehaltenen gewaltigen Eiche die Mast heben zu sehen.

Nachdem ich darauf hin noch erst die Fangleine doppelt durch den Halsriemen meines noch nichts ahnenden Hundes gezogen und sie mir fest um die Faust gewunden, um den so Gefesselten ja in voller Gewalt behalten zu können, richtete ich nun sein Gesicht dem gar nicht sehr fernstehenden Schwarzwild zu, mit Spannung den Erfolg davon erwartend. Doch nur bittere Enttäuschung ward mir, denn so viel Mühe ich mir auch gab, den ganz gemüthlich Dareinschauenden durch Anhetzen in’s Feuer zu bringen – er schnappte dabei höchstens nach aufschwirrenden Grashüpfern, gerade wie ein recht miserabler, von Langeweile geplagter Bauernspitz. Ja, als ich endlich gar selber, mit dem Hunde an der Leine, gegen die Sauen vorsprang und diese nun vor uns in voller Flucht über den weiten, nassen Bruch trantschten, daß das Wasser nur so umherspritzte, rührte dies den Vielgepriesenen eben so wenig, wie wenn etwa Staare vor ihm aufgeflogen wären – er sandte den Flüchtigen nicht einmal einen verlangenden Blick nach. – Wie ward mir dabei, besonders da mein alter Waidgeselle darüber vor Lachen sich kaum zu fassen wußte und ihm dabei geradezu die Thränen an den wie von braunem Aufschlagstiefelleder überfalteten Wangen in den weiß und fuchsroth melirten starren Schnurrbart herabliefen! Dazu stampfte der so mächtig Erheiterte mit seiner Hirschhornkrücke in den Boden, als wollte er damit ein Loch durch die Erde arbeiten. Hätte ich im Augenblick eine Büchse zur Hand gehabt, sofort hätte ich meinen ausgearteten Hund erschossen – schon aus Aerger über den frohlockenden Jägersmann.

„Na, na,“ tröstete mich endlich dieser, nachdem er sich mit dem Aermelaufschlag seiner Piquesche die vor Lachen nassen und blutrothunterlaufenen Augen ausgewischt, „na, na, der Patron ist eben noch nicht dabei gewesen, kann deßhalb erst recht noch ein ganz braver, ja braver Hund werden.“ –

Beschämt zog ich diesen Tag mit der sich aufdringenden traurigen Ueberzeugung wieder heim, daß der Hund zu Jagdzwecken gänzlich unbrauchbar sei. Und so blieb mir denn nur der Trost, an dem nichtsnutzigen Stattlichen doch wenigstens einen in der That selten schönen Paradehund für die Stadt, wie ein vortreffliches Modell zu meinem Studium zu besitzen. Auch durfte ich dabei seiner vielen anderen guten Eigenschaften nicht vergessen – war das gute Thier ja doch geradezu unwiderstehlich in seiner geselligen Liebenswürdigkeit. Und wie selbstlos hingebend geberdete es sich, hatte es etwa einmal einen Jagdhieb erhalten! Wie wandte da der Bestrafte sein treuherziges Auge so bittend und schmeichelnd dem zornigen Blicke seines Herrn zu, um diesen zu besänftigen! Ja, wie freudig und schnell war dann von Beider Seite Alles vergessen! Wie manchen Schmatz setzte es dann für den eben erst empfangenen Peitschenschlag! Dann verstand es wiederum der darüber unendlich Fröhliche, durch ausgelassene Lust seinen Gebieter zu gleicher Stimmung zu zwingen, während das kluge, ja sinnige Geschöpf, sah es mich wirklich trauern, meinen Kummer gleichsam mit mir theilte und dann sichtlich vermied, durch ungebührliche

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_560.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)