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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Cesario? Wie so?“

„Nun, er ritt nicht weniger als drei Mal dieselbe Straße auf und nieder und ließ regelmäßig unter einem gewissen Balcon sein Pferd so unsinnig courbettiren, daß jeden Augenblick ein Unglück zu befürchten stand. Er wird sich den Hals brechen und seinem schönen Thiere dazu, wenn er das öfter probirt. Leider war diesmal meine ihm wohl nicht sehr wünschenswerthe Physiognomie die einzige, die er am Fenster erblickte.“

Der offenbar gereizte Ton dieser Worte machte Reinhold aufmerksam – er richtete sich zur Hälfte empor.

„An welchem Fenster?“

Hugo biß sich auf die Lippen; er hatte in seinem Aerger ganz vergessen, zu wem er sprach. Der Bruder bemerkte sein Zögern.

„Meintest Du vielleicht das Erlau’sche Haus?“ fragte er rasch. „Mir scheint, Du besuchst es ziemlich oft.“

„Wenigstens bisweilen,“ war die ruhige Entgegnung des Capitains. „Du weißt ja, ich habe dort von jeher den Vorzug der Neutralität genossen, selbst damals, als der Streit im Hause des Onkels am heftigsten entbrannt war. Ich habe diesen alten Vorzug auch hier geltend gemacht, und er wird stillschweigend von beiden Parteien anerkannt.“

Reinhold hatte sich vollends erhoben, aber die Abspannung war gänzlich aus seinen Zügen gewichen, statt dessen stand ein Ausdruck finsteren Forschens dort, als er sagte:

„Also Cesario hat gleichfalls Zutritt im Erlau’schen Hause? Freilich, Du stelltest ihn ja selbst vor.“

„Ja, ich war so – albern,“ fuhr der Capitain im vollsten Aerger heraus, „und etwas ganz Allerliebstes scheine ich damit angerichtet zu haben. Kaum hatten wir Mirando verlassen, als Don Cesario, der ‚sich nicht entschließen kann, seine Freiheit zu opfern‘, der an der einzigen Dame der Nachbarschaft vorüberreitet, ohne sie sich auch nur anzusehen, nichts Eiligeres zu thun hatte, als sich auf Grund jener Vorstellung in der Villa Fiorina angenehm zu machen, und das geschah, wie mir der Consul ganz offen erklärt, in einer so bescheidenen liebenswürdigen Weise, daß man ihn unmöglich zurückweisen konnte, um so weniger, als mit unserer Entfernung von Mirando der alleinige Grund der Zurückgezogenheit gefallen war. Nun hatte er auch noch das Glück, den Doctor Conti zu entdecken, der irgendwo in der Nähe von S. Villeggiatur hielt, und ihn dem Consul zuzuführen. Die Behandlung des Doctors hat einen Erfolg weit über Erwarten gehabt, und es fehlt nicht viel, so wird Don Cesario in der Familie als eine Art Lebensretter betrachtet, was er auch gehörig auszunutzen weiß. – Traue einer den Weiberfeinden! Sie sind die Allerschlimmsten, davon lieferte mir mein Jonas soeben erst ein redendes Beispiel. Der hat sich für den Augenblick zwar noch eine höchst wunderbare Mitleidstheorie zurecht gemacht, an die er so fest glaubt, wie an das Evangelium, aber nichtsdestoweniger hat es ihn rettungslos gepackt, und der aristokratische Marchese Tortoni ist genau auf demselben Punkte.“

Einem ruhigen Beobachter wäre es schwerlich entgangen, daß sich unter den Spottreden des Capitains, die sonst nur der Uebermuth dictirte, diesmal eine Bitterkeit barg, deren er mit all seinen Spöttereien nicht Herr zu werden vermochte, aber Reinhold war nichts weniger als ruhig. Er hatte zugehört, als wolle er dem Bruder jedes Wort von den Lippen ablesen, und bei der letzten Bemerkung desselben schreckte er wild auf.

„Auf welchem Punkte? Was willst Du damit sagen?“

Hugo trat betroffen einen Schritt zurück. „Mein Gott, Reinhold, wie kannst Du so auffahren! Ich meinte ja nur –“

„Es handelt sich doch um Ella?“ unterbrach ihn Reinhold mit der gleichen Heftigkeit. „Wem anders können denn diese Huldigungen gelten?“

„Allerdings, um Ella,“ sagte der Capitain; es war das erste Mal seit Monaten, daß dieser Name wieder zwischen ihnen ausgesprochen wurde. „Und eben deshalb kann und muß es Dir doch gleichgültig sein.“

So einfach die Bemerkung war, so schien sie Reinhold doch mit ungeahnter Schwere zu treffen. Er durchschritt einige Male hastig das Zimmer und blieb endlich vor seinem Bruder stehen.

„Cesario hat keine Ahnung der Wahrheit,“ sagte er gepreßt. „Er machte im Anfange auch gegen mich einige enthusiastische Bemerkungen; ich mag ihm wohl unwillkürlich verrathen haben, wie sehr sie mich peinigten, denn seitdem berührt er diesen Gegenstand nicht wieder.“

„Erlau scheint ihm einen ähnlichen Wink gegeben zu haben,“ bestätigte Hugo. „Er suchte mich darüber auszuforschen, ob und welche Beziehungen zwischen Dir und jener Familie beständen. Ich wich natürlich aus, aber er scheint durchaus nur eine frühere Feindschaft zwischen Dir und Erlau zu vermuthen.“

Reinhold sah finster vor sich nieder. „Diese Beziehungen werden wohl nicht allzu lange mehr Geheimniß bleiben können. Beatrice kennt sie bereits, und wie ich fürchte, durch eine sehr unlautere Quelle, von der kein Schweigen zu erwarten ist. Jedenfalls wird Cesario sie früher oder später erfahren müssen, nach dem, was Du mir soeben entdeckt hast. Er ist Schwärmer genug, so etwas ernst zu nehmen und sich mit ganzer Seele in eine hoffnungslose Leidenschaft zu vertiefen.“

Der Capitain lehnte mit verschränkten Armen am Flügel, auf seinem Antlitze lag eine leichte Blässe, und auch die Stimme verrieth ein leises Beben, als er erwiderte:

„Wer sagt Dir denn, daß sie hoffnungslos ist?“

„Hugo, das ist eine Beleidigung,“ brauste Reinhold auf. „Vergißt Du, daß Eleonore mein Weib ist?“

„Sie war es,“ sagte der Capitain, das Wort schwer betonend. „Du denkst wohl so wenig mehr daran, jetzt noch Rechte geltend zu machen, wie sie geneigt wäre, Dir dieselben zu gewähren.“

Reinhold verstummte. Er wußte am besten, mit welcher Entschiedenheit ihm auch der geringste Schein eines Rechtes versagt worden war.

„Ihr habt es Beide bei der bloßen Trennung bewenden lassen,“ fuhr Hugo fort, „ohne die gerichtliche Scheidung nachzusuchen. Du bedurftest ihrer nicht, und was Ella davon zurückhielt, begreife ich nur zu gut. In solchem Falle mußten endgültige Bestimmungen über den Verbleib des Kindes getroffen werden. Sie wußte, daß Du Deine Vaterrechte nie ganz opfern würdest, und zitterte vor dem Gedanken, Dir den Knaben auch nur zeitweise zu lassen. Dein stillschweigender Verzicht auf ihn war ihr genug; sie entsagte lieber jeder Genugthuung, um nur im ungestörten Besitze ihres Kindes zu bleiben.“

Reinhold stand da, wie vom Blitze getroffen. Die Gluth der Erregung, welche eben noch seine Stirn färbte, verschwand, er war wieder leichenblaß geworden, als er mit unterdrückter Stimme fragte:

„Und das – das, meinst Du, sei der alleinige Grund gewesen?“

„Wie ich Ella kenne, der einzige, der sie verhindern konnte, den Schritt, den Du begonnen hattest, nun auch ihrerseits zu vollenden.“

„Und Du glaubst – daß Cesario Hoffnung hat?“

„Ich weiß es nicht,“ sagte Hugo ernst. „Aber das wissen wir Beide, daß Ella’s Freiheit nichts im Wege steht, wenn sie wirklich gesonnen wäre, sie jetzt noch geltend zu machen. Du hast sie verlassen, hast sie jahrelang völlig aufgegeben, und die ganze Welt weiß, weshalb es geschah, und was Dich ihr dauernd fern hielt. Sie hat nicht allein das Gesetz, sondern auch die öffentliche Meinung auf ihrer Seite, und ich fürchte, diese würde Dich zwingen, ihr auch den Knaben zu lassen. Beatrice steht Deinem Vaterrechte zu furchtbar im Wege.“

„Du glaubst, daß Cesario Hoffnung hat?“ wiederholte Reinhold, aber diesmal klangen die Worte dumpf und drohend.

„Ich glaube, daß er sie liebt, leidenschaftlich liebt, und daß er früher oder später eine Werbung versuchen wird. Er wird dann allerdings erfahren, daß die vermeintliche Wittwe die Gattin seines Freundes war und noch jetzt dessen Namen trägt, ich zweifle aber, daß dies irgend einen Einfluß auf ihn übt, da auf Ella nicht der geringste Schatten fällt. Nur Eure Freundschaft dürfte einen unheilbaren Riß erhalten, aber damit ist es ohnedies zu Ende, sobald die Leidenschaft spricht. Bedenke das, Reinhold, und laß Dich zu keiner Unbesonnenheit fortreißen! Du sprengtest Deine Fesseln, um Dich frei zu machen. Du hast damit auch Eleonore frei gemacht – vielleicht für einen Anderen.“

Die Stimme des Capitains sank bei den letzten Worten, und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_558.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)