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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Entrüsteten, sprechen von verwerflichen Mitteln, mit denen die jüngere Generation Reclame macht, und dabei lassen Sie sich gestern selbst Blumen werfen? Pfui, Döring! Das hätte ich von Ihnen nie geglaubt.“

„Minona, ich schwöre Ihnen bei dem Wohle Ihrer Kinder –“

„Ach was, schwören Sie doch bei Ihren eigenen Kindern, wenn Sie schon Meineide schwören müssen!“

„Aber, liebe Frieb, ich habe wirklich nie welche gehabt, und was das gestrige Bouquet anbelangt, so vermuthe ich irgend einen schlechten Witz, den sich einer von Euch Schurken mit mir erlaubt hat – sehen Sie, Sie lachen – wer war denn wieder der Anstifter?“

„Ich lache, weil mir die furchtbar komische Verbeugung einfällt, die Sie dem Publicum mit dem Bouquet machten. Im Uebrigen werden Sie wohl aus der allgemeinen Entrüstung aller Collegen entnommen haben, wie wir über diese verwerflichen Manipulationen Ihrerseits denken,“ setzte sie dann schalkhaft lächelnd hinzu und gestand damit ein, daß sie mit im Complot gewesen. „A propos, wie gefiel Ihnen der neuengagirte Herr X. heute auf der Probe?“

„Nun, wissen Sie, liebe Frieb, der Mensch ist nicht ohne Talent, aber es fehlt ihm das unentbehrliche Tüpfelchen auf dem I. Da drinnen“ – und des Redners Hand schlägt auf die breite Brust – „da drinnen sitzt nichts und hier oben“ – er schlägt mit dem Zeigefinger ein Tremolo auf der rechten Stirnseite, wo die noch immer jugendlich dunklen, zierlich vom Hinterkopfe nach vorn gekämmten Haare eine intriguante Ecke bilden – „hier oben fehlt’s auch. Brustkrank, liebe Frieb! Ich sage Ihnen“ – und die Hand Döring’s senkt sich mit ausgespreizten Fingern auf die Schulter der berühmten Collegin – „der Kerl ist langweilig – lang-wei-lig,“ wiederholt er mit lauter Stimme und jedes Wort scharf markirend dicht vor dem Ohre der Dame.

Sie lächelt und sagt mit dem Tone der Geheimräthin Seefeld in Benedix’ Störenfried: „Er scheint aber ein fleißiger Mensch zu sein, Döring; wenigstens wußte er auf der Probe, was er wollte, und konnte seine Rolle à la bonheur, wohingegen Sie in unserer großen Scene im zweiten Acte nicht so ganz, wie soll ich sagen –“

„Lustspiel, liebe Blumauer, Conversationston; ja, wenn ich immer alles das dumme Zeug nachsprechen sollte, was diese Herren Stückfabrikanten schreiben, dann adieu Wirkung! Wenn ich aber als Brömser im ‚Lustspiel‘ im letzten Acte den Monolog nach meiner Uebersetzung spreche –“

„Ich hatte bereits mehrfach und erst gestern Abend wieder die Ehre, diesen Monolog von Ihnen zu hören, aber heute sprachen Sie einige Male gar nicht, guter Döring, und Sie müssen mich in meiner großen Rede a tempo unterbrechen, sonst –“

„Ja, liebe Freundin, das hatte nun seinen guten Grund,“ erwidert der Künstler mit schlauem Lächeln, „das ist eben die wunderbare Discretion in meinem Spiele; ich hätte nicht um Venedig die Wirkung Ihrer Rede stören mögen – aber jetzt muß ich noch eine halbe Stunde zu Lutter; ich sage Dir, Minona, der Kerl hat einen 1862er Latour – Milch – Milch“ – und ein seliges Augenblinzeln, das eine Thräne höchsten Entzückens zerdrückt, verklärt die Züge des Künstlers. –

Mit Recht darf man Theodor Döring und Minona Frieb-Blumauer, die wir dem Leser Beide in etwas drastischer Weise vorstellen, die Dioskuren der Berliner Hofbühne nennen, denn selten haben zwei geistesverwandte Künstler Gelegenheit gehabt, durch langes Neben- und Miteinanderwirken sich so in die gegenseitige Individualität einzuleben und dadurch das Zusammenspiel zur höchstmöglichen Naturwahrheit zu erheben, wie die Genannten.

Wer so glücklich gewesen ist, beide Künstler in der Ausübung ihres Berufes gesehen zu haben, wird einen bleibenden Eindruck für sein ganzes Leben empfangen haben, und es ist eine unbestreitbare Thatsache, daß seit Decennien fast jede dramatische Novität des Berliner Hoftheaters, in der Theodor Döring und Frau Frieb-Blumauer in hervorragender Weise gemeinschaftlich agirten, des Erfolges sicher ist, auch wenn sie minderen Anspruch auf dramatischen Werth machen darf. Benedix’ „Störenfried“ z. B., der es an den meisten deutschen Bühnen höchstens zu einem „Erfolg der Achtung“ brachte, wurde in Berlin durch die Meisterleistungen unserer beiden Künstler als Leberecht Müller und Geheimräthin Seefeld zu einem dauernden Repertoirestücke dieser Bühne, und es wäre leicht, zwei Dutzend solcher Beispiele anzuführen.

Beide Künstler ähneln sich darin, daß sie den Rollenkreis des sogenannten Charakterfachs im ernsten wie im heiteren Genre mit gleicher Genialität umfassen, wie es die Repertoires Beider beweisen. Noch heute ist der „Nathan“ des mehr als siebenzigjährigen Döring eine unerreichte dramatische Leistung, und wer seinen „Banquier Müller“ kennt, den er in seiner ganzen Eigenart geschaffen und mehr als vierhundertmal darstellte, wird sich bei dem bloßen Gedanken an diesen originellen Kauz eines herzlichen Lachens nicht erwehren können. Die tragische Kraft eines „Lear“ liegt ebenso sehr in dem Bereiche seiner Begabung, wie die ätzende Schärfe eines „Mephistopheles“, und der liederliche und versoffene „Sir John Falstaff“, den Döring zehnmal öfter als irgend ein anderer deutscher Schauspieler darstellte, findet in ihm einen ebenso trefflichen und mustergültigen Vertreter, wie der aus der niederen bürgerlichen Sphäre gegriffene „Commissionsrath Frosch“ in Kotzebue’s „Der Verschwiegene wider Willen“.

In gleichem Maße finden wir diese Vielgestaltigkeit in dem Repertoire der Frau Frieb-Blumauer. Heute spielt sie die alte Herzogin von York in „Richard der Dritte“, morgen die geradezu zwerchfellerschütternde „Madame Freude“ in „Die Unglücklichen“. Mit tiefem Gefühle und edler Repräsentation stellt sie heute die unglückliche Königin Maria Leszczynska in Brachvogel’s „Narciß“ dar und morgen in bezaubernder bürgerlicher Einfachheit und Herzlichkeit die Oberförsterin in Iffland’s „Die Jäger“. Die classischen Gestalten einer „Daja“ und „Amme“ (Romeo und Julie) athmen bei aller Schärfe der Charakteristik in der Darstellung der Frau Frieb-Blumauer eine bezaubernde Decenz, und selbst in den gewagten Figuren einer Madame Hersch im „Kammerdiener“ etc. weiß die Künstlerin mit wahrhaft bewunderungswürdigem künstlerischem und weiblichem Tacte die Grenzen des ästhetisch Schönen innezuhalten.

Aber wir sind nicht berufen, an dieser Stelle biographisches Material zusammenzuhäufen und Bäume in den Wald zu tragen, das heißt hier noch einmal die eminente und allseitig anerkannte Künstlerschaft Beider in ihrem Berufe zu constatiren. Nur auf ihr Thun und Gebahren hinter den Coulissen wollen wir den Leser einen Blick werfen lassen, und auch das verlohnt sich wahrlich der Mühe.

Wenn wir der Bühnentradition Glauben schenken dürfen, so hat eine frühere Epoche der Schauspielkunst eine große Anzahl von Bühnenoriginalen gezeitigt, die nach und nach ausstarben und deren Andenken höchstens noch in den ihnen nacherzählten Anekdoten unter den Jüngern Thalias lebt; nur höchst selten, in einem blassen Abklatsche, finden wir unter der jüngeren Generation noch einzelne Exemplare dieser Species vertreten – die Zeit scheint ihrer Existenz nicht mehr günstig zu sein. Aus Döring’s eigenem Munde, der auf mehr denn fünfzig Jahre bewegten Bühnenlebens zurückblickt, haben wir in drastischer Schilderung einige dieser Originale aus früherer Zeit kennen gelernt; er selbst aber darf in seiner ganzen Art den Anspruch höchster Originalität machen, ja, es ist unleugbar, daß die Mythe bereits anfängt, das Haupt Döring’s mit einem Anekdotenkranz zu schmücken, von dessen überwiegender Anzahl von Blättern man sagen darf: „Wenn es nicht wahr ist, ist es doch gut erfunden“.

Döring beherrscht auch im Leben und außerhalb der Bühne alle seelischen Empfindungen in ihrem äußeren Ausdrucke mit staunenswerther Genialität, und die außerordentliche Lebhaftigkeit seines Temperaments giebt ihm jeden Augenblick Veranlassung hierzu. Die geringfügigste Gelegenheit zeigt ihn uns in allen Abstufungen des Aergers, des Zornes und der höchsten Wuth, und gerade weil eine Veranlassung hierfür nicht vorliegt, erreicht er auf seine Umgebung die umgekehrte Wirkung, nämlich die unendlicher Heiterkeit. Ich erinnere mich einer Faust-Vorstellung im Berliner Opernhause, wo eine mit den hier üblichen offenen Verwandlungen nicht vertraute Souffleuse nach einer Scene Mephisto-Döring’s das Verwandlungszeichen zu früh gab, und Döring über versinkende Büsche und unter seinen Füßen sich öffnende gähnende Abgründe hinwegtanzen mußte und nicht ohne Gefahr in die Coulisse gelangte. Es ist wahr, alle Augenzeugen waren anfangs erschrocken, als aber Döring plötzlich hinter den Coulissen niederkniete und mit höchster Emphase ausrief:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_550.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)