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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Schwedentrunkes, mit einem gewissen Gewicht Flüssigkeit. Dann geht es weiter bis zum Schlachthofe, wo die buchstäblich fast todt gemarterten, nur noch röchelnden Thiere wie Ballen von den Wagen geworfen werden und ihr Leiden ein Ende hat, wenn sie nicht bis morgen geknebelt, ungefüttert und ungetränkt liegen bleiben. Ich habe auch die Thiere noch scheußlicher, mit dem Unterleibe auf dem Wagenrande liegend, die Hinterbeine heraushängend, transportiren sehen.

Kaum weniger erbarmenswerth sind die Transporte von Federvieh eingerichtet: der Gänse, die man mit Fußtritten in die Etagenwagen stopft ‚um das Gewicht herauszubringen‘ und bei der Ankunft gleichmüthig ganz oder halb erstickt herauswirft; der Hühner, die man mit den Füßen in Bündeln, die Köpfe nach unten, zusammenknotet und so in dem Wagen aufhängt. Wende ich die Blicke davon weg, so sehe ich die armen Hunde, die man hier in so viel unverständigerer Weise als anderwärts zum Ziehen von Lasten verwendet, die weit über ihre Kräfte gehen und auf denen obendrein meist der rohe Treiber mit der Peitsche sitzt. Und diesen bedauernswerthen Thieren (man spannt auch trächtige Hündinnen ohne Bedenken ein) zwängt man während glühender Hitze Beißkörbe auf die Mäuler, die sie kaum athmen, geschweige über die Zunge transpiriren lassen, und hat eine so sinnreiche Art sie anzuspannen, daß sie, am Ziele abgehetzt angekommen

In einem Viehwagen der österreichischen Eisenbahn.
Nach der Natur aufgenommen von M. D.

und oft im Sonnenbrande stehen gelassen, sich nicht einmal legen können und verlechzend in den Halsringen hängen. Und fragen Sie einen der Treiber nach dem Zwecke dieser Barbarei, so antwortet Ihnen der Wiener in unvergleichlicher Gemüthlichkeit: ‚Dös macht nix. Dös schaut nöt fesch aus, wenn das Vieh liegt.‘

Nicht Barmherzigkeit, aber die Gefahr, welche mit dieser barbarischen Behandlung der Hunde verknüpft ist, hat selbst die Wiener Presse, wie Sie ja gelesen haben, zu lauter Mißbilligung derselben veranlaßt. Natürlich ohne Resultate. Mit bitterer Heiterkeit erfüllt es auch den Sachverständigen, wenn er den echten Wiener, stolzerfüllt, die Künste der Schooßkinder der Volksgunst, Eurer Fiaker, loben hört. Das was sie leisten, mit Peitsche und scharfem Gebiß ein Pferd zum verzweifelten Laufen und Pariren zu bringen und das Thier dabei in wenig Monaten für den Schinder reif zu machen, mag tatarischer Sport sein, ist aber immer Fahrkunst. Diese gewinnt durch Pflege und rationelle Behandlung dem Thiere die höchst mögliche Leistung ab. Fragen Sie Ihre Eisenbahndirectoren, ob sie einen Locomotivführer loben würden, der nur schnell fahren könnte, aber seine Maschine dabei in wenig Monaten abnutzte. Londoner und New-Yorker ‚cab drivers‘ würden einen Wiener Fiaker einen Pferdehenker nennen. Es muß wohl eine kleine Beimischung von ungarisch-hunnischem Blute in der Race der Wiener sein, daß für sie fahren – schnellfahren vor Allem – ein so hohes Vergnügen ist. Der Wiener fährt nicht um anzukommen; er fährt um des Fahrens willen. Sonderbar ist es immerhin, daß das Fahrtempo des öffentlichen Fuhrwerks großer Städte ein um so rascheres ist, je weniger das Publicum derselben zu versäumen hat. Man kommt in dem bienenfleißigen Berlin mit dem kleinen Trott der Droschke aus, begnügt sich im überaus thätigen London und Paris mit dem lebhafteren der Cabs und Remisen, jagt im nie sich mit eigner Arbeit übereilenden Wien im Fiaker, stürmt im noch weniger leistenden Petersburg und hetzt in der Stadt der absoluten Faulheit, Neapel.

Und was ist die unverständige Thierabnützung eines Fiakers gegen die nervenangreifende Brutalität der Lastfuhrleute! Wie praktisch und klug schlagen diese Wackeren die Thiere, welche sie zum Vorwärtsgehen treiben wollen, mit Peitschenstielen und Knüppeln über Köpfe und Nasen!

Und bei all der Barbarei sehe ich Eure sonst so überaus lobenswerthen und wahrhaft intelligenten Polizeibeamten stehen, mit allen Kennzeichen, daß all diese Kleinigkeiten sie und ihr Amt nichts angehen, sehe aber auch zu meinem größten Staunen, daß sie ganz recht daran thun, denn das Publicum wendet sich stets mit Hohn und Drohung gegen Jeden, der Miene macht, im Interesse eines gequälten Thieres Jemanden ‚im Geldverdienen zu stören‘. Würdig gipfeln sich die tatarischen Fertigkeiten Eurer Wagenlenker in ihren festlichen Trabwettfahrten, mit welchem wahrhaft jammervollen Schauspiele sie dem vornehmen und geringen Pöbel und sonstigen Sportsmen Siegesjubel entlocken. Nicht sorgsame Pflege, intelligente Zucht edler Pferde bringen hier die Preise, wie zu Gentilly, Derby und Hoppegarten. Im Prater, in Baden siegt nur die raffinirteste Kunst, unglückliche Gäule zur Verzweiflung zu treiben, und die Peitsche, dieses ‚fescheste‘ aller Werkzeuge des Wiener Lebens, siegt allein und sollte eigentlich bekränzt werden. – Ich weiß, Ihr Wiener seid von Herzen weniger brutal und hart als viele andere Großstädter, aber Gedankenlosigkeit und Unlustscheu lassen Euch Grausamkeiten begehen und zulassen, zu denen der Pöbel von New-York oder Liverpool den Kopf schütteln würde.“

„Ich glaube,“ schaltete ich jetzt, da der General, um Athem zu schöpfen, in seiner Philippika innehielt, ein, „daß Ihre begeisterte Humanität Sie zu düster blicken läßt. Wo bliebe die Wirksamkeit unserer Vereine gegen Thierquälerei, wenn solche abscheuliche Zustände existirten, ohne die lautesten Proteste, das vielfachste Eingreifen derselben hervorzurufen?“

„Giebt es hier wirklich solche Vereine?“ fragte der General erstaunt. „In Paris, vor allem in London und New-York, selbst in kleineren amerikanischen, englischen und deutschen Städten habe ich die Wirksamkeit solcher edlen Institute auf Tritt und Schritt wahrgenommen, ihre Mitglieder bei oft aufopfernder Thätigkeit beobachtet – aber hier? So giebt es also deren auch hier? Rentabel ist ihre Thätigkeit freilich nicht. – Am meisten fürchte ich den Eindruck aller dieser, durch Duldung der Behörden und Erwachsenen in den Augen der Jugend offenbar sanctionirten Brutalität auf die empfänglichen Gemüther meiner halberwachsenen Kinder. Welch einen sittlich erschlaffenden Einfluß müssen solche Anschauungen auf das Feingefühl der Mädchen, den Humanitätssinn der Knaben machen! Dies allein könnte mich veranlassen, für die moralische Erziehung meiner Kinder einen andern Ort zu wählen.“

„Es thut mir herzlich leid, daß Sie und Ihre liebenswürdige Familie uns verlassen, aber –“ begann ich hier, jedoch der General unterbrach mich wieder.

„Halt,“ rief er, „wir sind noch nicht so weit, Doctor! Ich nehme heute nicht eher Abschied, bis ich mein Herz vor Ihnen über meinen häßlichen Gegenstand ganz ausgeschüttet habe. Ich habe den festen Vorsatz gefaßt, zur Linderung dieser Art von Elend jetzt beizutragen, wie ich sonst für Menschenwohl Gut und Blut geopfert habe. Von dem, was ich Ihnen sage, hört doch wohl auch die Welt und vielleicht treibt dann wenigstens die Scham diesen oder jenen Mächtigen zu Eingriff und Aenderung. Und mein schwerstes Geschütz fahre ich jetzt erst auf. Wollt Ihr daheim Barbaren sein – desto schlimmer für Euch; wenn Ihr aber auch die Welt damit schädigt, muß sich die öffentliche Entrüstung allenthalben laut gegen Euch wenden.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_547.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)