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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

zwischen meiner Gattin und mir vorgegangen ist, werde ich Dir nicht beichten.“

Es lag ein leiser, aber doch bemerkbarer Ton der Verachtung auf den beiden Worten, und er schien verstanden zu werden.

„Es scheint, Du stellst mich unter Deine Gattin,“ sagte Beatrice schneidend. „Unter diese Frau, deren einziges Verdienst es war und ist, die Mutter Deines Kindes zu sein, die Dich niemals –“

„Ich bitte Dich, laß’ das!“ unterbrach er sie entschieden. „Du weißt, daß ich es nicht ertragen kann, wenn Du diesen Punkt berührst, und jetzt dulde ich das weniger als je. Wenn Du mir durchaus wieder eine Scene machen mußt, so thue es, aber mein Weib und mein Kind laß’ aus dem Spiele!“

Es war, als ob seine Worte einen Sturm entfesselt hätten, so glühend, so maßlos brach die Leidenschaftlichkeit der Italienerin jetzt hervor, jede Spur von Selbstbeherrschung mit sich fortreißend.

„Dein Weib und Dein Kind!“ wiederholte sie außer sich. „O ich weiß, was mir diese Worte bedeuten; ich mußte es ja oft genug erfahren. Haben sie sich doch zwischen uns gedrängt von dem ersten Moment unserer Vereinigung an bis auf diesen Tag. Ihnen verdanke ich jede bittere Stunde, jede kalte fremde Regung in Deinem Innern. Sie haben auf Dir gelegen wie ein Schatten mitten in dem Aufsteigen Deines Künstlerruhmes, mitten in all Deinen Siegen und Triumphen, als ob sie Dich gebannt hätten da oben im Norden mit der Erinnerung an sie – Du konntest Dich nicht losreißen davon, und doch gab es eine Zeit, wo sie Dir die drückenden Fesseln waren, die Dich schieden von Leben und Zukunft, die Du schließlich zerreißen mußtest.“

„Um andere dafür einzutauschen,“ ergänzte Reinhold, dessen Heftigkeit jetzt auch aufloderte. „Und es ist noch die Frage, ob diese anderen die leichteren sind. Dort waren es nur die äußeren Verhältnisse, die mich einengten; mein Denken und Fühlen, mein Schaffen wenigstens war frei. Du wolltest auch dies willenlos zu Deinen Füßen sehen, wie mich selber, und daß Dir das nicht gelang, wenigstens nicht immer, habe ich mit Stunden endloser Aufregung und Bitterkeit büßen müssen. Einen Anderen hätte Deine Liebe zum Sclaven gemacht; mich zwang sie im ewigen Kampfe gegen Deine Herrschsucht zu stehen, die sich jedes Gedankens, jeder Regung meines Inneren bemächtigen wollte. Aber ich dächte, Beatrice, Du hättest bisweilen doch in mir Deinen Meister gefunden, der seine Selbstständigkeit zu wahren wußte und der nicht sein ganzes Sein und Wesen in Ketten schlagen ließ.“

Der Sturm war einmal heraufbeschworen. Nun gab es auch kein Einhalten und keine Mäßigung mehr. Zum Mindesten für Beatrice nicht, deren Leidenschaftlichkeit immer wilder aufschäumte.

„Das also muß ich von den Lippen des Mannes hören, der mich so oft seine Muse genannt hat? Hast Du vergessen, wer es war, der Dich zuerst zum Bewußtsein Deines Talentes und Deiner selbst erweckte, wer allein Dich hinaufführte auf die Sonnenhöhe des Ruhmes? Ohne mich wäre der gefeierte Rinaldo zu Grunde gegangen in den Fesseln, die er nicht zu zerreißen wagte.“

Sie fühlte nicht, wie grenzenlos der Vorwurf seinen Mannesstolz verletzen mußte, Reinhold fuhr auf, aber nicht mit jenem Hochmuth, der jetzt nur zu oft seinen Charakter verdunkelte; diesmal war es stolzes energisches Selbstbewußtsein, mit dem er sich emporrichtete.

„Das wäre er nicht. Denkst Du so klein von meinem Talente, daß Du glaubst, es könnte sich nur mit Dir und durch Dich Bahn brechen? Meinst Du, ich hätte nicht allein meinen Weg gefunden, mich nicht allein zu der jetzigen Höhe emporgeschwungen? Frage meine Werke danach! Sie werden Dir die Antwort geben. Ich wäre gegangen, früher oder später; daß ich mit Dir ging, ist mir zum Verhängniß geworden, denn das zerriß jedes Band zwischen mir und der Heimath und riß mich selber auf Bahnen, die der Mann wie der Künstler besser gemieden hätte. Du hieltest mich jahrelang fest in dem Rausche eines Lebens, das mir nie auch nur eine Stunde wahrer Befriedigung und wahren Glückes bot, weil Du wußtest, daß, wenn ich erst einmal daraus erwachte, es mit Deiner Macht zu Ende sei. Verzögern konntest Du das, verhindern nicht – das Erwachen kam spät, zu spät vielleicht – aber es kam doch endlich.“

Beatrice stützte sich auf den Marmorsims des Kamins, an dem sie stand; ihr ganzer Körper bebte wie im Fieber, zeigte ihr diese Stunde doch, was sie längst schon gefühlt hatte, ohne es sich eingestehen zu wollen, daß ihre Macht in der That zu Ende war.

„Und wer, meinst Du, soll das Opfer dieses ‚Erwachens‘ sein?“ fragte sie dumpf. „Hüte Dich, Rinaldo! Deine Frau verließest Du, und sie ertrug das geduldig – ich ertrage es nicht. Beatrice Biancona läßt sich nicht aufopfern.“

„Nein, eher opfert sie selbst.“ Reinhold trat vor sie hin und sah ihr fest in’s Auge. „Du würdest den Dolch zücken – nicht wahr, Beatrice? Auf Dich oder mich, gleichviel, wenn nur Deine Rache gekühlt würde. Und wenn ich die Waffe Deiner Hand entrisse und reumüthig zu Dir zurückkehrte, Du öffnetest mir doch wieder die Arme. – Du hast ganz Recht, Eleonore ertrug es geduldiger; da hielt mich kein Wort, kein Vorwurf, da wurde der Weheschrei erstickt im tiefsten Innern. Ich vernahm auch nicht einen Laut davon; aber in dem Moment, wo ich sie verließ, da war ich der Ausgestoßene, da verschloß sich mir die Wiederkehr auf immer. Und wenn ich jetzt zu ihr käme in allem Glanze meines Ruhmes und meiner Erfolge, wenn ich ihr Lorbeeren, Gold, Ehren, Alles zu Füßen legte und mich selbst dazu – es wäre umsonst: sie vergäbe mir nicht.“

Er brach ab, als habe er bereits zu viel gesagt, Beatrice erwiderte kein Wort; kein Laut kam von ihren Lippen, nur die Augen redeten eine düstere, unheimliche Sprache, aber Reinhold verstand sie diesmal nicht, oder wollte sie nicht verstehen.

„Du siehst, daß jene Trennung unwiderruflich ist,“ sagte er ruhiger. „Ich wiederhole es Dir, Du hast von dieser Seite nichts zu befürchten. Du warst es, nicht ich, die diese Scene heraufbeschwor. Es ist nicht gut, wenn man die Geister der Vergangenheit wieder aufweckt, zumal zwischen uns nicht. Laß’ sie ruhen!“

Er verließ sie und trat in den anstoßenden Salon, wo er sich in die auf dem Flügel liegenden Noten vertiefte oder doch zu vertiefen schien, um dem weiteren Gespräche zu entgehen. „Laß sie ruhen!“ das wurde so ruhig, so düster gesprochen, und doch klang es wie ein Hohn in seinem Munde. Konnte er doch nicht einmal mehr die Geister der Vergangenheit bannen, und er verlangte es von der Frau, die sich von ihnen in dem bedroht sah, was ihr nun einmal als das Höchste galt, in seiner Liebe, die trotz allem, was sich im Laufe der Jahre zwischen sie und ihn gedrängt hatte, doch an ihm hing mit allen Wurzeln ihres Inneren, deren glühende leidenschaftliche Natur von jeher in der Liebe wie im Hasse keine Grenzen gekannt hatte. Wer Beatrice jetzt sah, wie sie sich langsam emporrichtete und ihm nachblickte, der wußte, daß sie das nicht ruhen lassen und selbst nicht ruhen werde, und Reinhold hätte bedenken sollen, als er ihr so trotzig die Stirn bot, daß er jetzt nicht mehr allein ihrer Rache gegenüberstand, daß er in dieser Stunde nur zu sehr verrathen hatte, auf welchem Wege sie ihn tödtlich treffen konnte. Der Blick, der so unglückverheißend dort aufflammte, bedrohte nicht ihn, aber etwas Anderes, das er nicht zu schützen vermochte, weil man ihm das Recht dazu versagte – sein Weib und sein Kind.

(Fortsetzung folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_544.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)