Seite:Die Gartenlaube (1874) 538.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Deckel abgehoben und die verhängnißvolle Schüssel herausgenommen. Bei Tagesanbruch war Alles wieder wie vorher.

Doch wurde später diese That bekannt, und die Betheiligten wurden laut richterlichen Erkenntnisses wegen Uebertretung der §§ X. des Strafgesetzbuches unter Annahme mildernder Umstände zu einigen Wochen Gefängniß verurtheilt. Der Todtengräber wurde abgesetzt. Da aber bis jetzt weiter keine Sterbefälle in der Familie vorgekommen sind, so tröstet sich Jeder über seine Strafe mit dem Bewußtsein, der „seligen Tante“ Ruhe im Grabe verschafft, sich und den Seinigen aber das Leben gerettet zu haben.

Spricht wohl noch irgend Etwas energischer für die Forderung vernünftiger Volksbildung und gesunder Volksaufklärung?

G–k.




Die Wildschützen der baierischen Berge. Aus den Bergen namentlich den baierischen, sind neuerdings wiederholt Berichte über Wilddiebereien der kühnsten und verwegensten Art eingegangen. Die Unerschrockenheit und zähe Beharrlichkeit, welche die Wildschützen bei der Ausübung ihres Handwerks den drohenden Gefahren desselben entgegenbringen, ist psychologisch nicht uninteressant und läßt auf die dämonische Gewalt schließen, welche das unerlaubte Waidwerk auf das menschliche Gemüth ausübt. Es hat Erlebnisse in seinem Gefolge, die oft schauriger Natur sind.

Schilderungen von Jägern, die an’s Kreuz geschlagen oder an Baumstämme gebunden wurden und verhungern mußten, sind zur Genüge bekannt und nicht immer ganz wahr; die nachfolgende Geschichte ist mir von einem der Helden vollkommen verbürgt und überdies im Munde des Volkes.

Vor einigen Jahren war in Gmund am Tegernsee ein Förster angestellt, der bald durch strenge Ahndung jeglichen Forstfrevels den Haß der Bevölkerung auf sich gezogen hatte. Statt, wie es das Vernünftigste gewesen wäre, sich in ein anderes Revier versetzen zu lassen, lachte er des stillen, ohnmächtigen Grimmes und wurde immer unduldsamer. Eines Tages traf er im Walde einen harmlosen, vierzehnjährigen Buben, der ein einspänniges Wägelchen lenkte. Auf letzterem lag, mit Tannenreisern bedeckt, ein frischgeschossener Hirsch. Die Frage des Försters, woher das Wild sei, beantwortete der junge Bursche, wie sich später herausstellte, in wahrheitsgetreuer Weise; er sagte nämlich, ein Jagdgehülfe habe ihn gedungen, an einem bezeichneten Orte das erlegte Wild abzuholen. Jedenfalls hatte der dürftig besoldete Gehülfe die Beute auf eigene Faust verwerthen wollen; allein der Förster, der den wirklichen Sachverhalt wohl erkennen mochte, erklärte den Burschen dessenungeachtet als seinen Gefangenen und ließ ihn vor sich her im Schritte dem Forsthause zufahren. Dort schlug er den Armen mit einem Knüppel, bis er ohnmächtig war, und band ihn mit Händen und Füßen an das Treppengeländer, wo er ihn die ganze Nacht schweben ließ. Am nächsten Morgen mußte der gequälte Bube mit dem Förster auf’s Gericht nach Miesbach; doch noch bevor sie dahin gelangten, ging dem jungen Menschen, der wieder allein auf dem Wägelchen war, das Pferd durch. Obwohl an eine Flucht nicht zu denken war, nahm doch der Förster den Stutzen vom Rücken und schoß den Burschen mitten durch den Kopf.

Auf diese That hin lohte der mühsam verhaltene Zorn der Bevölkerung der Nachbarschaft in lichten Flammen auf; laut erscholl der Racheschwur im ganzen Bezirke. Kein Jäger wagte sich mehr allein in den Wald; nur gruppenweise und in mondhellen Nächten streiften sie scheu durch die Berge. In einer solchen Nacht – es war im September – schritt der erwähnte Förster mit zwei Gehülfen durch das Gehölz am Abhange des Westerberges; die Büchsen glänzten im Strahle des Mondes, und in den Gebüschen spielten die gespenstischen Schatten der drei Männer, die manchmal vorsichtig lauschend stehen blieben. Vor einer Waldlichtung machten sie Halt, um abzuwarten, bis der Mond hinter eine Wolke treten würde, da sie nicht wagten, den hellbeleuchteten schutzlosen Plan zu überschreiten. Endlich setzen sie ihren Marsch fort; schon ist das Ende der Lichtung erreicht; da brechen plötzlich sieben vermummte Burschen hinter den Tannen hervor, und es entspinnt sich ein grausiger Kampf. Die Jäger wehren sich tapfer, aber sie erliegen der Uebermacht. Von Schlagringen und Messern gräßlich bearbeitet, sind sie in’s Moos gestreckt, und zufrieden mit ihrer Rache entfernen sich die Mörder von der blutigen Stätte. Aber bald kehren zwei zurück, um zu untersuchen, ob die Opfer auch wirklich todt sind.

„Hies (Matthias)!“ sagt der Eine, „ich mein’ der Jagdg’hülf von Schliers lebt noch. Geben wir ihm den Rest!“

„Warum nit gar? Der ist maustodt und steht nimmer auf. Dem hat mein Knicker ’s Lebenslicht auf ewig ausblasen,“ ist die selbstbewußte Antwort des Andern, und die Beiden entfernen sich.

Aber der Jagdgehülfe war nicht todt und hatte die Mörder erkannt. Er brachte sie zur Anzeige, und eine langjährige Gefängnißstrafe gab denselben Gelegenheit über das Entsetzliche ihrer Handlungsweise nachzudenken. Trotz der Sühne des Gesetzes nahmen auch noch die Jäger Privatrache und erschossen den Sohn eines der betheiligten Männer, den sie beim Wildern ertappt hatten. Der bejahrte Vater lebt jetzt noch als begüterter Bauer nicht weit vom Orte des nächtlichen Mordüberfalles.

Aehnliche Vorfälle ereigneten sich früher in allen Bezirken des bairischen Hochlandes und sind auch gegenwärtig noch immer zu befürchten.

Doch hinweg von diesen blutigen Scenen zu ein paar lustigen Wildschützenstücklein der letzten Jahre!

Der „Schuß-Maxei“ ist ein weitbekannter Bauer, der, wenigstens früher nicht mit Unrecht, im Verdachte des Wilderns stand. Lange hatte er sein Handwerk betrieben, ohne erwischt zu werden; er war den Jägern immer zu schlau gewesen. Aber einmal, als er eben einen schweren Rucksack nach der ihm gehörigen Almhütte tragen wollte, begegnete ihm ein Forstgehülfe und hielt ihn an. Richtig war im Rucksack ein Rehbock. „Nun, jetzt bin ich halt a mal eingangen,“ sagte gutmüthig der Maxei. „Jetzt geh’ ich in Gottes Namen mit Dir auf’s Gericht; den Kopf werden’s mir nit ’runterreißen.“

Der Jäger nahm ihm die Büchse ab, und Beide stiegen in bester Eintracht thalabwärts, der Gehülfe froh über seinen guten Fang und der Schuß-Maxei heimlich in sich hineinlachend. Als sie am Hause des Letzteren vorbeikamen, meinte Dieser, es schicke sich doch nicht, in seinem schmutzigen Anzuge zum Herrn Landrichter zu gehen; er wolle erst sein Feiertaggewand anlegen. Der Herr Jäger könne indeß ein paar Gläschen Kirschengeist bei ihm trinken. Dieser machte zwar einige Einwendungen, allein die Aussicht auf den genannten geistigen Genuß überwog endlich seine Bedenken.

Im Hausflure legte Maxei den Rucksack in eine Ecke und trat mit dem Jäger in die Wohnstube, wo sein Weib war. Mit einigen Worten setzte er ihr die Situation auseinander und flüsterte ihr rasch etwas zu, als der Jagdgehülfe sich eben in den aus dem Wandkasten geholten Schnaps vertiefte.

Das Weib eilte hinaus und brachte das „schöne Gewand“ ihres Mannes, der sich trotz dem Drängen des Jägers mit seiner Toilette nicht sonderlich beeilte. Endlich mußte er doch aufbrechen und nahm im Flure seufzend den schweren Rucksack wieder auf. Unterwegs nach dem Gerichte seufzte er dem Gehülfen eine ganze Jeremiade vor, von dem Unglücke, in das er gestürzt werde, bat ihn, daß er ihn für diesmal noch gehen lasse, er wolle gewiß nicht mehr wildern – aber der grausame Jäger blieb unerbittlich. Maxei mußte auf’s Gericht. Der Landrichter empfing den Arrestanten lachend und sagte:

„Haben sie Dich endlich einmal ertappt, Maxei?“

Aber Dieser nahm die treuherzigste Miene an, die ihm zu Gebote stand, und antwortete:

„Gnaden, Herr Landrichter, ich weiß nit, was der Mann da hat; er muß nit recht bei Trost sein. Fangt mich da ab, wie ich ganz still von meiner Alm ’runter ’n Gaisbock trag’n will, den ich heut’ abg’stochen hab’, und sagt, ich müßt’ auf’s G’richt.“

Da macht der Maxei seinen Rucksack auf und zieht an den Hörnern einen Gaisbock heraus, den seine Frau hineinprakticirt hatte. Natürlich brachen die Beamten und Schreiber in ein lautes Gelächter aus, während der Jäger sich gewaltig ärgerte; wenn auch Alle den Sachverlauf ahnten, so war doch nichts zu machen, und Maxei trug lustig und sich in’s Fäustchen lachend seinen Gaisbock wieder nach Hause. –

Ein andermal kam ein Jagdgehülfe athemlos zum Förster nach Schliers und erzählte, daß er den ältern Stubenbauer auf dem Brecherspitz wildernd getroffen und erschossen habe. Fünf Minuten später trat der Todtgeglaubte zur Thür herein und erklärte, dem Förster das noch schuldige Holzgeld zahlen zu wollen. Er war wirklich von der Kugel des Jägers in den Schenkel getroffen worden und hatte sich mühsam heruntergeschleppt. Um den Verdacht von sich abzuwenden, falls ihn der Gehülfe erkannt hätte, hielt er es für’s Beste, sich dem Förster als gesund zu zeigen, und es gelang ihm auch mit Aufwand aller Kräfte, denselben zu täuschen. Aber die Sache wurde doch ruchbar, und ein paar Tage darauf kam der Bezirksarzt, um den Stubenbauer zu untersuchen. Nicht wissend, daß die Stubenbauern zwei Bruder waren, visitirte er den Jüngern, an dem sich natürlich keine Spur einer Schußwunde fand, während sich der Schuldige in der Kammer daneben auf seinem Schmerzenslager befand.

Derartige Geschichten circuliren nach Dutzenden und söhnen wieder etwas mit dem Wildschützenwesen aus; aber trotz alledem ist es doch zu wünschen, daß der gesetzliche Sinn im Volke endlich Platz greift und den Vergehen gegen Wald und Wild ein Ende macht oder, wenn das nicht möglich ist, sie doch auf einzelne Fälle reducirt.

Fr. Kr.




Vom großen Unbekannten. Zehn Jahre sind nun verflossen, seit der Tod das Räthsel löste, das über dem Leben eines Mannes geschwebt, dem wir unbeirrt den Rang unter den ersten deutschen und englischen Romanschriftstellern einräumen dürfen. Drei Nationen stritten sich ähnlich wie bei dem mythischen Homer um die Ehre der Landsmannschaft des Dichters Sealsfield. Der „große Unbekannte“, wie Rudolf Gottschall ihn nannte, scheint nun aber das Loos aller großen Männer theilen zu müssen, er, dessen Leben zwei Welten umspannte, dessen Ruhm die ganze gebildete Welt erfüllte, scheint gerade am wenigsten im Gedächtnisse seiner engeren Landsleute zu leben. Nichts erinnert in Znaim bisjetzt daran, daß es die Stätte der Jugendzeit Sealsfield’s gewesen, daß das hiesige Gymnasium dem regen Geiste desselben die erste Nahrung geboten.

Nur im einsamen Walde draußen, auf einem romantisch von aller Welt abgekehrten Plätzchen, das die Tradition als Lieblingsstätte des Gymnasiasten Karl Postel bezeichnet, hat ein Verehrer des Schriftstellers ein schlichtbescheidenes, aber sinniges Denkmal improvisirt. Auf einem riesigen, weiß übertünchten Felsblocke ist in schwarzen Lettern folgende Inschrift angebracht:

P
Den Manen
unseres großen Landsmannes
Charles Sealsfield.
Geb. zu Poppitz, den 3. März 1793.
Gest. zu Solothurn den 26. Mai 1864.

Ueber der ersten Zeile befindet sich ein aus den Buchstaben S und C gebildetes P, wie es Sealsfield für sein Grabmal in Solothurn angeordnet hatte. Der in Todesschweigen ruhende Gedenkstein inmitten einer prachtvollen wildromantischen Gegend, die als „mährische Schweiz“ bekannt ist, erweckt in dem Beschauer eigenthümliche Regungen und den Wunsch, ein würdiges Monument endlich in’s Leben treten zu sehen.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_538.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)