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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Wunderbar süß ist dein mächtiger Reiz, goldleuchtender Bergsee,
Daß sich die Brust aufschließt in ahnenden Schauern der Gottheit,
Grauenerfüllt in der Einsamkeit der erhabenen Urwelt,
Gleich als führte kein Pfad in die lachenden Auen zurücke,
Gleich als wäre das Menschengeschlecht noch nimmer erschaffen,
Oder als wär’s schon längst von dem donnernden Zorne der Götter
Seit Jahrtausenden wieder vertilgt von der nährenden Erde,
Daß nur Asche noch weht von Eroberern, von Schaaren der Krieger,
Frommen Mönchen und zahllosem Volk im Staube der Sonne
Draußen auf Haiden im Sturm. – Hier waltet erfrischende Kühle
Unentweihter Riesennatur voll heiligen Friedens,
Schattenumschwebt wie die stygische Fluth. Nur Schatten von Wolken
Sind’s, die d’rüber hinzieh’n und manchmal ruhen am Felsport.

Aehnliche Schilderungen der Alpennatur so wie des Lebens hoch oben in der Bergeinsamkeit sind vielfach in der Dichtung verstreut und bilden die Perlen an der Schnur der Begebenheiten, an welcher der Dichter seine Dorfgeschichte eingefädelt hat.

Süditalienische Natur schildert Große in dem Gedichte „Das Mädchen von Capri“, und auch hier ist die stimmungsvolle Beleuchtung neapolitanischer Landschaft von echt dichterischem Reize. Die Novelle in Versen selbst gehört in ein vorzugsweise von Paul Heyse gepflegtes Genre, das der Touristen- und Künstlerliebschaften auf Zeit, die den italienischen Himmel und das fremde Colorit brauchen, um mit ihren freizügigen Empfindungen nicht zu sehr gegen die bürgerliche Moral zu verstoßen. Ein deutsch-ungarischer Maler hat sich in ein reizendes Kind vom Felseneilande des Tiberius verliebt; doch schwere Krankheit zwingt ihn, nach Neapel zurückzukehren. Hier empfiehlt er sie einem russischen Freunde; er möge als Hort und Schutz ihn bei dem holden Kinde ersetzen. Der Russe geht auf das Abenteuer ein; doch ohne es zu wissen, macht er schon auf der Ueberfahrt von Neapel nach Capri die Bekanntschaft des reizenden Kindes; es entspinnt sich ein glückliches Liebesverhältniß, welches in seiner Entwickelung mit anmuthigen Farben geschildert ist. Allerliebste Genrebilder, etwa im Stile des anmuthigen Genremalers Robert, lösen sich ab mit Landschaftsgemälden im Stile von Poussin und Claude Lorrain, indem ja die Handlung auf einem durch die Geschichte des Alterthums geweihten Boden spielt und das flüchtige Liebes- und Lebensglück mit den Erinnerungen einer großen, aber wüsten Vergangenheit verschmilzt. Auch sonst weiß der Dichter nach allen Seiten hin geistige Fernsichten zu eröffnen. Die Katastrophe dieser Liebe tritt ein, als das Mädchen von Capri erfährt, der Geliebte sei ihr vom Freunde als Ersatz bestellt; sie fühlt sich verkauft und sagt sich von ihm los. Auch diese pathetische Wendung kommt in ausdrucksvoller Weise zur Geltung. Den abenteuernden Russen ruft inzwischen der Feldzug des ersten Napoleon gegen Rußland zurück in’s Vaterland.

Beide Dichtungen, „Gundel vom Königssee“ sowohl wie „Das Mädchen von Capri“, gehören zu den gelungensten neueren Schöpfungen unserer epischen Muse.

Außerdem, verehrte Freundin, hat Große eine große Zahl epischer Gedichte verfaßt, die in das Gebiet der orientalischen Märchen gehören, etwas Phantastisches, Verschleiertes haben, auch einen mehr oder minder klar ausgeprägten Grundgedanken, aber doch nicht jene dichterischen Vorzüge wie diese beiden Hexameterdichtungen. Es liegt auf ihnen etwas wie der Duft von Opium- und Haschischträumereien, und dabei giebt der spanische Trochäus mit seinen mehr ermattenden als verstärkenden Wiederholungen der Darstellung oft etwas Breitspuriges. Gleichwohl fehlt es nicht an Glanzstellen einer orientalisch farbenreichen Phantasie. Die umfassendste dieser Dichtungen ist „Tamarena“; die Heldin derselben ist die Tochter des Großveziers von Bagdad, die sich in einem märchenhaften Zauberschlosse kühn ein phantastisches Glück gründet, den Jüngling, für den sie in Liebe entbrannt ist, zu sich entführen läßt, sich ihm in geheimer Ehe verbindet und in aller Pracht des üppigsten Luxus ein von Glück berauschtes Leben führt. Doch hat diese „Tamarena“ auch etwas von einer „Venus im Pelz“; aus Eifersucht läßt sie dem liebestrunkenen Jüngling die Bastonnade ertheilen und singt dazu „ein Lied von mächt’gem Klange“. Der bestrafte Liebhaber, der außerdem seine Eltern durch sein Verschwinden in tiefes Leid gestürzt hat, verfällt in Wahnsinn; Tamarena bereut ihre Grausamkeit. Der weise Khalif Harun al Raschid schützt indeß „ein holdes Glück, das sich kühn von selbst gegründet“, und führt die Liebenden zusammen. Nicht minder märchenhaft ist „Ferek Musa“. Der Held wird von einer stolzen Schönen dafür bestraft, daß er die Weiber für leichte, um Gold zu erkaufende Waare erklärt hatte. Die schöne Taniura macht ihn zum Bettler; er muß um ihretwillen demüthigende Knechtsdienste thun, bis sie den Bestraften wieder gnädig aufnimmt zum Mitgenuß ihrer großen Reichthümer.

Die Lehre von der Seelenwanderung, die im östlichen Asien viele Millionen von Bekennern zählt, hat unsern Dichter zu einer neuen in jene gesammelten Gedichte nicht mit aufgenommenen Dichtung, „Abul Kazim’s Seelenwanderung“, begeistert – einer divina commedia des Orients. Es geht sehr bunt zu in diesem Guckkasten aller Bilder, welche die Seele auf ihrer Wanderschaft durch das Leben erblickt, und die Lebensläufe bewegen sich bald in aufsteigender, bald in absteigender Linie; ja, auch durch verschiedene Stationen des Thierreiches passirt die Seele hindurch; doch hält sich der Dichter hierbei nicht lange auf und erwähnt nur im Chronikenstil, daß Abul Kazim als Schlange, als Kellerwurm, als Spinne herumgekrochen, und ein anderes Mal, daß er als Goldfisch, Goldkäfer und zuletzt als semmelfarbenes Hündchen existirt hat. Nur in die Hundeexistenz fallen einige romanhafte Lichter, denn als Hund schnüffelt er eine Räuberbande heraus, die seinen Herrn erschlagen hat. Sehr anschaulich sind die Freuden des Hundelebens geschildert, das „Duftgeheimniß“, das den Hund überall umgiebt und reizt, die „Wolke seltsamster Gerüche“, in welcher er schwelgt. Auch in’s Jenseits macht die Seele des Helden einen Ausflug. Dort benimmt sie sich indeß höchst curios; aus Langerweile stiehlt sie den Engeln oft ihre Botschaft, entreißt ihnen die Zornesschalen, verschüttet sie und bewirkt auf Erden große Umwälzungen. Zur Strafe für diese Eingriffe in die Weltherrschaft wird sie in den Höllenschlund des Vesuv hinabgeschleudert, wo namentlich eine schöne Büßerin, Teba, verweilt, die früher als Aspasia und Lucrezia Borgia auf Erden gewandelt ist und jetzt gelegentlich den Blocksberg besucht. Abul Kazim beginnt in der Hölle ein Missionswerk; er will die Sünder bekehren und bessern und dann aus der Hölle entführen. Zur Strafe dafür wird er nach dieser Höllenfahrt wieder an die Oberwelt ausgespieen. Seine Seele hat hier ein großes Rollenrepertoire, das sie im Laufe der Zeiten aufführen muß: Schauspieler bei den Chinesen, König bei den Aegyptern, Kaufmann in Kleinasien, Prophet in Palästina, Krüppel in Frankistan, Feldherr bei den Venetianern, Lehrer der Weisheit, Goldmacher, Derwisch, – ja einmal wird sie auch ein schönes Weib.

Das giebt zu denken, verehrte Freundin. Wie viele Frauen mit männlichem Geiste und Männer mit weibischem Charakter giebt es in der Geschichte! Vielleicht sind dies Seelen, die bisher in dem andern Geschlechte gehaust haben und nun auf einmal in eine ungewohnte Körperlichkeit verschlagen worden sind. Da bleibt denn so etwas von den alten Lebensgewohnheiten haften, und ein ehemaliger General oder Sergeant, wenn er auch längst seinen Schnauzbart verloren hat und in zarter weiblicher Hülle wieder auftaucht, behält doch den befehlshaberischen Ton, an den er sich in seinen früheren Wandlungen auf Erden gewöhnt hat.

Die Behandlungsweise von Große ist phantastisch und grotesk, nicht satirisch scharf und einschneidend. Es ist der Stil der Gozzi’schen Zaubermärchen, welcher in dieser Dichtung herrscht; sie gleicht einer Camera obscura, mit vorbeischwebenden Bildern, vorübergleitenden Abenteuern oft märchenhafter, oft trivialer Art, einem Zaubercabinet mit verschwebenden dissolving views. Nichts davon ist recht zu fassen und festzuhalten mit bleibendem geistigem Gehalte; es ist ein Hereinklingen sinnvoller Bedeutungen, die aber eben so rasch wieder in’s Blaue austönen. Auch die Terzinen haben im Ganzen einen mehr plauderhaften Charakter; sie lassen die sich scharf einprägende Prägnanz vermissen. Es ist eine Dichtung, die man nehmen muß, wie sie ist; die Phantasie des Autors läßt sich mit Behagen gehn; sie nimmt gerade auf, was ihr in den Wurf kommt, und bewegt sich in denselben Purzelbäumen, wie die Seele ihres Helden, der aus einer Menschwerdung in die andere von Zufalls Gnaden herunterpurzelt.

Unsere neuen Dichter, verehrte Freundin, sind vielseitig; kein Romanschriftsteller, der nicht wenigstens ein Drama gesündigt hätte! Auch Julius Große hat dramatische Dichtungen in sieben Bänden veröffentlicht, Schöpfungen, in denen sich das dichterische Talent des Autors nicht verleugnet, die an einzelnen Schönheiten, ja auch an dramatischen Situationen reich sind, aber als ganzes Werk übt keines dieser Dramen eine ergreifende und volle



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