Seite:Die Gartenlaube (1874) 506.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

auf das gesammte Leben angewendeten Wissenschaft von seinen Poeten? Die Poesie der wissenschaftlichen Erkenntniß. Um euern Vorgängern mit Aussicht nachzueifern, das rief es ihnen zu, müßt ihr vertraut sein, wo möglich auch mit der Methode, zum wenigsten aber mit den Ergebnissen jeder Wissenschaft, nicht um selbst etwas zu leisten in den einzelnen Fächern, sondern um die hellsten Strahlen des wahren Zeitbewußtseins in einem Brennpunkte zu vereinigen, und damit eure poetischen Bilder zu entzünden, um Vergleiche, Anschauungen, enthüllte Geheimnisse und Gesetze des Lebens und der Natur aus allen Gebieten herbeizuziehn, um überblicksweise mehr zu wissen von Allem als jeder Andere und so mit Sicherheit den Zukunftspunkt des Horizontes anzuzeigen, nach welchem die Nation zu steuern, das Ideal zu offenbaren, das sie im Laufe der kommenden Geschlechter zu erfüllen habe.

Gleichwohl war für diejenige Poesie, von der allein hier die Rede ist, für die Sprachkunst, welche sich zu ihrer Darstellung des Verses bedient, so ziemlich das Gegentheil zur herrschenden Meinung geworden. Sie bewegte sich fast ausschließlich auf dem ihr und der Musik gemeinsamen Grenzgebiete der Lyrik. Es war dahin gekommen, daß Poeten die jenen Forderungen zu genügen trachteten, den Verdacht erweckten, keine geborenen Dichter zu sein, weil sie es nicht unternahmen, mittellos aus leerem Genie ein Weltbild zu entwerfen.

Ein Abendgang im säuselnden Haine, bei sinkender Sonne oder Mondbeleuchtung, ein stilles Kämmerchen, ein Blatt Papier nebst Feder und Tinte und allereigenste Eingebungen und Empfindungen: das waren nach herrschendem Begriffe die Requisiten der Poesie. In unserer gewaltigen Epoche des durch wissenschaftliche Erkenntniß triumphirenden Menschengeistes war sie ausgeartet zu einem tändelnden Spiele mit liebenswürdigen Kleinigkeiten. Es war ihr fast schon mythisch geworden, daß auch sie, wie jede andere Kunst, die ungetheilte Kraft, den angestrengten Fleiß eines Lebens für sich allein verlange; daß sie nicht minder als Architectur, Malerei, Sculptur und Musik eine mühselige Technik, eine Schule des Handwerks erfordere und eben deshalb gleich nothwendig wie diese Künste als alleiniger Lebensberuf zugleich ein Gewerbe sein müsse.

Um nun auch in Betreff der Poesie jene falsche und verderbliche Illusion von der aus Nichts schaffenden Wunderthätigkeit des bloßen Genies ausrotten zu helfen, will ich Sie einige Blicke thun lassen in die Werkstatt des Epos.




Blätter und Blüthen.


Opiumhandel und Opiumindustrie. Nicht allein dem Laien, auch Demjenigen, der mit den Dimensionen des Großhandels etwas näher bekannt ist, fehlt häufig der Maßstab für die Bedeutung des Opiumhandels und der Opiumindustrie. Unser Wissen beschränkt sich der Hauptsache nach auf die Thatsache, daß die Orientalen, namentlich die Chinesen, abscheuliche Opiumesser sind, daß selbst das Prügeln mit Bambusstöcken, ja sogar die Todesstrafe diesem Laster keinen Einhalt zu thun vermögen, daß das sittenstrenge, fromme England, die Heimath der Bibelgesellschaften, China wegen seines Opiumhandels im Jahre 1840 bekriegte und daß es gegenwärtig jährlich nahezu für zehn Millionen Pfund Sterling von diesem Gifte an die Chinesen verkauft. Handelt es sich jedoch um diejenigen Quantitäten, welche bei uns verbraucht werden, so fehlen uns die Anhaltspunkte für eine Schätzung, denn es sind scheinbar ungemein kleine Mengen, um die es sich hier handelt. Im Großhandel erreicht der Opiumverbrauch jedoch ungeheure Dimensionen, namentlich seitdem die Medicin mit Vorliebe das Opium und seine Fabrikate verwendet.

Es läßt sich annehmen, und wir greifen unsere Zahl eher zu gering als zu hoch, daß auf dem europäischen Festlande mindestens sechstausend Centner Opium in einem Werthe von sechs Millionen Gulden allein zur Darstellung seiner Pflanzensalze (Alcaloide) verbraucht und daß mindestens ebenso viel zu anderen Arzneizwecken verwandt werden. Aus diesen Ziffern ersieht man die Bedeutung des Opiums für die moderne Medicin. Was würde heute Tabernämontanus sagen, der im sechszehnten Jahrhundert einst mit Entrüstung ausrief:

„Die Landstreicher und verzweifelte Juden haben diesen Saft beständig im Gebrauch und pflegen große Wunderzeichen damit auszurichten, dieweilen sie gar behend alle Schmerzen damit können stillen und widerlegen und ihnen selbst damit ein Ansehen bei dem gemeinen Mann geben. Vor solchen losen Aerzten will ich Jedermann gewarnt haben, daß er solche Leut’, so gar kein Gewissen haben, müßig gehe: denn sie gedenken nur die Schmerzen zu lindern, es gehe nachher wie es wolle.“

Die drei Hauptstapelplätze des continentalen Opiumhandels sind gegenwärtig die chemischen Fabriken von E. Merk in Darmstadt, Dubosc in Paris und F. Jobst in Stuttgart. Die erstere ist unstreitig die bedeutendste. Ihr Begründer ist der als der größte Opiumbrenner berühmte, 1860 verstorbene Heinrich Emanuel Merk. Er betrieb anfänglich die Morphiumfabrikation in einem kleinen Gartenhause und verarbeitete Quantitäten von nur wenigen Pfunden. Heute bedeckt die Fabrik den Raum eines ganzen Stadtviertels, und allein zum Zwecke der Morphiumdarstellung werden täglich fünf Centner Opium, etwa einen Werth von fünftausend Gulden repräsentirend, verarbeitet. Der Gesammtopiumconsum der Fabrik dürfte sich über zweitausend Centner belaufen. Ihr Waarenlager stellt einen Werth von mindestens einer Million Gulden dar, und noch weit höher beläuft sich wohl der Jahresumsatz. In Paris besitzt die Firma eine Filiale. Neben Deutschland sind es vorzugsweise die Schweiz, Italien, Belgien, die Niederlande und Rußland, wo die Fabrik ihre Präparate absetzt. Allein der Absatz nach Italien soll einen Werth von über hunderttausend Gulden repräsentiren.

Dieser überraschende Engros-Betrieb der Darstellung der Opiumpräparate ist besonders darum merkwürdig, weil auch hier durch das Beispiel gezeigt wird, wie jeder Geschäftsbetrieb erst dadurch, daß mit großen Massen gearbeitet wird, zu einem einträglichen wird. Bekanntlich verringern sich die auf das Product entfallenden Kosten in dem Maße, als die Masse des Materials zunimmt. Bei der Opiumindustrie tritt aber der Preis des Rohmaterials der Anwendung dieses für die meisten Zweige der chemischen Industrie geltenden Grundsatzes hindernd entgegen. Einmal sind von dem Opium sehr verschiedene Qualitäten im Handel und die theuereren, diejenigen, welche das meiste Morphium enthalten, sind die einträglicheren, und außerdem ist der Preis des Opiums überhaupt ein so hoher – der Centner kostet gegenwärtig circa tausend Gulden – daß es sich, will man günstige Handelsconjuncturen benützen, um Summen handelt, welche nur wenigen auserwählten Sterblichen zu Gebote stehen. Nur Actiengesellschaften können auf diesem Gebiete der Industrie noch prosperiren.

Bei der Merk’schen Fabrikation kommt noch besonders das Verdienst des Gründers der Fabrik hinzu, welcher eine Methode für die Darstellung der Opiumalcaloide gefunden hat, durch welche die einzelnen Pflanzensalze nicht allein auf das Vollständigste ausgeschieden werden können, sondern welche auch diejenigen Bestandtheile, welche keinen Handelswerth besitzen, auf die einfachste Art entfernt.

Das Opium enthält neben seinen Alcaloiden, dem Morphium, Mekonin, Thebain, Narcein und Codein, nämlich noch mehrere andere zu beseitigende organische Substanzen, namentlich Kautschuk, Gummi, Eiweiß und Porphyroxin, welche die Herstellung eines reinen Productes wesentlich erschweren können, und welche gerade durch die Merk’sche Methode rasch beseitigt werden.

Bei einem guten Opium erhält man aus fünf Centnern mindestens achtzehn Kilogramm Morphium, welche, das Pfund zu hundertsechsunddreißig bis hundertundvierzig Gulden gerechnet, einen Werth von etwas über fünftausend Gulden repräsentiren, fünfhundertzehn Gramm Codein im Werth von zweihundert Gulden, dreihundertsechszig Gramm Thebain im Werthe von siebenhundertzwanzig Gulden, ebensoviel Mekonin im gleichen Werthe, und endlich ergiebt sich eine Ausbeute von zweihundertfünfundachtzig Gramm Narcein im Werthe von fünfhundertsechszig Gulden, so daß sich bei der fabrikmäßigen Ausbeutung des Opiums ein aus Obigem leicht zu berechnender, ansehnlicher täglicher Gewinn ergiebt.

Alles das kömmt in den Handel und wird mit wahrhaft fabelhafter Schnelligkeit consumirt, so daß das, was die verschiedenen bestehenden Fabriken produciren, oft kaum ausreicht, um den Bedarf zu decken. Manchem erscheinen die Zahlen, um welche es sich im Großbetrieb handelt, ungeheuerlich. Es klingt unglaublich, wenn man hört, daß eine Londoner Firma wöchentlich zweitausend Säcke Weizenmehl zu jenen kleinen, unscheinbaren Biscuits verbraucht, welche bei den Damen als Dessert so beliebt sind. An dem Beispiele der Opiumalcaloide, von denen ein kleines Stäubchen bereits seine Wirkung auf den thierischen Organismus ausübt, glaube ich meinen Lesern gezeigt zu haben, zu welchen ungeheuren Ziffern auch die unscheinbarsten Quantitäten anwachsen, sobald es sich um den Bedarf ganzer Länder und Völker handelt.

F. D–ch.




Kleiner Briefkasten.

G. B. in R. Eine bildliche Darstellung des Kissinger Attentates würde bei der durch die Auflage bedingten zeitraubenden Herstellungsweise unseres Blattes den Lesern nur sehr verspätet und wahrscheinlich erst dann zu Gesicht kommen, wenn bereits eine Anzahl anderer illustrirter Zeitungen Abbildungen des traurigen Vorfalls gebracht haben würde. Wir gedenken daher ein solches Bild nur für den Fall zu publiciren, daß wir im Stande wären, etwas wirklich Authentisches zu bieten.

A. M. in Schw. Die Novelle „Sophie Dorothea“ (Gartenlaube, 1862, Nr. 36 ff.), welche, wie Sie richtig bemerken, von Arthur Müller, Rudolph Wellmann u. A. dramatisirt wurde, hat den bekannten Emil Mario Vacano zum Verfasser.

M. H. Ihr Manuscript kann nur dann retournirt werden, wenn Sie uns Ihre volle Adresse angeben.

F. Pf. Ihre Arbeit ist nicht zu verwenden. Das Concept steht zu Ihrer Verfügung. Auch auf Ihre Offerten bedauern wir nicht eingehen zu können.

Unbekannter Einsender in Inowraclaw wird wegen Rücksendung seines nicht zu verwendenden Manuscriptes um Angabe seiner Adresse gebeten.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_506.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2016)