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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

lauschen wollte, mehr als einmal fragte sie: „Ist er auch wirklich todt?“ Und doch hatte sie selbst, als er geschieden war, die Augen ihm zugedrückt, weil sie diesen letzten, schweren Liebesdienst keiner fremden Hand überlassen wollte.

Seine Freunde und zahlreiche Fremde kamen, um ihn noch einmal zu sehen, und auch sein Freund Gustav Freytag, der gekommen war, um ihm das letzte Geleit zu geben, der vorher aber durch Krankheit in seiner Familie wieder zurückgerufen wurde, trat noch einmal an den offenen Sarg, um ein Bild des Friedens mit sich zu nehmen. Der Bruder und die Schwester der schwer gebeugten Gattin waren schon vorher aus Mecklenburg gekommen, um ihr beizustehen in ihrer Trauer und den Todten noch einmal zu sehen.

Der schwere Augenblick, in welchem der Sarg für immer geschlossen werden mußte, kam und noch einmal geleiteten wir die fast gebrochene Frau zum letzten Abschiede von ihrem Fritz. Da sah das Auge, wie schwer sich trennt, was so innig und treu in Liebe verbunden gewesen; da zeigte sich, welche unsagbar tiefe Kluft den Tod von dem Leben trennt, wie fest das Band, welches zwei gute Menschen verbunden. Schimmerte doch an dem Finger des Todten noch der Ring, der sie einst zum Glücke vereint und ein treues Symbol desselben geblieben war. Ihr Wunsch war es, daß er ihn mitnehme in die Erde; sie hatte ihm denselben ja einst geschenkt und wollte von dem Todten die Gabe nicht zurückfordern. Noch drängt mir die Erinnerung an diesen letzten Abschied, wie sie sich über ihn beugte, um ihn fest zu halten, obschon sie ihn lassen mußte, wie sie die liebe Hand so innig küßte, die Thräne in das Auge; noch klingt ihr letzter Ruf: „Lebewohl, lebewohl!“ in dem Ohre wieder, wie ein neues Gelöbniß, das sie mit unzertrennbaren Fesseln an den Todten bindet. Fast mit Gewalt mußte ich sie fortführen.

Der Sarg wurde geschlossen; die Lichter auf den Kandelabern, welche zu Haupten und zu Füßen desselben standen, wurden angezündet. Die, welche dem Dichter das letzte Geleit zum Friedhofe geben wollten, kamen. Der Großherzog ließ sich durch den Commandant der Wartburg, von Arnswald, und den Freiherrn von Loën aus Weimar vertreten; Reuter’s Freund und Verleger Hinstorff war von Wismar herbeigeeilt. Die Burschenschaften Jenas, die Germanen, Arminen und Teutonen, hatten Deputirte gesandt, da Reuter selbst einst der Burschenschaft in Jena angehört. Die aufgelöste Burschenschaft Germania in Wien hatte ein Telegramm geschickt. Des Todten Neffe, August Reuter, war aus Mecklenburg gekommen, ebenso der Bürgermeister aus Reuter’s Vaterstadt Stavenhagen, von Bülow, um einen Kranz von Eichenblättern von der Fritz Reuter-Eiche auf dem Sarge niederzulegen; die Stadt Eisenach ließ sich durch ihren Oberbürgermeister und die Ersten ihrer Behörden vertreten; alle Freunde des Verstorbenen fanden sich ein, und die Zahl derselben war groß, denn er hatte wohl keinen Feind.

Reuter’s alter und treuer Freund, der Rath Fischer, geleitete des Dichters Lebensgefährtin aus Reuter’s Arbeitszimmer durch den von Trauernden dichtgefüllten Salon in den kleinen, stillen Tempel, in welchem der Sarg, mit Lorbeerkränzen und Blumen reich geschmückt, inmitten des frischen Grün stand. Dorthin traten auch Die, welche dem Geschiedenen am nächsten gestanden. Reuter’s alter Freund, der Generalsuperintendent Petersen aus Gotha, war gekommen, um die Rede am Sarge zu halten, und mit Thränen im Auge, auf’s Tiefste erschüttert durch des Freundes Heimgang, sprach er feiernde, erhebende und tröstende Worte.

Als er geendet und im stillen Gebete die Anwesenden sich gesammelt, erfaßten wir nahestehenden Schriftsteller August Becker aus Eisenach, Hermann Oelschläger aus Leipzig, Schuldirector Kreyenberg aus Iserlohn und ich, von Bürgern Eisenachs unterstützt, den Sarg, um den geschiedenen Dichter hinauszutragen. Und als wir mit ihm aus dem Hause auf die Terrasse traten, die sein Lieblingsplatz gewesen war, stimmte der Sängerchor Mendelssohn’s Lied „Es ist bestimmt in Gottes Rath“, welches der Geschiedene im Leben so gern gehört, an, und wir trugen ihn bis an den Rand der Terrasse, um ihn hier den Trägern zu übergeben.

Vor der Villa hatte sich das ganze Officiercorps der Garnison Eisenachs mit der Militärmusik aufgestellt, um sich dem Zuge anzuschließen; dort standen zu gleichem Zwecke die Schüler der beiden Gymnasien und viele Bekannte des Geschiedenen, welche in dem Hause nicht mehr Platz gefunden hatten.

Vor der Gartenpforte harrte der offene, mit schwarzem Zeuge ausgeschlagene und von vier mit schwarzen Decken überhängten Pferden gezogene Leichenwagen, der den Sarg zum Friedhofe fahren sollte. Reuter hatte früher den Wunsch ausgesprochen, nach gut mecklenburgischer Sitte beerdigt zu werden, und so wurde der Sarg von keinem Tuche bedeckt, sondern stand unverhüllt in seinem reichen Blumenschmucke da.

Wohl hatte sich die Frage aufgedrängt, ob die Orden, mit denen der Geschiedene von mehreren Fürsten geehrt war – es möge nur der prächtige bairische Maximiliansorden, mit dem zugleich der Adel verknüpft war, und die große goldene Medaille, welche der Großherzog von Mecklenburg ihm verliehen, hier erwähnt werden –, auf den Sarg gelegt werden sollten. Im Geiste Reuter’s hatten wir es unterlassen, da sein bescheidener Sinn nie eine Zurschaustellung geliebt. So sehr er sich auch über die Beweise der Anerkennung gefreut, die Orden selbst haben nie seine Brust bedeckt. Und konnte der Sarg einen schöneren Schmuck tragen, als den Lorbeerkranz, der dem Dichter gebührte? Er ist sein schönster und höchster Orden.

Um fünf Uhr Nachmittags setzte sich der Trauerzug in Bewegung. Voran schritt die Militärmusik. Dem Sarge folgten des Todten Neffe, gar manche seiner Freunde und Verehrer, die Deputation der Burschenschaften, welche die Lorbeerkränze, die auf dem Sarge und dem Wagen nicht mehr Platz gefunden hatten, in der Hand trugen, die Schüler der Gymnasien. Siebzehn Wagen beschlossen den langen Zug.

Auch die Gattin des Geschiedenen nahm im Wagen, von Freunden geleitet, an diesem letzten schweren Gange Theil. Sie hatte ihrem Fritz einst versprochen, ihn bis zum Grabe zu geleiten, wenn er vor ihr scheiden sollte, und die echte Liebe hält immer Wort. Mit der Kraft einer starken Seele, in dem Bewußtsein, dem Geschiedenen zu jeder Stunde in treuer Liebe zur Seite gestanden zu haben, hielt sie sich zu diesem Gange aufrecht.

Und als der Trauerzug sich langsam durch die Stadt hinbewegte, deren Straßen von Teilnehmenden erfüllt waren, da zog Mancher still den Hut ab, weil er wußte, daß ein echter Dichter und guter Mensch begraben wurde.

Auf dem Friedhofe, den der Zug erst um sechs Uhr[WS 1] erreichte, hielt der Generalsuperintendent Petersen die Grabrede. An den Worten „den Aufrichtigen läßt der Herr es gelingen“ und an Uhland’s Zuruf: „Frisch, Frei, Fröhlich, Fromm“, entwickelte er in ergreifender Weise, was der Geschiedene gewesen, als Dichter, als Freund, als Gatte und Mensch. Nach ihm gab der Diaconus Hasert aus Eisenach dem Todten den letzten Segen. Der Chor sang das Lied: „Ach, bleib mit Deiner Gnade“. Die Freunde und Bekannten traten noch einmal an das offene Grab, um eine Handvoll Erde hinabzuwerfen und den letzten stillen Gruß ihm nachzusenden – Fritz Reuter ruhte in der Erde. –

Blau und wolkenlos wölbte sich der Himmel über dem Friedhofe; aus der Ferne blickte die alte Wartburg herüber. Der Geschiedene war ja auch ihr Freund gewesen, denn oft war er zu ihr emporgestiegen; zehn Jahre lang hatte er an ihrem Fuße gewohnt. –

So war der Heimgang eines Dichters und braven Mannes. Mehr Liebe als Reuter hat selten ein Mensch mit sich in das Grab genommen. Nun liegt er still und in Ruhe da. Bald wird der Hügel über ihm mit frischem Grün und Blumen geschmückt werden, und seine Gattin, die ihm eine so liebevolle Pflegerin war, die kein anderes Lebensziel gekannt als ihn, wird mit derselben Liebe den Hügel und die Blumen pflegen, und dann wird auch für sie die Blume des Friedens sich öffnen.

In seinen Werken hat Fritz Reuter sich ein Denkmal gesetzt, welches dauernder denn Erz und Stein ist. In den Herzen seiner Freunde wird die Erinnerung an ihn unangetastet bleiben, so lange sie schlagen, und alle, welche ihn kannten, werden noch oft sagen: „er war ein guter Mensch.“ Dem deutschen Volke hat er in seinen Dichtungen ein reiches und schönes Erbe hinterlassen, und sollte ihm dieser Erbe nicht dafür danken? Auf seinem Grabe ist der Ort, um diesen Dank niederzulegen. Möge bald ein Denkmal dort jedem Fremden sagen, daß das deutsche Volk seine Dichter liebt!

Friedrich Friedrich.

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_500.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)