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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

auch dankend das Haupt, aber der Blick, der dabei auf ihn niedersprühte, bewies hinreichend, daß auch sie bereits Stellung genommen hatte. In ihrem Auge flammte der ganze Haß der gereizten Südländerin, freilich nur einen Moment lang; im nächsten schon wendete sie sich um und legte ihren Arm in den Reinhold’s, um sich von ihm in den Saal führen zu lassen.

„Mir scheint, das war nicht mehr und nicht weniger als eine Kriegserklärung,“ murmelte Hugo, indem er sich den Beiden anschloß. „Wortlos, aber hinreichend verständlich! Die Feindseligkeiten sind also eröffnet – zu Befehl, Signora.“




Marchese Tortoni hatte nicht so Unrecht mit seiner Bemerkung; die Hitze begann sich trotz der frühen Jahreszeit schon sehr fühlbar zu machen. Zwar war die Saison noch nicht zu Ende, aber schon vertauschte manche Familie den Aufenthalt in der Stadt mit der gewohnten Villeggiatur im Gebirge oder am Meeresstrande, und die übrige Gesellschaft stand gleichfalls auf dem Punkte, sich früher als gewöhnlich nach allen Himmelsrichtungen zu zerstreuen, bis der Herbst sie wieder zusammenführte.

In der Wohnung Signora Biancona’s hatte man noch keine Anstalten getroffen, die auf eine baldige Abreise schließen ließen, und doch schien von einer solchen die Rede gewesen zu sein in dem Gespräche, das soeben zwischen ihr und Reinhold Almbach stattgefunden hatte. Die Beiden waren allein in dem glänzend und prachtvoll erleuchteten Salon der Sängerin; aber das schöne Antlitz Beatricens trug den Ausdruck einer unverkennbaren Aufregung. In die Kissen des Divans gelehnt, die Lippen zornig zusammengepreßt, zerpflückte sie achtlos eins der schönen Bouquets, die in reicher Fülle das Empfangszimmer der berühmten Künstlerin schmückten, während Reinhold mit finster umwölkter Stirn und verschränkten Armen im Zimmer auf- und niederging. Es bedurfte nur eines Blickes, um zu errathen, daß hier eine jener Sturmscenen stattfand, von denen Maestro Gianelli behauptete, daß sie zwischen den Beiden ebenso häufig seien wie der Sonnenschein.

„Ich bitte Dich, Beatrice, verschone mich jetzt mit ferneren Auftritten!“ sagte Reinhold mit vollster Heftigkeit. „Sie ändern nichts mehr an der einmal beschlossenen Sache. Marchese Tortoni hat mein Versprechen, und unsere Abreise nach Mirando ist auf morgen festgesetzt.“

„Nun, so wirst Du dieses Versprechen zurücknehmen,“ entgegnete Beatrice in gleichem Tone. „Du hast es ohne mein Wissen gegeben, schon vor Wochen gegeben, und doch hatten wir damals schon beschlossen, die diesjährige Villeggiatur im Gebirge zu nehmen.“

„Gewiß! Und ich werde Dich auch dort aufsuchen, sobald ich von Mirando zurückkehre.“

„Sobald Du zurückkehrst? Als ob Tortoni nicht wie gewöhnlich Alles aufbieten würde, Dich dort zu fesseln, und wenn Du nun vollends in Begleitung Deines Bruders gehst, so ist es wohl selbstverständlich, daß Du so lange, wie nur möglich, von mir ferngehalten wirst.“

Reinhold blieb plötzlich stehen, und ein finsterer Blick flog zu ihr hinüber.

„Willst Du nicht die Güte haben, dies bis zum Ueberdruß erschöpfte Thema endlich einmal bei Seite zu lassen?“ fragte er scharf. „Ich weiß bereits hinreichend, daß zwischen Dir und Hugo keine Sympathie besteht; aber er verschont mich wenigstens mit Auseinandersetzungen darüber und verlangt nicht, daß ich seine Sympathien und Antipathien theile. Uebrigens wirst Du zugeben, daß er Dir gegenüber niemals den Cavalier verleugnet.“

Beatrice warf das Bouquet bei Seite und erhob sich. „O gewiß, das gebe ich zu, und eben diese angenommene Ritterlichkeit ist es, die mich so empört. Diese liebenswürdigen Unterhaltungen mit dem ewigen Spottpfeile auf den Lippen, diese Aufmerksamkeiten mit dem Hohne tief im Auge, das ist so recht die deutsche Art, unter der ich so oft gelitten habe in Eurem Norden, die uns in den Kreis der sogenannten Gesellschaftsregeln bannt, die uns darin festzuhalten weiß, und wenn man noch so erbittert mit einander kämpft. Dein Bruder versteht das meisterhaft; den trifft nichts und verwundet nichts; Alles gleitet ab an diesem ewigen Spottlächeln. Ich – ich hasse ihn und er mich nicht minder.“

„Schwerlich!“ sagte Reinhold bitter. „Denn im Hassen bist Du eine Meisterin, die so leicht Keiner erreicht. Ich habe das oft genug gesehen, wenn Du Dich von irgend Jemandem beleidigt glaubtest. Das fluthet bei Dir gleich über alle Schranken. Diesmal aber wirst Du Dich erinnern, daß es mein Bruder ist, gegen den sich dieser Haß richtet, und daß ich nicht gesonnen bin, mir das erste kurze Zusammensein nach Jahren dadurch rauben zu lassen. Ich dulde keine Beleidigung und keinen Angriff gegen Hugo.“

„Weil Du ihn mehr liebst als mich,“ rief Beatrice ungestüm, „weil ich Dir nichts gelte neben Deinem Bruder. Freilich, was bin ich Dir auch –“ und jetzt war die Bahn gebrochen zu einer wahren Fluth von Vorwürfen, Klagen und Drohungen, die schließlich in einem Thränenstrom endigten. Die ganze Leidenschaft der Italienerin brach hervor; aber Reinhold schien dadurch zu nichts weniger als zur Nachgiebigkeit gestimmt zu werden. Er versuchte einige Male, ihr Einhalt zu thun, und als dies nicht gelang, stampfte er wüthend mit dem Fuße.

„Noch einmal, Beatrice, laß diese Auftritte! Du weißt, daß Du damit nichts bei mir ausrichtest, und ich dächte, Du hättest nun schon hinreichend die Erfahrung gemacht, daß ich nicht ein willenloser Sclave bin, dem ein Wort, eine Laune von Dir Befehl ist. Ich ertrage sie nicht länger, diese ewigen Scenen, die Du bei all’ und jedem Anlasse hervorrufst.“

Er trat stürmisch zum Balcon und, dem Gemache den Rücken zukehrend, blickte er hinab auf die Straße, wo sich das rege Leben und Treiben des Corso entfaltete. Im Salon hörte man noch einige Minuten lang das leidenschaftliche Schluchzen Beatricens, aber dann verstummte es, und gleich darauf legte sich eine Hand auf die Schulter des am Fenster Stehenden.

„Rinaldo!“

Halb widerstrebend wandte er sich um. Sein Blick begegnete Beatricens heißem, dunkelm Auge; noch stand eine Thräne darin, aber es war keine Thräne des Zornes mehr, und die eben noch so erregte Stimme hatte einen weichen schmelzenden Klang.

„Du sagst, ich sei eine Meisterin im Hassen. Nur im Hassen, Rinaldo? Du hast doch oft genug das Gegentheil erfahren.“

Reinhold wandte sich vollends zu ihr und trat vom Balcon zurück.

„Ich weiß, daß Du lieben kannst,“ entgegnete er milder, „heiß und voll lieben. Aber Du kannst auch quälen mit dieser Liebe; das muß ich täglich empfinden.“

„Und dieser ‚Qual‘ möchtest Du entfliehen, wenigstens auf einige Zeit?“

Aus ihrer Stimme sprach ein herber Vorwurf. Almbach machte eine ungeduldige Bewegung.

„Ich suche Ruhe, Beatrice,“ sagte er, „und die finde ich nun einmal nicht in Deiner Nähe. Du kannst nur in fortwährender Gluth und Aufregung athmen; beides ist Dir Lebensbedingung, und Du reißest Deine ganze Umgebung mit Dir in den ewig lodernden Feuerkreis Deines Wesens. Ich – bin müde.“

„Der Gesellschaft, oder meiner?“ fragte Beatrice mit wieder aufblitzender Heftigkeit.

„Kannst Du es denn nicht lassen, in jedem Worte einen Stachel zu suchen?“ fuhr Reinhold auf. „Ich sehe, daß wir heute wieder einander nicht verstehen. Leb’ wohl!“

„Du gehst?“ rief die Italienerin halb erschreckt, halb drohend. „Und mit diesem Abschiede für eine wochenlange Trennung?“

Reinhold, der schon an der Thür war, besann sich und kehrte langsam um.

„Ja so, ich vergaß die Abreise. Leb’ wohl, Beatrice!“

Aber so leicht sollte ihm der Abschied nicht gemacht werden. Signora Biancona hatte es längst verlernt, dem Manne dauernd zu trotzen, der es nun einmal verstand, ihren sonst so launenhaften Willen dem seinigen zu beugen, und als er sich ihr wieder näherte, da war es vorbei mit jedem ferneren Widerstande. Ihre Stimme bebte, als sie leise fragte: „Und Du willst wirklich allein gehen, ohne mich?“

„Beatrice –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_476.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)