Seite:Die Gartenlaube (1874) 475.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)


No. 30.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Gesprengte Fesseln.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Hugo hatte inzwischen seinen Bruder aufgesucht, den er im Gespräche mit dem Marchese Tortoni traf; die Beiden standen ein wenig abseits von der übrigen Gesellschaft.

„Nein, nein, Cesario!“ sagte Reinhold soeben abwehrend. „Ich bin ja vor Kurzem erst aus M. zurückgekehrt und kann unmöglich daran denken, jetzt schon wieder die Stadt zu verlassen. Vielleicht später –“

„Aber die Oper ist ja verschoben worden,“ fiel der junge Marchese im Tone der Bitte ein, „und die Hitze beginnt sich schon fühlbar zu machen. Sie wählen sicher in einigen Wochen irgend eine Villeggiatura. – Kommen Sie mir zu Hülfe, Signor Capitano!“ wandte er sich an den eben herantretenden Hugo. „Sie beabsichtigen gewiß auch, unsern Süden kennen zu lernen, und dazu bietet sich nirgends besser Gelegenheit, als in meinem Mirando.“

„Kennst Du den Marchese bereits?“ fragte Reinhold. „Da bedarf es also keiner Vorstellung mehr.“

„Durchaus nicht,“ versicherte Hugo übermüthig. „Ich habe mich bereits persönlich bei den Herren eingeführt, gerade als sie über Dich zu Gericht saßen, und ich machte mir dabei als unbekannter Zuhörer das harmlose Vergnügen, sie durch eingestreute Bemerkungen zu Angriffen gegen Dich zu reizen. Leider gelang das nur bei einem Einzigen, Marchese Tortoni dagegen nahm leidenschaftlich Deine Partei, ich mußte seine volle Ungnade fühlen, weil ich mir erlaubte an Deinem Talente zu zweifeln.“

Reinhold schüttelte den Kopf. „Hat er Ihnen auch schon wieder einen seiner Streiche gespielt, Cesario? Nimm Dich in Acht, Hugo, mit Deinen Neckereien! Wir stehen hier auf italienischem Boden; da pflegt man dergleichen nicht so harmlos aufzunehmen, wie in unserer Heimath.“

„Nun, in diesem Falle bedurfte es nur des Namens, um uns zu versöhnen,“ sagte der Marchese lächelnd. „Aber damit verlieren wir ja ganz den Faden des Gesprächs,“ fuhr er ungeduldig fort. „Ich habe noch immer keine Antwort auf meine Bitte. Ich rechne bestimmt auf Ihren Besuch, Rinaldo, selbstverständlich auch auf den Ihrigen, Signor.“

„Ich bin der Gast meinem Bruders,“ erklärte Hugo, an den die letzten Worte gerichtet waren. „Eine solche Bestimmung hängt wohl von ihm ab und – von Signora Biancona.“

„Von Beatrice? Wie so?“ fragte Reinhold rasch.

„Nun, sie ist bereits ungehalten darüber, daß meine Gegenwart Dich ihr so oft entzieht. Es ist sehr die Frage, ob sie Dich auf längere Zeit freigeben will, wie Marchese Tortoni es zu wünschen scheint.“

„Meinst Du, ich ließe mich so gänzlich von ihren Launen beherrschen?“ In Reinhold’s Ton verrieth sich eine auflodernde Empfindlichkeit. „Ich werde Dir wohl beweisen müssen, daß ich noch einen Entschluß ohne ihre Genehmigung fassen kann. Wir kommen, Cesario. Im nächsten Monate schon, ich verspreche es Ihnen.“

Ein Ausdruck heller Freude überflog das Gesicht des jungen Mannes bei dieser rasch und heftig gegebenen Zusage; er wandte sich verbindlich zu dem Capitain.

„Rinaldo kennt mein Mirando hinreichend und hat es stets bevorzugt; ich hoffe auch Ihnen, Signor, den Aufenthalt angenehm machen zu können. Die Villa liegt sehr schön, dicht am Meeresstrande –“

„Und einsam,“ sagte Reinhold mit einem eigenthümlichen Gemisch von Schwermuth und Sehnsucht. „Man kann da einmal wieder aufathmen, wenn man nahe daran ist, zu ersticken in der Salonatmosphäre. Die Gesellschaft geht zu Tisch,“ sagte er, dem Gespräch eine andere Wendung gebend, mit einem Blicke nach der Terrasse hinauf. „Wir werden uns wohl den Uebrigen anschließen müssen. Willst Du Beatrice zur Tafel führen, Hugo?“

„Ich danke,“ lehnte der Capitain kühl ab. „Das ist doch wohl Dein ausschließliches Recht. Ich möchte es Dir nicht streitig machen.“

„Deine Unterhaltung mit ihr war ja auffallend kurz, so viel ich bemerken konnte,“ warf Reinhold hin, während sie zusammen die Treppe zur Terrasse emporstiegen. „Was gab es denn zwischen Euch?“

„Nichts von Bedeutung. Ein kleines Vorpostengefecht, weiter nichts. Signora und ich haben gleich von vorn herein Stellung zueinander genommen. Du hast doch hoffentlich nichts dagegen?“

Er erhielt keine Antwort, denn das Seidenkleid Signora Biancona’s rauschte bereits dicht neben ihnen, und in der nächsten Minute stand sie zwischen den Brüdern. Der Capitain verbeugte sich mit vollendeter Ritterlichkeit vor der schönen Frau. Es wäre in der That unmöglich gewesen, an der Art seines Grußes auch nur das Geringste auszusetzen, und Beatrice neigte

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_475.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)