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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

herzustellen. Die Kearny-, die California-, die Montgomery- und andere Straßen würden jeder Stadt der Welt zur Zierde gereichen. Allerdings stehen neben vielen Prachtbauten heute noch oft unansehnliche Holzhäuser, wie dies in allen amerikanischen Städten zu sehen ist (aber keine Strohhütten oder Schweineställe, wie Hildebrandt phantasirt hat), die aber allmählich entfernt und soliden Steinbauten Platz machen werden. In dem Geschäftstheile der Stadt dürfen gar keine Holzhäuser mehr aufgestellt werden. Die Privatwohnungen in den äußeren Stadttheilen sind dagegen meistens aus Holz aufgeführt, aber von außen so gemalt und cementirt, daß sie eleganten Steingebäuden täuschend ähnlich sehen. Das Innere der Wohnungen der reicheren San Franciscaner ist oft mit verschwenderischem Prunke eingerichtet. Die Stadt besitzt Wasser- und Gasleitungen wie jeder moderne Ort. Die öffentlichen Markthallen sind ein Muster von Reinlichkeit und erschließen in ihren weiten Räumen dem Besucher ein überraschendes Bild von dem Productenreichthum des gesegneten Californien.

Die hiesige Feuerwehr ist eine der besten in der Welt. Durch die ganze Stadt laufen telegraphische Feueralarm-Leitungen. Es ist eine wahre Freude, binnen wenigen Minuten nach einem vom Centralsignalthurme gegebenen Feuer-Alarm, welcher durch leicht verständliche Glockenschläge die Lage einer ausgebrochenen Feuersbrunst Jedermann in der Stadt sofort klar macht, die prächtigen Dampffeuerspritzen, mit den langen Leiterwagen und Schlauchkarren hinterdrein, nach der Richtung des Feuers durch die Straßen jagen zu sehen.

Einen unerfreulichen Gegensatz zu den eben geschilderten Stadttheilen bildet das hiesige Chinesenviertel. In allen Straßen sieht man die bezopften Asiaten in Menge auf- und abwandern, aber nur im engern Chinesenquartier vermag man sie in ihrer charakteristischen nationalen Gesammtheit zu erblicken. Dasselbe bildet mit seinen wunderlichen asiatischen Bestandtheilen, den Tempeln und Theatern, den Spiel- und Opiumhöhlen, den unbeschreiblichen Kellerwohnungen, wo die bezopften Himmlischen wie Schweine zusammengepfercht wohnen, den Läden voll von tatarischem Krimskram und der in den Straßen sich drängenden ausländischen Bevölkerung für den Fremden das Interessanteste in San Francisco. Aber wir San Franciscaner, welche diese unsaubere Chinesenwirthschaft tagtäglich vor Augen haben, interessiren uns wenig für den tatarischen Firlefanz und empfinden um so mehr die Ungerechtigkeit der Bundesregierung, welche einem moralisch ganz verkommenen Volke die unbeschränkte Freiheit giebt, sich wie die Hornissen bei uns einzunisten und wie eine Pestbeule unsere blühende Goldstadt gleichsam zu vergiften, einem Volke, das in allen seinen Sitten und Gebräuchen unseren Anschauungen zuwider lebt und handelt, das sich mit dem Wohl und Wehe dieses Landes gar nicht identificirt, einem Volke, das nur hierher kommt, um „Geld zu machen“, und dessen Lüderlichkeit und Unsauberkeit unsere Jugend verdirbt. *

Daß es außer den räuberähnlichen Wohnungen der Chinesen hier in San Francisco noch eine Menge von verrufenen Localen giebt, wird gewiß Jeder begreiflich finden. Aber welche große Seestadt hat dergleichen nicht in Hülle und Fülle aufzuweisen? Ein ordentlicher Mensch kommt mit dem wüsten Leben in solchen Spelunken nicht in Berührung. Im Allgemeinen sind die Bewohner dieser Stadt ordnungsliebende Menschen, welche ihren Geschäften mit großem Fleiße nachgehen. Schon in der entfernten Weltlage dieses Platzes ist die Ursache zu finden, daß, namentlich in früheren Jahren, meistens unternehmende Männer hierher strömten. Wer heute mit der Idee nach San Francisco kommt, dort eine einfältige Nomadenbevölkerung zu finden, unter der er leicht seinen Geist leuchten lassen kann, irrt sich gewaltig. Wie ich bereits in meinem in der Gartenlaube (Nr. 9, 1873) veröffentlichten „offenen Antwortschreiben“ gesagt habe, ist es nichts Seltenes, hier einen deutschen Handlungsdiener oder Halbgelehrten, der die San Franciscaner „über den Löffel barbiren“ wollte, als Schüsselwascher in einem Restaurant oder als Kellner und Stiefelputzer wieder zu finden, in welcher Stellung er Studien über Hildebrandt’sche Aufzeichnungen machen kann. Die Reichthümer San Francisco’s sind keine ererbten, sondern meistens im Schweiße des Angesichts und durch Thatkraft des Geistes sauer verdient. Daß Minenspeculationen und gewagte Unternehmungen unter einer so thatlustigen Bevölkerung, wie die hiesige, gang und gäbe sind, liegt in der Natur des Menschen und der Verhältnisse. Hat doch sogar das ruhige Deutschland seine „Gründer“ und andere Speculanten ähnlicher Farbe in Menge.

Das gesellschaftliche Leben kann in einer großen kosmopolitischen See- und Handelsstadt, wie San Francisco, natürlich nur ein außerordentlich mannigfaltiges sein. Selbstverständlich fehlt es hier nicht an Theatern und Concertsälen; daß aber die Aufführung von classischen Dramen und classischer Musik in San Francisco stets die vollsten Häuser macht, möchte manchem Auswärtigen neu sein. Die Deutschen haben hier ihre zum Theil prächtig eingerichteten Clublocale, die Amerikaner und andere Nationalitäten ebenso. Es giebt in dieser Stadt wissenschaftliche und gesellige Vereine aller Art, Bibliotheken, Logen, Gesang- und Turnvereine etc. in Menge. Im Frühling und Sommer ziehen die deutschen Gesellschaften und Militärcompagnien allsonntäglich mit klingendem Spiele und wehenden Bannern durch die Hauptstraßen nach den großen Dampffähren, welche die Verbindung zwischen San Francisco und den jenseits der Bai liegenden Landstädten Oakland, Alameda, Saucelito etc. vermitteln (betrug der Personenverkehr zwischen den beiden Ufern der Bai doch im vergangenen Jahre zwei Millionen Köpfe!), um dort im Freien Pickenicks abzuhalten oder sich sonst nach vaterländischer Sitte zu amüsiren, und Tausende von allen Nationalitäten besuchen den Woodward’s Garten, das berühmte Cliffhaus, die reizendsten Parks an der südlichen Pacificbahn und andere Vergnügungsorte.

Im Allgemeinen sind die San Franciscaner ein lebenslustiges Volk, aber selten kommt es hier bei öffentlichen Festlichkeiten zu Reibereien oder gar blutigen Schlägereien zwischen den verschiedenen Nationalitäten, Excessen, welche leider in New-York und anderen östlichen Städten der Union nichts Seltenes sind. Was die Sicherheit des Lebens und des Eigenthums anbetrifft, so kann sich wahrlich Niemand hier über gefahrdrohende Zustände beklagen. Die Schießaffairen, welche hier öfters vorkommen, finden fast ausschließlich unter schlechten Subjecten statt; ich wüßte auch nicht Einen von meinen sehr zahlreichen Bekannten zu nennen, dem je auf solche Weise ein Unheil widerfahren sei. Die Polizei unserer Stadt ist vorzüglich und macht den Spitzbuben „die Hölle heiß“. Es ist eine große Seltenheit, daß in San Francisco ein Verbrecher unbestraft entkommt. Oeffentliche Spielhöllen giebt es in Californien schon lange nicht mehr, dagegen deutsche Bierhäuser, wo man gemüthlich ein Glas schäumenden Gerstensaft trinken kann, in Hülle und Fülle.

Die Gastfreundschaft in San Francisco ist nicht minder wie die Freigebigkeit seiner Bewohner sprüchwörtlich geworden. Ich brauche in Bezug darauf nur an die großartigen Leistungen der hiesigen Deutschen während des letzten deutsch-französischen Krieges, welche Trost und Segen in Tausende von Wohnungen bedürftiger Landsleute gebracht haben, so wie an den Empfang der „Hertha“ zu erinnern. Was den gesellschaftlichen Umgang anbelangt, so kann sich hier Jeder leicht einen ihm zusagenden Kreis von Bekannten wählen; ein gebildeter Mann findet überall in dieser Stadt in Familien Zutritt und ist, auch uneingeladen, stets ein willkommener Gast. Nichts spricht mehr für die Annehmlichkeit des hiesigen Lebens als die große Anhänglichkeit der europäischen Bewohner San Francisco’s an diese ihre neue Heimath. Mir gefällt es in San Francisco mit seinem herrlichen, wenn auch etwas windigen Klima und unter seinen Bewohnern mit den offenen, warmen Herzen (trotz Hildebrandt!) ausgezeichnet, und ich bin wohlzufrieden damit, daß mich das Schicksal auf diese gastliche Scholle an der Schwelle des „goldenen Thores“, an die dem Vaterlande freilich so ferne Küste des Stillen Meeres geworfen hat.

San Francisco, am 10. April 1874.


* Wer sich für die Chinesen besonders interessirt, den verweise ich auf einen von mir im „Globus“ (Band XXIV, 1873, Nr. 15, 16 u. 17 veröffentlichten Aufsatz „Die Chinesen in San Francisco“, worin ich unsere asiatischen Freunde eingehend behandelt habe.

Der Verfasser.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_465.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)