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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Verdienst,“ rief der Maestro mit unterdrückter Heftigkeit. „Wenn die Gesellschaft einmal einen Götzen auf den Thron erhebt, so pflegt sie auch in ihrer Anbetung bis zur Lächerlichkeit zu gehen. Man treibt ja einen förmlichen Cultus mit diesem Rinaldo, da ist es am Ende kein Wunder, wenn sein Hochmuth und seine Selbstüberschätzung in’s Maßlose geht, und er glaubt, ungestraft Alles unter die Füße treten zu dürfen, was ihm nicht unbedingt huldigt.“

Der Capitain fixirte mit einem eigenthümlichen Lächeln den aufgeregten Italiener. „Schade, daß ein solches Talent solche Schattenseiten hat! Aber am Ende ist es mit dem Talente auch nicht so weit her? Modesache – Laune des Publicums – unverdientes Glück – meinen Sie nicht?“

Gianelli hätte wahrscheinlich von Herzen gern bejaht, aber die Gegenwart der anderen Herren legte ihm doch einigen Zwang auf.

„Das Publicum pflegt in solchem Falle zu entscheiden,“ erwiderte er vorsichtig, „und hier ist es verschwenderisch mit seinen Gunstbezeigungen. Ich meinestheils behaupte – ohne dem Ruhme Rinaldo’s irgendwie zu nahe treten zu wollen – er könnte jetzt ein Stümperwerk componiren, man würde es bis in den Himmel erheben, nur weil es von ihm stammt.“

„Sehr wahrscheinlich!“ stimmte der Fremde bei. „Und möglicherweise ist die neue Oper bereits ein solches Stümperwerk. Ich bin durchaus Ihrer Meinung, und werde gewiß –“

„Ich rathe Ihnen, Signor, Ihr Urtheil aufzuschieben, bis Sie Rinaldo’s Werke kennen gelernt haben,“ fiel der Marchese im schärfsten Tone ein. „Er hat allerdings den unverzeihlichen Fehler begangen, den Gipfel des Ruhmes wie in einem einzigen Siegeslaufe zu ersteigen, und sich zu einer Größe aufzuschwingen, an die so leicht Keiner hinanreicht. Das verzeiht man ihm nun einmal nicht in gewissen Kreisen, und er muß es bei jeder Gelegenheit büßen. Folgen Sie meinem Rathe!“

Der Capitain verbeugte sich leicht. „Mit Vergnügen, und dies um so mehr, als es mein Bruder ist, dem Ihre so beredte Vertheidigung gilt, Signor Marchese.“

Diese mit dem liebenswürdigsten Lächeln gegebene Erklärung brachte begreifliche Sensation in der Gruppe hervor. Marchese Tortoni trat erstaunt einen Schritt zurück und maß den Sprechenden von oben bis unten. Der Maestro erbleichte und biß sich auf die Lippen, während der Officier mühsam das Lachen unterdrückte. Der Engländer dagegen hatte diesmal genug von dem Gespräch verstanden, um zu begreifen, welch einen Streich der fremde Seemann den Italienern gespielt, und dieser Streich schien sein höchstes Wohlgefallen zu erregen. Er lächelte mit dem Ausdrucke außerordentlicher Zufriedenheit und steuerte sofort mit langen Schritten zu dem Capitain hinüber, an dessen Seite er sich stumm aufpflanzte, ihm damit ein untrügliches Zeichen seiner Sympathie gebend.

„Den Signori scheint nur der Künstlername meines Bruders bekannt zu sein,“ fuhr Hugo unbeirrt fort. „Der meinige klang Ihnen wohl zu fremdartig bei der allgemeinen Vorstellung vorhin? Wir haben indessen keinen Grund, unser Verwandtschaftsverhältniß zu verleugnen.“

„Ah Signor Capitano, ich hörte bereits von Ihrer bevorstehenden Ankunft,“ rief jetzt der Marchese, ihm mit unverkennbarer Herzlichkeit die Hand entgegenstreckend. „Aber es war nicht schön, uns mit diesem Incognito zu necken. Einen wenigstens hat es in bittere Verlegenheit gesetzt, obgleich er die Lehre reichlich verdient hat.“

Hugo sah sich gleichfalls nach dem Maestro um, der es vorgezogen hatte unbemerkt zu verschwinden. „Ich wollte das Terrain ein wenig recognosciren,“ entgegnete er lachend, „und das war eben nur möglich, so lange mein Incognito noch andauerte. Es hätte doch bald genug sein Ende erreicht, denn ich erwarte Reinhold jede Minute; er wurde noch in der Stadt zurückgehalten, während ich vorausfuhr. Ah, da ist er ja schon.“

Der Erwartete erschien in der That in diesem Augenblicke oben auf der Terrasse, und der Maestro hätte jetzt auf’s Neue Gelegenheit gehabt, seinem Aerger über die „bis zur Lächerlichkeit gehende Abgötterei der Gesellschaft“ Luft zu machen, denn dieses plötzliche Aufhören aller Gespräche, dieses Interesse, womit sich Aller Blicke dem einen Punkte zuwendeten, diese Bewegung, die sich der ganzen Gesellschaft mittheilte, galt einzig Rinaldo’s Eintritt.

Reinhold selbst war freilich ein Anderer geworden in diesen Jahren, ein ganz Anderer. Das junge Talent, das einst so ungeduldig gegen die beengenden Schranken und Vorurtheile seiner Umgebung ankämpfte, hatte sich zum gefeierten Künstler emporgeschwungen, dessen Name weit über die Grenzen Italiens und seiner Heimath hinausdrang, dessen Werke auf den Bühnen aller Hauptstädte heimisch waren, dem Ruhm und Ehre, Gold und Triumphe in reichster Fülle zuströmten. Dieselbe mächtige Wandlung hatte sich auch an seinem Aeußeren vollzogen, und unvortheilhaft war diese Veränderung keineswegs, denn statt des bleichen ernsten Jünglings mit dem verschlossenen Wesen und den tiefen düsteren Augen stand jetzt ein Mann da, dem man es ansah, daß er mit dem Leben und der Welt vertraut war, und erst bei dem Manne kam die stets so eigenthümlich anziehende Art seiner Schönheit zur vollsten Geltung. Es stand dieser idealen Stirn gut, dieses stolze Selbstbewußtsein, das jetzt darauf ruhte, und sich auch in den Zügen, in der ganzen Haltung aussprach, aber es lagen auch tiefe Schatten auf dieser Stirn und in diesen Zügen, die wohl nicht das Glück hineingelegt hatte. Von dem Munde zuckte es wie herber Spott, wie höhnische Bitterkeit, und im Auge schlummerte der einstige Funke nicht mehr in der Tiefe; jetzt loderte eine Flamme dort, brennend, verzehrend und fast dämonisch aufzuckend bei jeder Erregung. Was dieses Antlitz auch äußerlich gewonnen haben mochte, Friede sprach nicht mehr daraus.

Er führte Signora Biancona am Arme, nicht mehr die jugendliche Primadonna einer italienischen Operngesellschaft zweiten Ranges, die in den Städten des Nordens Gastvorstellungen gab, sondern eine Größe von europäischem Rufe, die, nachdem sie auf allen bedeutenderen Bühnen Lorbeeren und Triumphe gesammelt, jetzt an der Oper ihrer Heimathstadt die erste Stelle einnahm. Marchese Tortoni hatte Recht: sie war auch jetzt noch blendend schön, diese Frau. Das war noch der gluthstrahlende Blick, der einst „das ehrsame Patricierblut der edlen Hansastadt so in Flammen zu setzen verstand“, nur schien er heißer, versengender geworden zu sein. Das war noch das Antlitz mit seinem dämonisch bestrickenden Zauber, die Gestalt mit ihren plastisch edlen Formen, nur erschien alles voller, üppiger. Die Blume hatte sich zu reifster, fast überreifer Pracht entfaltet; noch blühte sie; noch stand ihre Schönheit im Zenith, wenn man sich auch sagen mußte, daß vielleicht beim nächsten Jahreswechsel schon die Grenze überschritten sein werde, mit der sie sich unwiderruflich ihrem Niedergange zuneigte.

Die Beiden, besonders Reinhold, wurden sofort nach ihrem Eintritte von allen Seiten in Anspruch genommen. Alles drängte sich um ihn; Alles suchte seine Nähe, seine Unterhaltung. In wenig Minuten war er bereits der Mittelpunkt der Gesellschaft geworden, und es dauerte eine geraume Zeit, ehe es ihm gelang, sich all’ den Aufmerksamkeiten und Schmeicheleien zu entziehen und sich nach seinem Bruder umzusehen, der sich in einiger Entfernung gehalten hatte.

„Da bist Du ja endlich, Hugo,“ sagte er herantretend. „Ich vermißte Dich bereits. Läßt Du Dich suchen?“

„Es war ja nicht möglich, den dreifachen Bewunderungscirkel zu durchbrechen, der Dich wie eine chinesische Mauer umgab,“ spottete Hugo. „Ich habe dieses Wagestück gar nicht versucht, sondern erging mich in Betrachtungen darüber, welch ein Glück es doch ist, einen berühmten Bruder zu besitzen.“

„Ja, dieses fortwährende Herandrängen ist wirklich ermüdend,“ meinte Reinhold mit einer Miene, die nichts von befriedigtem Triumphe hatte, dagegen eine unverkennbare Abspannung verrieth. „Aber jetzt komm! Ich werde Dich Beatricen vorstellen.“

„Beatricen? – Ah so, Signora Vampyr! Muß das sein, Reinhold?“

Der Blick des Bruders verfinsterte sich. „Allerdings muß es sein. Du wirst nicht umhin können, ihr in meiner Begleitung oft und viel zu nahen. Sie ist schon, und mit Recht, befremdet darüber, daß es nicht bereits geschehen ist. Was hast Du denn, Hugo? Du scheinst ja dieser Vorstellung förmlich ausweichen zu wollen, und doch kennst Du Beatrice nicht einmal.“

„Doch,“ entgegnete der Capitain kurz. „Ich habe sie bereits in H. im Concerte und auf der Bühne gesehen.“

„Aber niemals gesprochen. Eigenthümlich, daß man Dich beinahe zu Dem zwingen muß, was jeder Andere als einen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_461.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)