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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Louise – der nachmaligen Hofpianistin der Herzogin von Kent, Frau Dulken – trat er bald hier, bald dort concertirend auf. Auch Leipzig hörte damals (28. December 1825) seinen Ferdinand David, auf dessen Besitz es später stolz sein durfte, zum ersten Male. Kaum sechszehn Jahre alt gelangte er zu Amt und Würden, indem er im Orchester des Königsstädtischen Theaters (nicht als Concertmeister, wie irrig verbreitet) in Berlin eine Anstellung fand. Im November 1829 vertauschte er seinen dasigen Wirkungskreis mit einem anderen, der sich ihm in Dorpat eröffnete. Als erster Violinist und Leiter eines Privatquartetts war er daselbst sechs Jahre hindurch (bis Ende 1835) im Hause des livländischen Landmarschalls, Baron von Liphart, thätig.*[1] In dessen schöner und geistreicher Tochter, Sophie, seiner Schülerin, fand er die geliebte Gefährtin seines Lebens, mit der er sich in December 1836 in Berlin vermählte.

Eine dauernde Heimstätte hatte sich ihm inzwischen in Leipzig aufgethan, wo Mendelssohn, der ihm von Berlin her Befreundete, mit dem October 1835 die Leitung der Gewandhausconcerte überkommen hatte. Er rief den kaum nach Deutschland Zurückgekehrten als ersten Concertmeister an seine Seite (Februar 1836) und gewann in ihm nicht allein eine künstlerische, sondern gleichzeitig eine bildende Kraft allerseltenster Art, mit der vereint es ihm gelang, das altrenommirte Concertinstitut zu höchstem Ruhm und Glanz emporzuführen. Bekannt ist, was Mendelssohn dem Musikleben Leipzigs gewesen und wie ihm dieses seine Weltstellung als Metropole der Tonkunst vor Andern dankt. An den schönen Erfolgen der Mendelssohn’schen Thätigkeit aber gebührt Ferdinand David gewiß ein nicht zu unterschätzender Antheil. Von der Sorge um das Technische insbesondere befreite er seinen genialen Freund. Die berühmt gewordene Präcision des Gewandhaus- und Theaterorchesters, die Sicherheit und Gewissenhaftigkeit, der ernste Ordnungsgeist in den technischen Ausführungen desselben sind David’s Verdienst. Er war die Seele des herrlichen Instrumentalkörpers, ein strenger, gefürchteter und doch äußerst geliebter Führer. Keinerlei Nachlässigkeit entging seiner Rüge, doch freudig erkannte er auch jegliche gelungene Leistung an. Den Enthusiasmus, der ihn selbst erfüllte, und der ihn sich jeder Aufgabe mit wahrem Feuereifer widmen ließ, erwartete er auch von seinen Schülern und Genossen – Lauheit galt ihm als schwerstes Vergehen in Sachen der Kunst.

So wirkte sein Beispiel zündend und begeisternd; die Leistungen des Orchesters belebten sich unter seiner schonungsvollen Führerschaft und athmeten ein oft unvergleichliches künstlerisches Feuer. Er war eben, wie Schumann sagt, das Muster eines Concertmeisters, ja als solcher wohl sogar unerreicht. Sein Schüler Wilhelmj, gegenwärtig einer unserer ersten Geiger, bezeugt: „Er verstand es oft besser, dem Orchester die Absichten des Dirigenten zu interpretiren, und so zur Ausführung zu bringen, als dieser selbst.“ Gleichwohl war er als eigentlicher Dirigent weniger glücklich, eine Thatsache, die sich während seiner zeitweiligen Uebernahme des Capellmeisteramtes herausstellte.

Wie hoch er übrigens in seiner Eigenschaft als Concertmeister auch außerhalb Leipzigs in Ansehen stand, bewies man ihm unter Anderm gelegentlich des Weimarer Beethovenfestes (1870), wo unter einer Elite anerkanntester Geigenkünstler Franz Liszt ihn an die Spitze der Streichinstrumente stellte. Die Wiedergabe gewisser Werke, wie der Beethoven’schen Symphonien, der Cherubini’schen und Mendelssohn’schen Ouverturen, unter seiner Mitwirkung, die auch nach Mendelssohn’s frühzeitig erfolgtem Tode besten Geist und Auffassung im Orchester lebendig erhielt, ward lange Zeit als die einzig mustergültige angesehen. Die von seiner Hand herrührenden Vortragsbezeichnungen und Ergänzungen in den einzelnen Orchesterstimmen, die theils ein genauestes Zusammenspiel der Geiger bezwecken, theils (wie in den Blasinstrumenten) den Fortschritten der modernen Instrumentenbaukunst entsprechen sollten, waren allgemein als so werthvolle anerkannt, daß sie von andern Orchestern für Musteraufführungen häufig entliehen und copirt wurden.

Von der Mitwirkung bei der Oper hatte er sich in den letzten Jahren mehr und mehr zurückgezogen, sich nur noch einige wenige, vorzugsweise classische Werke vorbehaltend. Häufig und gern betheiligte er sich dagegen an Kirchenconcerten. Sein Vortrag des Violinsolos in Beethoven’s Missa solemnis, in Bach’s Matthäuspassion z. B. wird Allen, die ihn gehört, unvergeßlich bleiben.

Nicht minder, als durch seine Thätigkeit als Orchesterführer gereichte er als Quartettspieler und Virtuos dem Leipziger Musikleben zur Zierde. Die von ihm im Gewandhaussaale allwinterlich veranstalteten Kammermusikunterhaltungen galten unsern Kunstfreunden als Hochgenüsse, und keiner der berühmtesten Quartettvereine, weder der Florentinische, noch der Müller’sche oder Hellmesberger’sche und wie sie alle heißen, welche die Welt von sich reden machten, hat den Ruhm des von David geleiteten Quartetts in Schatten zu stellen vermocht. Als Virtuos durfte er, in seiner Blüthezeit zumal, die Rivalität der Besten nicht scheuen. Auf deutschem und fremdländischem Boden (namentlich in England) hat er sich verdiente Lorbeeren gepflückt, und neben den glänzenden Namen Paganini, Lipinski, Ernst, Vieuxtemps, Spohr wird der seine eine bleibende Stelle finden. Nachdem er den Erstgenannten zum ersten Male gehört, hatte er – so erzählt Wilhelmj – das Violinspiel ganz aufgeben wollen. Doch ward zum Heile der Kunst dieser Entschluß nicht zur That; denn geradezu epochemachend wurde sein Wirken für die Geschichte des Violinspiels dadurch, daß er, das breite, sogenannte deutsche Spiel Spohr’s weiter ausbildend, die Errungenschaften eines Paganini mit dem classischen alten Geigenspiele in Einklang zu bringen und eine Verschmelzung beider anzubahnen suchte. Solchergestalt ward er zum Reformator, ja, wie Wilhelmj ihn bezeichnet, zum „Vater der modernen deutschen Geigerschule“.

Fragen wir doch die jüngeren unserer Violinkünstler, was sie ihm nicht Alles danken! Nicht nur die Schaar seiner Schüler, auch Die, welche nie in persönliche Beziehung zu ihm getreten sind, müssen sich durch seine pädagogische Kraft gefördert bekennen. Seiner Studienwerke, namentlich der unübertroffenen Violinschule, in der er die Summe seiner Erfahrungen niederlegte, kann heutigen Tages Keiner mehr entbehren, der eine höhere Stufe im Violinspiel erstrebt, und wo wäre der Geiger, der nicht wenigstens einzelne seiner fünf Concerte, seiner kleineren Charakterstücke, wie die „Bunte Reihe“, „Dur und Moll“, „Aus der Ferienzeit“, zu seinen beliebtesten Repertoirestücken zählte? Als eine Fundgrube werthvollster Musik sind ferner seine Bearbeitungen älterer Werke, die theils in seiner „Hohen Schule des Violinspiels“, theils separat gedruckt erschienen, in Aller Händen. Vergessene oder bisher ungedruckte Compositionen Bach’s, Händel’s und namentlich der alten Italiener (Corelli, Nardini, Locatelli u. A.) brachte er in ihnen wieder an’s Tageslicht und zu neuer Geltung. Als Tonsetzer mit unglaublicher Schnelligkeit und Leichtigkeit producirend, bethätigte er sich nach den verschiedensten Seiten hin; denn auch Concerte und Stücke für andere Instrumente, Lieder, Psalmen, Quartette und Symphonien, ja sogar eine komische Oper, „Hans Wacht“, wurden von ihm geschrieben, ohne es jedoch zu einem gleichen Erfolge wie seine Geigencompositionen zu bringen. Im Laufe des letzten Sommers bereitete er noch eine Suite Händel’scher Streichconcerte, elf an der Zahl (ein dazugehöriges zwölftes ist schon früher erschienen), in neuer Bearbeitung, mit Vorzeichnungen versehen, zur Herausgabe vor. Den weiteren Plänen, mit denen er sich trug, hat der Tod ein Ende gemacht, und zahlreiche Manuscripte liegen nun in seinem Nachlasse begraben.

So vielseitig Ferdinand David demnach an der Förderung der Tonkunst Antheil genommen und seine Kräfte in ihren Dienst gestellt, der Schwerpunkt seiner künstlerischen Bedeutung lag gewiß auf pädagogischem Gebiete. Darum preist auch der Berufenste unter Denen, die der Trauer über seinen Hingang Ausdruck gegeben, sein Lehrgenie als die reichste der reichen Gaben und Eigenschaften des seltenen Meisters. Seit Gründung des Leipziger Conservatoriums (Ostern 1843) als erster Lehrer des Violinspiels daselbst angestellt, hat er dreißig Jahre lang zum Ruhme der Anstalt und als einer ihrer stärksten Magnete gewirkt. Die Zahl und der Ruf seiner in aller Herren Ländern verbreiteten Schüler, die ersten unserer jetztlebenden Violinvirtuosen, Joachim und Wilhelmj an ihrer Spitze, legen Zeugniß ab, wie geläufig ihm die schwere Kunst des Bildens und Schulens jugendlicher Talente gewesen. Mit dem ihm eigenen scharfen Beobachtungssinne erkannte er die individuelle Begabung jedes Einzelnen und machte deren planmäßige Ausbildung zu einer Hauptaufgabe des

  1. * Die Angabe, daß er gleichzeitig als Dirigent eines Musikvereins gewirkt, ist unrichtig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_456.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)