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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

launigen Einfällen, an gesunder Munterkeit fehlte es ihm nie, im Leben wie auf der Bühne.

Ich erinnere mich einer Aufführung des bekannten Rührstückes „Muttersegen oder die neue Fanchon“, das sich, von den vorhandenen Kräften vortrefflich gegeben, großer Beliebtheit erfreute und sehr oft wiederholt wurde. Die Dessoir spielte die „Marie“, die Günther die „Chonchon“ unvergleichlich, Baudius den „Commandeur“, Reger den „Loustalot“, Lortzing den „Pierrot“. Eines Abends, da die Vorstellung des Stückes wieder stattfand, war irgendwo großer Ball, zu welchem Reger und Lortzing Einladungen erhalten hatten. Natürlich lag ihnen daran, so früh wie möglich aus dem Theater zu kommen, aber unglücklicher Weise dauert das Stück ziemlich lange, und gerade im letzten Acte haben Loustalot und Pierrot eine sehr lange, lange Scene, in welcher der junge Savoyarde dem alten Vater Mariens seine mannigfachen Erlebnisse in Paris zu erzählen hat. Jedoch Lortzing wußte Rath. Anstatt mit der Erzählung anzufangen, sagte er zu Reger: „Kommt, Vater Loustalot! Ich will Euch die Geschichte draußen erzählen,“ und damit gingen Beide ab, und das Stück war um mehr als zwanzig Minuten früher aus.

Als Componist hatte Lortzing damals schon seinen Ruf in der deutschen Bühnenwelt durch „Czar und Zimmermann“ und „Wildschütz“ gegründet, aber er war noch lange nicht in dem Besitze der Berühmtheit und Beliebtheit, welche ihm seine Werke leider erst nach seinem Tode eintrugen, und deren sie sich heute überall zu erfreuen haben. Die beiden bekanntesten Opern, welche Lortzing in Leipzig geschaffen hat, und bei deren Composition er offenbar die Eigenthümlichkeiten des dortigen Opernpersonals im Auge gehabt hat, wurden dort ganz ausgezeichnet gegeben. Die wichtigen Buffopartien des „Van Bett“ und „Baculus“ waren ganz für Berthold’s originelle Persönlichkeit und Künstlereigenthümlichkeit berechnet. Ein ausgezeichnetes Exemplar sogenannter trockener Komik, regte schon seine Erscheinung zur Heiterkeit an, die anhielt, so lange er sich auf den Brettern befand. Die Baritonpartien, welche ebenfalls in Lortzing’s Opern eine große Rolle spielen, der „Czar Peter“ in der einen, der „Graf“ in der andern, hatten eine glänzende Vertretung in Kindermann, einem Sänger, der heute noch mit beinahe ungeschwächter Kraft seine Stellung an der Münchener Oper behauptet, welche ihn nach seinem im Jahre 1846 erfolgten Abgang von Leipzig für sich zu fesseln wußte. Das große Glück – oder sollte man nicht lieber sagen Geschick? – welches Ringelhardt bei seinen Engagements gehabt hat, zeigte sich hier recht augenscheinlich. Aus dem Berliner Chor heraus war der junge Kindermann frischweg für erste Partien von Ringelhardt engagirt worden, und sehr bald stellte sich heraus, wie glücklich der Griff gewesen war. Die klangvolle, markige Stimme des Sängers fand schnell Gelegenheit sich hervorzuthun; die schlanke, große Figur des jungen Mannes, sein ausdrucksvolles Gesicht, der schön geformte Kopf, alles dies vereinte sich, ihn zu einer ungemein interessanten Erscheinung zu machen, welche den genannten Partien der Lortzing’schen Opern vortrefflich zu Statten kam. Als „Czar“ wurde er bald neben den besten Repräsentanten dieser Partie in der damaligen Zeit, Poeckh in Braunschweig, Biberhofer, Hauser bekannt; als „Graf“ im „Wildschütz“ hat er wohl alle Vertreter der Rolle übertroffen. Für seine Soubrettenpartien konnte der Componist, der zugleich sein eigener Librettist war, kein glücklicheres Original finden, als die damalige Leipziger Soubrette, die Günther. Ringelhardt hatte, wie schon bemerkt, einen ungemeinen Treffer bei seinen Engagements. Den glücklichsten hat er unzweifelhaft gemacht, da er Caroline Günther von Braunschweig nach Leipzig holte. So viel Talent mit so glücklicher Persönlichkeit gerade für das Fach der Soubrette in der Oper, wie im Schauspiele wird selten wieder in einer Künstlerin sich so glücklich vereint finden, wie in diesem langjährigen Lieblinge des Leipziger Publicums, das seiner Günther (seit ihrer in der ersten Zeit der Dr. Schmidt’schen Direction im Jahre 1844 erfolgten Vermählung – ein Eheband, welches der Tod des Gatten schon im nächstfolgenden Jahre löste – Günther-Bachmann) von Anfang bis zu Ende treu blieb und noch vor Kurzem Gelegenheit hatte, bei dem plötzlichen Hinscheiden der vortrefflichen Schauspielerin, ihr Kränze und Blumen in Fülle in das Grab mitzugeben, wie es ihr dieselben so oft im Leben zu spenden gewohnt war. Zu der Zeit, da ich nach Leipzig kam, war die Günther so recht in ihrer künstlerischen Blüthe. Die Natur hatte sie auf das Vortheilhafteste ausgestattet, ihr jede Eigenschaft verliehen, welche zu einer erfolgreichen Bühnenthätigkeit gehört. Ein ungemein anziehendes Aeußere, eine metallreiche Stimme, ein durchaus lebenswarmes und frisches Naturell gaben ihr das gefügige Material zu ihren Schöpfungen, denen aber erst die Eigenart ihres künstlerischen Wesens den unwiderstehlichen Reiz verlieh, welcher sie ganz besonders fesselnd erscheinen ließ.

Der Zauber, den sie ausübte, lag zunächst allerdings in ihrer persönlichen Begabung; er würde indeß sicher nicht von solcher Nachhaltigkeit gewesen sein, wie es der Fall war, wenn die Künstlerin nicht stets mit dem vollsten Ernste an die Lösung ihrer Aufgaben, der größten wie der kleinsten, gegangen wäre, wenn sie die reichen Mittel, die ihr zu Gebote standen, nicht statt als bloße Mittel zum Zweck vielmehr als Selbstzweck hätte brauchen wollen. Mit den erforderlichen Eigenschaften für die Oper, wie für das Schauspiel ausgerüstet, mit dem entschiedensten Talente für jede Gattung von Bühnengestaltungen begabt, war ihr die vielseitigste Leistungsfähigkeit vergönnt, deren geschickte Ausnutzung der Direction wie dem Publicum zu Statten kam, jener, indem sie mit einem Mitglied mehrere Fächer deckte, diesem, weil ihm die Künstlerin in jedem Gebiete, in welchem sie erschien, gleich hohe Genüsse gewährte. Wenn die Günther heute als Susanne in „Figaro’s Hochzeit“ entzückte, so riß sie morgen als „Vicomte von Letorières“ Alles zum stürmischsten Beifall hin; „Carlo Broschi“ in „Teufels Antheil“ und Franciska in „Minna von Barnhelm“, „die Regimentstochter“ und „Puck“ im „Sommernachtstraum“, der „Ludwig“ im „Weltumsegler wider Willen“ (eine Posse, welche gerade zu der Zeit in Leipzig florirte) oder irgend ein Dienstmädchen in einer kleinen Posse – das waren beispielsweise die Rollen, die sie im bunten Wechsel des Repertoires zu spielen hatte und welchen allen von ihrer Seite das glänzendste Genüge geschah.

An der Günther hatte Lortzing für seine Marie in „Czar und Zimmermann“ und für die Baronin im „Wildschütz“ ein Prototyp, wie es sich nicht glücklicher denken ließ. Sie war wohl geeignet, den Dichter und Tonsetzer bei der Schöpfung dieser anmuthigen, pikanten Gestalten entsprechend zu begeistern. Aber auch für kleinere Partien in seinen Opern fand Lortzing manch treffliches Original. So z. B. für seinen Haushofmeister im „Wildschütz“ den recht beliebten Komiker Ballmann, dessen stehende Redensart „wie närr’sch“ eine der Charakteristik der Rolle sehr gut zusagende Verwendung erhielt. Den Peter Iwanow in „Czar und Zimmermann“ gab Lortzing selbst, die Frau Brown des Componisten Mutter, die, obschon hochbetagt, doch immer noch eine große Beweglichkeit auf der Bühne zeigte. Die Tenorpartien des „Chateauneuf“ und des Baron im „Wildschütz“ sang der erste Tenor der Leipziger Oper, Schmidt, ein Sänger nicht von bestechenden Mitteln, aber gewandt und von musikalischer Sicherheit und Geschmack.

Von Ringelhardt’s Schauspielpersonal, wie ich es bei meiner Ankunft in Leipzig vorfand, traten in den Vordergrund: die erste Liebhaberin Frau Dessoir, der Darsteller der Väterrollen Reger, und der Charakterspieler Baudius. Die Dessoir genoß damals großer Beliebtheit bei dem Leipziger Publicum. Von dem Breslauer Theater, wo sie unter Haake’s Direction mit ihrem Gatten Ludwig Dessoir engagirt gewesen war und ebenfalls zu den Lieblingen gehört hatte – ich erinnere mich, als Gymnasiast sie dort mehrmals gesehen zu haben und des ihr gespendeten enthusiastischen Beifalls Zeuge gewesen zu sein – war die junge schöne Frau nach Leipzig gekommen und nach glänzend ausgefallenem Gastspiele von dem klugen Director sofort an seine Bühne gefesselt worden. Seitdem waren zehn Jahre vergangen, die den Credit der Künstlerin immer mehr gesteigert hatten. Noch immer galten ihre Thekla, Louise, Antigone für mustergültig, noch immer erfreute man sich an der für schwärmerische Gestalten wie für die realen Persönlichkeiten junger lebenslustiger Frauen gleich glücklich gearteten Erscheinung, an ihrer stets von großem Verständniß Zeugniß ablegenden, von jeder Manier freien Darstellungsweise.

Reger wurde als Schauspieler sehr geschätzt und genoß auch wie sein Freund Lortzing, für dessen „Czar und Zimmermann“ er bekanntlich die Strophen des Czarenliedes gedichtet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_435.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)