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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

z. B. das in Paris häufige, durch fast viereckigen Kopf ausgezeichnete Rouennaiskanin, die Languedocrace, der Lapin de Normandie etc.

9) Das französische Widderkanin, auch afrikanisches Kanin genannt, der Lapin bélier. Ein großes und schweres Thier, mit mächtig langen Hängeohren (sechszehn bis zwanzig Centimeter Länge) versehen. Es soll aus Algier nach Frankreich importirt worden sein. Häufig findet es sich im südlichen Frankreich, in England, Belgien und Spanien. Ausgezeichnete Zuchtthiere dieser Race werden oft sehr theuer bezahlt. Sechszig bis achtzig Francs für das Pärchen soll keine Seltenheit sein. Man erzählte mir, daß von Liebhabern schon hundert bis zweihundert Francs für das Paar angelegt worden sind. In Deutschland stellt sich der Preis auf fünf bis zehn Thaler pro Stück. Meistens ist dieses Thier grau, mit weißen Flecken an den Innenseiten der Füße, an dem Bauche und der Kehle versehen; es giebt aber auch isabellen- und silberfarbige. Die in Belgien gezüchteten sogenannten Lapins forts, welche, gemästet, nicht selten ein Gewicht von acht Kilogramm erreichen, sind entweder diesem Schlage zugehörig oder aus Kreuzungen mit demselben hervorgegangen. Im Durchschnitt werden die Widderkaninchen fünf bis sechs Kilogramm schwer; jedoch sind sowohl in Frankreich wie in England neun Kilogramm schwere Thiere dieses Schlages zur Ausstellung gekommen. Widderkaninchen von bedeutender Größe mit großem Kopfe und runder Stirn bezeichnet man als andalusische Kaninchen; der starkköpfige Lapin bélier ist aber auch sehr oft als Bulldoggkanin oder als Lapin américain in den Handel gebracht worden.

10) Der Leporide. Unter Leporide versteht man den Bastard vom Feldhasen und Stallkaninchen. Bis vor Kurzem glaubte man an dem Satze der älteren Zoologen: „Die Nachkommen von zwei Thieren verschiedener Art oder verschiedener distincten Species sind nicht oder nur über sehr wenige Generationen hinaus fruchtbar“, festhalten zu müssen. Nachdem aber bekannt geworden war, daß Ziegenbock und Schaf Bastarde erzeugen können, die bedingungslos fruchtbar sind, und man sah, wie die hybriden Nachkommen vom Zeburind und deutschen Rind, vom Yak und deutschen Rind, vom wilden und zahmen Schwein, von wilder und zahmer Ente, vom Hund und Wolf (Caniden), von einer Menge verschiedener Fischarten u. s. f. fruchtbare Nachkommen hervorbringen, ohne daß zur Anpaarung (zur Paarung des Bastards mit einem Thiere, welches der einen oder der andern Art der Stammeltern zugehört) Zuflucht genommen worden war, nahm die Ansicht von der totalen Unfruchtbarkeit der sogenannten Blendlinge oder doch von der Unmöglichkeit, daß diese sich über mehr als drei Generationen fortpflanzen können, mehr und mehr ab. Die Thatsache aber, daß es echte Leporiden giebt, die sich über mehr als sechs Generationen fortpflanzen können, entzieht der Definition von Art allen Boden, wie sie die älteren, der strengsten Systematik huldigenden Zoologen aussprachen, nämlich: „daß diejenigen Thiere einer besonderen Art oder distincten Species angehören, welche einander wie Geschwister ähnlich sehen und im Stande sind, bedingungslos mehr als drei Generationen von Nachkommen produciren zu können“. So ist denn die Existenz der Leporiden nicht nur für den Kaninchenzüchter, sondern auch für den Zoologen und namentlich für den Anhänger der Darwin’schen Theorie vom größten Interesse.

Daß Bastarde vom Hasen und Kaninchen vorkommen, ist längst bewiesen. Insbesondere hat der berühmte Zoolog Owen den Schädel eines solchen Hasen-Kanin-Bastards genau beschrieben.

Ganz besonders aufmerksam auf die Leporiden wurde man, als 1851 mehrere Zeitschriften die Nachricht brachten, daß es Alfred Roux in Angoulème 1847 gelungen sei, Bastarde vom Feldhasen und Stallkaninchen zu erziehen, und daß durch Anpaarung dieser Blendlinge mit Hasen eine Thiergattung erzüchtet worden sei, welche zu fünf Achtel Hasenblut und zu drei Achtel Kaninchenblut in sich trage. Broca (Brown-Séquard, Journ. d. l. Physiol. Vol. II. p. 367) beschrieb die von Roux gezogenen Thiere. Dr. Pigeaux (Bullet. d. l. Soc. d’Acclim. 1866), der von der Existenz von Bastarden des Hasen und des Kaninchens überzeugt war, behauptet, daß die angeblichen von Roux gezogenen Leporiden nicht echt seien. Nun sind aber sogenannte Leporiden von Frankreich aus vertrieben worden und werden jetzt vielfach in Deutschland gezüchtet. Dieselben dürfen entschieden nicht als echte Hasen-Kanin-Bastarde betrachtet werden.

Zwei Generationen echter Leporiden zog in neuerer Zeit meines Wissens zuerst Professor Dr. Conrad (jetzt in Halle) zu Plochoczin. Ein Hasenrammler und ein weibliches Kaninchen, welche sehr jung miteinander aufgezogen worden waren, hatten sich gepaart und erhielten am 18. Februar 1867 Nachkommen. Im Juli desselben Jahres producirten zwei dieser Bastarde wiederum Junge, die sich als vollkommen fruchtbar erwiesen. Männchen und Weibchen der zweiten Generation dieser Zucht wurden auf der landwirthschaftlichen Versuchsstation zu Jena, ohne daß man jemals zur Anpaarung Zuflucht nehmen mußte, bis zur sechsten Generation weiter gezüchtet. Die Thiere waren hasenfarbig; der Grund ihres Pelzes war grau. Weiße Flecken an der Kehle, an der Brust und den Fußenden kamen oft vor. Die Löffel waren länger als der Kopf und wurden aufrecht getragen; die Löffelspitzen waren bei den meisten Exemplaren schwarz. Bei diesen Leporiden war auch das obere Ende der Blume schwarz gefärbt. Bezüglich der Größe standen die Bastarde zwischen Hasen und den gewöhnlichen Stallkaninchen. Die Jungen waren blind, als sie geboren wurden. Die Farbe der Iris stellte sich bei einigen Exemplaren als hell gelbbraun heraus, während sie bei anderen dunkler erschien. Die Hinterfüße dieser Thiere waren länger als bei dem gewöhnlichen Kaninchen, doch verhältnißmäßig nicht so lang, wie sie der Hase zur Schau trägt. Das Fleisch war weiß, hatte aber den süßlichen Geschmack des Kaninchenfleisches verloren. Der Verfasser dieses Artikels, welcher diese echten Leporiden bis zur sechsten Generation züchtete und dadurch nachwies, daß dieselben bedingungslos fruchtbar waren, hat in seinen zoopathologischen und zoophysiologischen Untersuchungen (Stuttgart bei Schickhardt und Ebner; 1872) über dieselben nähere Mittheilungen gemacht, namentlich auch zu beweisen versucht, daß die Bastarde nicht nur äußerlich Eigenthümlichkeiten an sich trugen, die theils dem Hasen, theils dem Kaninchen angehören, sondern daß sie auch an ihrem Skelete specifische osteologische Merkmale des Lepus timidus und des Lepus cuniculus vereint erkennen ließen.

Es sei hier nur noch bemerkt, daß es freilich sehr schwer ist, Hasen mit Kaninchen zum Paaren zu bringen; daß man am zweckmäßigsten einen Hasenrammler, der drei bis vier Wochen alt ist, mit zwei bis drei ebenso alten weiblichen Kaninchen zusammenbringen, und diese in besonderem, isolirtem Stalle groß ziehen muß, wenn das Experiment gelingen soll. Man meint in der Regel, daß der Hase eine ganz besondere Abneigung habe, sich mit dem Kaninchen geschlechtlich zu vermischen. Für ältere Thiere ist das entschieden wahr, für junge aber nicht oder doch nur in beschränktem Maße. Kaninchen verschiedener Racen zeigen sehr häufig dieselbe Abneigung gegen einander. So war es absolut nicht möglich, im zoologischen Garten zu London männliche Porto-Santo-Kaninchen (siehe weiter unten) mit weiblichen Kaninchen der verschiedensten Racen zur Paarung zu bringen.

Wenden wir uns jetzt zur Betrachtung des Nutzens, welchen die Kaninchen bringen. Zunächst würde anzuführen sein, daß dieselben zu den fruchtbarsten Säugethieren gehören, die wir kennen. Es paaren sich dieselben im Freien viermal, im warmen Stalle bis zu achtmal jährlich. Die Tragzeit dauert nur dreißig bis einunddreißig Tage; das Weibchen wirft jedesmal vier bis zwölf Junge. Das Männchen wird mit längstens vier Monaten, das Weibchen meist schon mit fünf Monaten zuchtfähig. Binnen vier Jahren kann, wenn alle Umstände günstig, ein einziges Kaninchenpaar über 1,270,000 Stück Nachkommen producirt haben. Wie sehr sich diese Thierchen vermehren können, läßt sich durch ein Beispiel am besten erläutern. Im Jahre 1419 setzte Gonzales Zarco ein älteres weibliches Kaninchen mit mehreren Jungen, welche dasselbe auf dem Schiffe geworfen hatte, auf Porto Santo bei Madeira aus; dieselben vermehrten sich so ungeheuer, daß factisch die Niederlassung wegen derselben aufgegeben werden mußte. – Oberförster Benda setzte auf den Inseln, welche dicht bei Berlin in der Havel sich befinden, Kaninchen aus. Die Fruchtbarkeit derselben soll eine ungeheure gewesen sein.

Das Kaninchenfleisch ist weiß, etwas süßlich von Geschmack, immer aber ganz gut schmeckend (vorausgesetzt, daß die Thiere nicht zu viel mit Kraut- oder Kohlblättern genährt sind) und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_433.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)