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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)


No. 27.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Gesprengte Fesseln.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


„Du willst nach Italien? Warum denn gerade dorthin?“ fragte der Capitain.

„Wohin denn sonst?“ warf Reinhold ungeduldig ein. „Italien ist die Schule jeder Kunst und jedes Künstlers. Dort allein kann ich das beschränkte und lückenhafte Studium ergänzen, zu dem die Verhältnisse mich zwangen. Begreifst Du das nicht?“

„Nein,“ sagte der Capitain ziemlich kühl. „Ich sehe die Nothwendigkeit nicht ein, daß ein Anfänger sogleich auf die hohe Schule muß. Du findest hier zum Studium Gelegenheit genug, und die meisten unserer Talente haben jahrelang ringen und arbeiten müssen, ehe Italien ihren Werken die letzte Weihe gab. – Gesetzt aber, Du führtest Deinen Plan aus, was soll inzwischen aus Deiner Frau und dem Kinde werden? Denkst Du sie mitzunehmen?“

„Ella?“ rief der junge Mann ist einem fast wegwerfenden Tone. „Das wäre das sicherste Mittel, mir jeden Aufschwung unmöglich zu machen. Denkst Du, ich werde beim ersten Schritt, den ich in die Freiheit hinaus thue, die ganze Kette der Häuslichkeitsmisère mit mir schleppen?“

Zwischen Hugo’s Augen wurde eine leichte Falte sichtbar. „Das klingt sehr hart, Reinhold,“ erwiderte er.

„Ist es meine Schuld, daß mir die Wahrheit endlich einmal zum Bewußtsein kommt?“ grollte Reinhold. „Meine Frau kann sich nun einmal nicht über die Küchen- und Wirthschaftssphäre erheben. Es ist nicht ihre Schuld, ich weiß es, aber es ist deshalb nicht weniger das Unglück meines Lebens.“

„Ella’s Beschränktheit scheint allerdings als eine Art Dogma in der Familie festzustehen,“ bemerkte der Capitain ruhig. „Du glaubst blindlings daran, wie all die Anderen. Habt Ihr Euch denn schon jemals die Mühe genommen, zu untersuchen, ob diese Annahme wirklich so unfehlbar ist?“

Reinhold zuckte die Achseln. „Ich glaube, das wäre in diesem Falle wohl überflüssig. In keinem Falle aber kann die Rede davon sein, daß ich Ella mit mir nehme. Sie bleibt mit dem Kinde natürlich hier im Hause ihrer Eltern, bis ich zurückkomme.“

„Bis Du zurückkommst – und wenn es nun nicht geschieht?“

„Was soll das heißen? Was meinst Du damit?“ fuhr der junge Mann auf, während eine dunkle Röthe über sein Gesicht hinflammte.

Hugo kreuzte seine Arme und sah ihn fest an. „Es fällt mir auf, daß Du jetzt auf einmal mit fertigen Plänen hervortrittst, die jedenfalls längst entworfen und auch wohl besprochen sind. Leugne nicht, Reinhold! Du allein wärst nie so in’s Extrem gegangen, wie Du es jetzt im Kampfe mit dem Onkel thust, ohne auf einen Rath oder eine Vorstellung zu hören; es ist da fremder Einfluß thätig. – Ist es wirklich unbedingt nothwendig, daß Du Tag für Tag zu der Biancona gehst?“

Reinhold gab keine Antwort; er wandte sich ab und entzog sich so der Beobachtung des Bruders.

„Man spricht bereits ist der Stadt davon,“ fuhr dieser fort. „Es kann nicht lange dauern, so dringt das Gerücht auch hierher. Ist Dir das wirklich ganz gleichgültig?“

„Signora Biancona studirt meine neue Composition ein,“ sagte Reinhold kurz, „und ich sehe in ihr nun einmal das Ideal einer Künstlerin. Du hast sie auch bewundert.“

„Bewundert, ja! Im Anfange wenigstens, angezogen hat sie mich nie. Die schöne Signora hat so etwas – Vampyrisches in ihren Augen. Ich fürchte, auf wen sich diese Augen richten, in der Absicht, ihn festzuhalten, der bedarf einer starken Dosis Willenskraft, um Herr seiner selbst zu bleiben.“

Er war mit den letzten Worten an die Seite seines Bruders getreten, der sich jetzt langsam umwandte und ihn ansah.

„Hast Du das auch schon empfunden?“ fragte er düster.

„Ich? Nein!“ entgegnete Hugo mit einem Anfluge seiner alten spöttischen Laune. „Ich bin zum Glück wenig empfänglich für dergleichen romantische Gefahren und überdies hinreichend vertraut damit. Nenne es Leichtsinn, Unbeständigkeit – wie Du willst! Aber mich vermag nun einmal eine Frau nicht lange und tief zu fesseln; mir fehlt eben das Element zur Leidenschaft. Du aber trägst es nur zu sehr in Dir, und wo Dir ein Gleichartiges entgegenkommt, da liegt die Gefahr auch dicht dabei. Nimm Dich ist Acht, Reinhold!“

„Willst Du mich damit an die Fesseln erinnern, die ich trage?“ fragte Reinhold bitter. „Als ob ich sie nicht täglich und stündlich fühlte, und mit ihnen die Ohnmacht, sie zu zerreißen. Wäre ich frei, wie Du es damals warst, als Du Dich der Sclaverei hier entrissest, es könnte noch Alles gut werden; aber Du hast ganz Recht, mich haben sie bei Zeiten festgekettet, und ein Traualtar ist der sicherste Riegel, den man allen Freiheitsgelüsten vorschiebt – ich muß es jetzt erfahren.“

Sie wurden unterbrochen; der Hausdiener überbrachte eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_427.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)