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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und Menschenfeind“, einen Just in „Minna von Barnhelm“ zu zeichnen verstünden. Das politische Couplet und seine damit erzielten leichten Erfolge haben die Komiker corrumpirt, und so ist es zu erklären, daß die eigentlich komischen Stellen der Lust- und Schauspiele unserer classischen Dichter heute vom Charakterspieler übernommen werden müssen. Daß der jüngere Nachwuchs im Charakterfache mehr und mehr zu dem Unwesen des Mätzchenmacherthums gedrängt wird, hat noch einen anderen Grund, den ich hier kurz anführen will. Man ist in der Neuzeit sonderbarer Weise dahin gekommen, den Werth der rein physischen Mittel für einen Charakterspieler zu unterschätzen. Nun ist es wohl richtig, daß gerade in diesem Fache eine wissenschaftliche Bildung und eiserner Fleiß über manche Schranke, die mangelnde äußerliche Mittel gezogen, hinweghelfen – aber damit ist es auch genug. Um eine Rolle herauszugreifen: den König Lear. Diese Rolle bedingt doch entschieden imponirende Mittel an Figur und Organ. Eine Persönlichkeit unter Mittelgröße mit einem Organ, das dieser herrlichen, königlichen Ruine nicht entspricht, wird nie eine einheitliche, harmonische Wirkung aufkommen lassen, so Braves auch vom Darsteller geleistet werden mag. Heutzutage ist man aber, scheint es, zu der Ansicht gekommen: äußere Mittel sind für den Charakterspieler zwar willkommen, besitzt er aber eine bedeutende Bildung und Fleiß, so wiegen diese beiden Vorzüge alle fehlenden physischen Mittel auf. Mit Lewinsky’s Eintritt in die Reihen der Kunstgrößen wurde das beinahe Axiom.

Es kommen junge Charakterspieler zum Theater, die mit der Persönlichkeit und dem Organe eines Shakespeare’schen Junker Spärlich oder Christoph von Bleichenwang beanspruchen, einen Lear, Richard, Alba und Jago darstellen zu dürfen. Nun darf man allerdings annehmen, daß Bildung und Fleiß meist in hohem Maße bei diesen jungen Novizen vorhanden sind. Das genügt aber nicht allerwegen, und nicht Jeder, der mit solcher Persönlichkeit die großen classischen Aufgaben reproduciren will, hat das Glück, einen bedeutenden Dramaturgen bei guter Laune zu treffen und von diesem mit apodiktischer Bestimmtheit als zukünftige Kraft ersten Ranges bezeichnet zu werden. Was ist die Folge? – Die jungen Leute mühen sich redlich ab, aber es geht eben nicht auf die Dauer. Die schwachen Lungen und die kleine Gestalt geben’s nicht her. Was ihnen die Natur versagte, suchen sie durch Studium zu ersetzen. Das sogenannte durchdachte Spiel, die Nüance soll den Ausfall der natürlichen Mittel decken, und wie leicht thun sie hierin nicht zu viel und verfallen der Mätzchenmacherei!

Gerade weil die Schauspieler heutzutage durchschnittlich über eine entsprechende Bildung verfügen, hat sich das Uebel der überwuchernden Detailmalerei und des unmotivirten Mätzchenmachens ausbilden können. Gerade so, wie das scenische Ausstattungsbedürfniß sich eine eigene Malerkunst, die Decorationsmalerei, hat schaffen müssen, gerade so möchte man die echte Kunst der dramatischen Darstellung am liebsten in kräftiger Holzschnittmanier ausgeführt sehen. Diese Manier schließt ja Feinheit der Empfindung und zweckgemäße Vertheilung von Licht und Schatten nicht aus, aber sie verhindert das unkünstlerische Ueberwuchern des Einzelnen; sie betont weniger farbenprächtig, aber nicht minder richtig als die Oelmalerei. Die Maler, deren Hauptstärke im Colorit liegt, sind ja mit Recht meist Vorwürfen über Mängel in der Conception und Zeichnung ausgesetzt, und das Miniaturbild hat ja immer mehr oder weniger als bloße Spielerei gegolten.

Das Publicum und die Kritik haben die Pflicht, dem Ueberwuchern dieser verderblichen Richtung in der deutschen Schauspielkunst entgegenzutreten – ersteres dadurch, daß es nicht Alles auf Treu und Glauben nimmt, was ihm von Großen und Größen geboten wird, die letztere durch logischen Nachweis des Falschen, Mißverstandenen und Unkünstlerischen. Freilich, so lange der Kritiker die Bühnentechnik und die Handwerksgriffe, die Jeder gebrauchen muß, der irgend eine Kunst ausübt, zu studiren nicht für seine Pflicht erachtet, so lange er dem Schauspieler nicht dadurch imponirt, daß er Kenntniß von Allem hat, was zur Kunst der Menschendarstellung gehört, so lange wird er wohl thun, seine Stimme nicht für das delphische Orakel zu halten. Jeder Journalist hält es für eine gewöhnliche Nebenbeschäftigung, Theaterkritiken zu schreiben. Daß er das versteht, versteht sich bei ihm von selbst. Zu einem Kritiker aber, der dem Theater wirklich von Nutzen sein soll, gehört noch etwas mehr als das Bewußtsein, Lessing und Börne gelesen zu haben.

Schließlich noch eine kleine Mittheilung, die, wenn nicht wahr, so doch gut erfunden ist und die zeigt, wie man dem Mätzchenthum in Theaterkreisen entgegentritt.

Ein „renommirter Gast“ soll den Franz von Moor spielen. Als man in der Probe bis zum fünften Acte und der sogenannten Traumscene gekommen ist, wendet sich der gastirende Künstler an den Darsteller des Daniel, der ihm in dieser Scene sehr zur Hand gehen muß, und sagt ihm:

„Wollen Sie sich gefälligst merken, Herr X, daß ich Abends in meiner furchtbaren Aufregung Ihren Kopf in meine beiden Hände nehme, Ihnen die Worte: ‚Aber so lache doch, Daniel!‘ gewissermaßen in das Gesicht sprudele, Sie dann niederwerfe und Ihnen einen heftigen Fußtritt versetze.“

Der Daniel, ein wackerer alter Schauspieler, erwiderte darauf: „Ich habe hier auch eine Nüance. Sobald Sie, geehrter Herr, die mir angedeutete Nüance zur Ausführung gebracht haben, erhebe ich mich und verabreiche Ihnen eine solenne Ohrfeige.“

Der Mätzchenmacher soll in dieser Scene am Abend der Vorstellung sehr zahm gewesen sein.

Arno Hempel.




Blätter und Blüthen.


„Eine helle Perle im dunkeln Kranz.“ (Mit Abbildung, S. 423) So haben wir vor zwei Jahren auf der Wanderung, auf welcher wir damals[1] unsere Leser mit Bild und Wort durch das Schwarzathal führten, die Burg genannt, die auf der Felsenfaust unter dem Trippstein (auf welchen wir unsere Leser heute stellen) emporleuchtet, vom glänzenden Silberring der Schwarza umschlungen.

Bis jetzt war die Schwarzburg eine, wenn auch noch so helle, dennoch vor der Hochfluth des Verkehrsstroms versteckte Perle; denn wenn es in der Touristenzeit auch nicht an Luftschnappern fehlte, welche, vom Rufe des Schwarzathals angezogen, durch die Wald- und Felsenthäler von Nord und Süd daherschwärmten, so waren es immer nur Post- und Privatwagen, welche neben der leider zu sehr aus der Mode gekommenen Fußwanderung die Beförderung hierher zu besorgen hatten. Wie viele Postwagen mit Passagieren muß Schwager Postillon auffahren, um mit diesen einen einzigen Eisenbahnwaggon zu füllen! Und welche Arche Noäh öffnet sich, wenn sich ein ganzer Eisenbahnzug entleert! Und solcher Entleerungen drohen in nächster Zeit drei das Schwarzathal und die Schwarzburg mit ihren Menschenströmen zu überschwemmen. Schon zieht das Dampfroß die Wagenreihen mit Thüringerwaldlustigen von Nordost über Gera, vom Norden die Saalbahn daher, und bald wird auch vom Süden her aus den Weingauen Frankens der Schienenstrang das Gebirg durchdringen und das nahe Saalfeld der Knotenpunkt dieser dreifachen Verkehrsverbindung sein; eine vierte von Westen nach Südosten, von Erfurt über Saalfeld nach Hof, wird nicht lange auf sich warten lassen.

Wie sehr wir auch als Menschen dieser vorwärtsstrebenden Zeit uns darüber zu freuen haben, daß durch den Donner solcher Dampfzüge der alte Industriegeist des Gebirgs da, wo er von erdrückender Concurrenz niedergebeugt oder unter harter Kriegs- und anderer Noth ganz versunken war, neu gestärkt oder wieder erweckt werde, so beschleicht uns doch ein leises Bangen um den schönen stillen Waldesfrieden, in welchem der von der Geschäftshatz Abgehärmte hier einst athmen und sich erquicken und stärken konnte. Diese „schönen Tage“ von Schwarzburg werden nun wohl dahin sein.

Zum Glück ist das Gebirg so reich an Wegen und Pfaden, denen der Bequemlichkeitssinn der großen Menge nur fahrender Gäste ausweicht, daß wir von ihnen unbehelligt immer noch bis zur Anblicksstätte unseres Bildes gelangen können, am schönsten von Rudolstadt aus. Man geht über Schaala, Eichfeld und Keilhau (wegen der von Fr. Fröbel hier gegründeten waldfrischen Erziehungsanstalt an sich ja besuchenswerth) auf den Steiger mit seiner prächtigen Aussicht; von da gelangt man in einem Stündchen über Watzdorf hinauf nach Kordegang und von da nach dreiviertelstündiger Lustwandelung durch den fürstlichen Thiergarten zu dem Borkenhäuschen des Trippsteins. Und wer da zum ersten Male durch das Fenster auf unser Bild hinabschaut, ruft sicherlich aus: „Ach, wie ist der Wald so schön!“

Der Wanderer, welcher den eben bezeichneten Fußweg überstanden, hat es verdient, daß er erfahre, wo man einen Guten schenkt. So geleiten wir ihn denn den Zickzackweg hinab zur Landstraße, die zum Schloß führt. Da stehen, wenige Minuten vor demselben, zwei Gasthöfe sich gegenüber, deren Besitzer beide den Namen Hübner tragen. Der Thüringer Volkswitz weiß sie dennoch zu unterscheiden: er heißt den Einen „Hübner“ und den Andern „Drübner“. Gut wohnen und weilen ist bei Beiden. Und hat der Mensch sich gelabt und so weit gestärkt, daß er der Wißbegierde wieder ein Opfer bringen kann, so rathen wir ihm durchaus nicht von einem Besuche des Schlosses ab, wenn wir ihm auch nicht etwas ganz


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_424.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)