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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

dramatische Gewalt der Künstlerin flossen in Eines zusammen. Es war eine Leistung, die selbst das Unbedeutendste geadelt hätte – hier wurde es zu einem zweifachen Triumphe.

Das Lied war zu Ende. Einige Secunden lang dauerte die athemlose Stille noch fort, mit der man zugehört; keine Hand regte sich, kein Beifallszeichen wurde laut; dann aber brach ein Sturm aus, wie ihn selbst die gefeierte Primadonna nur selten vernommen hatte, und wie er bei einem Concertpublicum jedenfalls unerhört war. Beatrice schien nur auf diesen Moment gewartet zu haben; im nächsten schon war sie zu Reinhold getreten, hatte seine Hand ergriffen und ihn mit sich auf das Podium gezogen, ihn dem Publicum vorstellend. Diese eine Bewegung sagte genug; man begriff sofort, daß man den Componisten vor sich habe. Auf’s Neue umtobte der Sturm des Beifalls die Beiden, und der junge Künstler empfing, noch halb betäubt von dem unerwarteten Erfolge, an der Hand Beatricens, den ersten Gruß und die erste Huldigung der Menge. –

Reinhold kam erst wieder zur klaren Besinnung in dem Versammlungszimmer, wohin er Signora Biancona geleitet hatte. Noch blieben ihm einige Minuten des Alleinseins; draußen im Saale spielte das Orchester die Schlußpièce unter vollster Unaufmerksamkeit des Publicums, das sich noch völlig unter dem Eindrucke des eben Gehörte befand. Beatrice zog den Arm zurück, der auf dem ihres Begleiters lag.

„Wir haben gesiegt,“ sagte sie leise. „Waren Sie zufrieden mit meinem Gesange?“

Mit einer leidenschaftlichen Bewegung ergriff Reinhold ihre beiden Hände. „Ach, nicht diese Frage, Signora! Lassen Sie mich Ihnen danken, nicht für den Triumph, der ja Ihnen mehr als mir galt, aber dafür, daß ich mein Lied von Ihren Lippen hören durfte. Ich schuf es in der Erinnerung an Sie, für Sie allein, Beatrice. Sie haben verstanden, was es Ihnen sagt, sonst hätten Sie es nicht so singen können.“

Signora Biancona mochte es nur zu gut verstanden haben, aber in dem Blicke, mit dem sie zu ihm niedersah, lag doch mehr noch, als blos der Triumph einer schönen Frau, die auf’s Neue die Unwiderstehlichkeit ihrer Macht erprobt hat. „Sagen Sie das der Frau oder der Künstlerin?“ fragte sie halb scherzend. „Die Bahn ist jetzt geöffnet, Signor! Werden Sie sie betreten?“

„Ich werde,“ erklärte Reinhold sich entschlossen aufrichtend, „was sich mir auch entgegenstellt! Und wie sich meine Zukunft einst gestalten mag, für mich hat sie die Weihe empfangen, seit die Muse des Gesanges selbst mir die Pforten öffnete.“

Die letzten Worte hatten wieder jenen Ton schwärmerischer Huldigung, den Beatrice schon einmal von ihm vernommen; sie neigte sich näher zu ihm, und ihre Stimme klang weich, fast bittend, als sie erwiderte:

„Nun, so fliehen Sie auch diese Muse nicht mehr so hartnäckig wie bisher. Dem Künstler wird es doch wohl erlaubt sein, der Künstlerin von Zeit zu Zeit zu nahen. Wenn ich Ihr nächstes Werk einstudire, Signor, werde ich mir da wieder allein das Verständniß suchen müssen oder werben Sie mir diesmal zur Seite stehen?“

Reinhold gab keine Antwort, aber der Kuß, den er brennend heiß auf ihre Hand drückte, sprach kein Nein aus. Diesmal rief er ihr kein Lebewohl zu, diesmal riß ihn keine Erinnerung weg aus der gefährlichen Nähe. Was damals noch leise warnend in der Ferne aufgetaucht war, das hatte jetzt auch nicht mehr mit einem einzigen Gedanken Raum in der Seele des jungen Mannes. Wie hätte das matte farblose Bild seiner Gattin auch bestehen können neben einer Beatrice Biancona, die in dem ganzen dämonischen Reiz ihres Wesens vor ihm stand, neben dieser „Muse des Gesanges“, deren Hand ihn soeben zu seinem ersten Triumphe geleitet! Er sah und hörte nur sie allein. Was jahrelang verborgen in seinem Innern gelegen, was seit jener ersten Begegnung mit ihr sich emporgekämpft und emporgerungen hatte, das entschied dieser Abend, den Beginn einer Künstlerlaufbahn – und eines Familiendrama’s.




Die nächsten Tage und Wochen im Almbach’schen Hause gehörten nicht zu den angenehmsten. Es konnte dem Kaufmann natürlich nicht verborgen bleiben, daß sein Schwiegersohn öffentlich mit einer Composition hervorgetreten war, schon deshalb nicht, weil Doctor Welding im Morgenblatte eine ausführliche Besprechung jenes Concerts brachte, in der der Name des jungen Componisten genannt wurde. Aber weder das Lob, das der sonst so strenge Kritiker hier ertheilte, noch der Beifall, mit dem das Lied überall aufgenommen wurde, noch selbst die Dazwischenkunft des Consuls Erlau, der lebhaft für Reinhold Partei nahm und ganz entschieden für dessen musikalische Begabung eintrat, vermochten das Vorurtheil Almbach’s zu erschüttern. Er beharrte darauf, in jeder künstlerischen Bestrebung eine ebenso unnütze wie gefährliche Spielerei zu sehen, den eigentlichen Grund der Untüchtigkeit zum praktischen Geschäftsleben und die Wurzel alles Uebels. Da er so wenig wie sonst Jemand davon wußte, daß es eine Art von Gewaltstreich gewesen war, mit dem Signora Biancona Reinhold zum öffentlichen Hervortreten gezwungen, so hielt er das Ganze für eine vorher abgekartete Sache, die ohne sein Wissen, wider seinen Willen unternommen war, und das brachte ihn vollends außer sich. Er ließ sich so weit hinreißen, seinen Schwiegersohn wie einen Knaben darüber zur Rede zu stellen, und ihm kurz und gut jede weitere Beschäftigung mit der Musik zu verbieten.

Das war nun freilich das Schlimmste, was er thun konnte. Reinhold flammte bei dem Verbote in einem ganz unzähmbaren Trotze auf. Die Leidenschaftlichkeit, die trotz Allem, was sie äußerlich fesselte und in Schranken hielt, doch den eigentlichen Grundzug seines Charakters bildete, brach jetzt in wahrhaft erschreckender Heftigkeit hervor. Es gab eine furchtbare Scene, und hätte sich nicht Hugo rasch besonnen in’s Mittel gelegt, der Bruch wäre jetzt schon unheilbar geworden. Aber Almbach sah mit Entsetzen, daß der Neffe, den er erzogen und geleitet, den er mit allen möglichen Familien- und Geschäftsbanden an sich gefesselt, ihm völlig entwachsen war und nicht daran dachte, sich seinem Machtworte zu beugen. Der Streit war für den Augenblick beigelegt worden, aber nur, um bei der nächsten Gelegenheit von Neuem hervorzubrechen. Eine Scene folgte der andern; eine Bitterkeit überbot die andere. Reinhold stand bald genug im Kampfe gegen seine ganze Umgebung, und der Trotz, mit dem er seinen musikalischen Studien mehr als je nachhing und seine Selbstständigkeit nach außen behauptete, erhöhte nur den Groll seiner Schwiegereltern.

Frau Almbach, die die Ansichten ihres Mannes durchaus theilte, unterstützte jenen nach Kräften, Ella dagegen verhielt sich, wie gewöhnlich, vollständig passiv. Von ihr wurde freilich ein Eingreifen oder eine Parteinahme weder erwartet noch verlangt; den Eltern fiel es nicht ein, ihr auch nur den geringsten Einfluß auf Reinhold zuzutrauen, und Reinhold selbst ignorirte sie in dieser Angelegenheit völlig und schien ihr gar nicht einmal das Recht einer Meinungsäußerung zuzugestehen. Die junge Frau litt unleugbar unter diesen Verhältnissen; ob sie auch die traurige, demüthigende Rolle empfand, die sie, die Gattin, hier spielte, wo sie von beiden Parteien übersehen, bei Seite geschoben und als unmündig behandelt ward, ließ sich kaum entscheiden. Sie zeigte bei den erbitterten und erregten Debatten der Eltern und bei der fortwährenden Gereiztheit ihres Mannes, die oft um geringfügiger Anlässe willen hervorbrach und sich zumeist gegen sie richtete, stets die gleiche geduldige Fügsamkeit, kam nur höchst selten mit einem bittenden Worte, nie mit einer entschiedenen Parteinahme dazwischen, und zog sich, wenn sie wie gewöhnlich von beiden Seiten herb zurückgewiesen wurde, scheuer als je zurück.

Der Einzige, der mit Allen nach wie vor auf dem besten Fuße stand und seine Stellung als allgemeiner Liebling unangefochten behauptete, war merkwürdiger Weise der junge Capitain. Wie alle eigensinnigen Menschen, fügte sich Almbach weit eher einer Thatsache als einem Conflicte, und verzieh leichter die directe, aber ruhige Mißachtung seiner Autorität, die der älteste Neffe sich hatte zu Schulden kommen lassen, als die stürmische Auflehnung gegen seinen Willen, die jetzt von dem jüngeren versucht ward. Hugo hatte, als er sah, daß ihm ein verhaßter Beruf aufgezwungen werden sollte, weder getrotzt, noch den Oheim beleidigt; er war einfach davon gegangen und ließ den Sturm hinter seinem Rücken austoben. Freilich kam es ihm auch gar nicht darauf an, später die Rückkehr des verlorenen Sohnes in Scene zu setzen, um sich damit den Wiedereintritt in das Haus, dem sein Bruder angehörte, und die Wiederaufnahme in die Gunst seiner Verwandten zu sichern. Reinhold besaß weder die Fähigkeit noch die Lust, in dieser Weise mit den Verhältnissen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_413.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)