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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

durch Deutschland flüchtenden Polen fanden in Frankfurt enthusiastische Aufnahme, und manche Scene spielte sich in dessen Mauern ab. Der hier Ruhende war der polnische Artillerie-Lieutenant Ludwig Lang, welcher am 27. Januar im Gasthofe zum weißen Schwan dem Todesschlafe in die Arme sank und in höchst sympathischer Weise zu Grabe getragen wurde.

Der künstlerisch hervorragendste Schmuck des Frankfurter Friedhofs ist das an der Bethmann’schen Familiengruft angebrachte, in carrarischem Marmor ausgeführte Basrelief von Thorwaldsen, welches dem Andenken des in Florenz verstorbenen jüngeren Bruders des preußischen Cultusministers von Bethmann-Hollweg gewidmet ist. Ein scheidender Jüngling, abgerufen von dem Genius des Todes mit verlöschender Fackel, dem sterbend der herzueilende Bruder noch einen Eichenkranz, das Sinnbild männlicher Tugend, reicht, die trauernde Mutter, die schmerzlich sehnsüchtig aus der Ferne nach dem Scheidenden die Arme ausbreitet, ungetröstet durch die ihr zur Seite stehende und die im tiefsten Leide ihr zu Füßen liegende Tochter, der Flußgott des Arno, an dessen Ufern der Jüngling endete, eine Adrastea, welche die Thaten des Geschiedenen aufzeichnet und gerechten Lohn verheißt, der Löwe endlich, das Sinnbild des Muthes – der Jüngling hatte sich bei einem ausgebrochenen Brande eine tödtliche Krankheit zugezogen –, bilden die Motive des leider durch Frevlerhand verstümmelten Kunstwerkes.

Die Kunst, welche hier in so edler Weise dem Geschiedenen ihren Tribut gezollt, ist selbst in diesem Reiche des Todes durch manchen würdigen Namen vertreten. So ruhen hier in ewigem Schlafe der Architekt und weiland Professor am Städel’schen Kunstinstitute Friedrich Maximilian Hessemer, der Architekt Oscar Pichler, Erbauer der Irrenhäuser in Frankfurt am Main und bei Hildburghausen, der Kupferstecher Eugen Schäffer, der Bildhauer Eduard von der Launitz, die Maler Ernst Schalck, Karl Ballenberger, Professor Jacob Becker, Philipp Winterwerb, Franz Winterhalter u. A. – gewiß leuchtende Namen am deutschen Kunsthimmel.

Nach dem Entwurfe des ersten der eben Genannten erhebt sich in der zweiten Abtheilung des Friedhofes auf mäßigem Hügel ein umfangreiches, im byzantinischen Stile erbautes Mausoleum aus rothem Sandsteine. Es wurde von dem ehemaligen Kurfürsten Wilhelm dem Zweiten von Hessen errichtet und birgt jetzt nur die Hülle des am 21. December 1861 im dreiundvierzigsten Jahre in Prag verstorbenen und am 2. Januar 1862 hier beigesetzten Grafen Gustav Karl von Reichenbach-Lessonitz.

Wir gedenken hier zum Schlusse noch dreier Gräberreihen von geschichtlicher Bedeutung. Der 18. September 1848 brachte für Frankfurt einen blutigen Tag. Der Kampf, der sich zwischen dem Militär und den die aufgeworfenen Barricaden Vertheidigenden entspann, kostete schwere Opfer, die jetzt auf einem und demselben Fleckchen Erde friedlich schlummern, die Einen wenige hundert Schritte von den Anderen entfernt. Beider Gräber zieren schöne Denkmale. Das Denkmal der Gefallenen aus dem Heere ist eine durch den damaligen Prinzregenten von Preußen, jetzigen König und deutschen Kaiser, errichtete, in gothischem Stile aus hellgrauem Marmor ausgeführte, mit Spitze und Eckenausläufern versehene Pyramide, die auf der Nordseite das Medaillonbildniß des Grafen Hans von Auerswald und auf der Südseite das Medaillonbildniß des Fürsten Felix von Lichnowski (derselbe ist indeß zu Krzizanowitz in Schlesien beerdigt) trägt. Auf der Pyramide sind sodann eingeschrieben die Namen der beiden eben Genannten so wie die Namen des Hauptmanns Julius Hübner, des Secondelieutenants Wilhelm von Hillesheim, des hessischen Oberlieutenants Hermann Zimmermann und von neun Soldaten. Die Gedenksäule der Gefallenen aus dem Volke bildet einen circa fünfundzwanzig Fuß hohen, auf Untersatz stehenden Obelisken aus rothem Sandsteine, der das Motto trägt:

„Und setzet Ihr nicht das Leben ein,
Nie wird Euch das Leben gewonnen sein.“

Die Nordseite trägt zwölf Namen, die Südseite deren ebenfalls zwölf, darunter den eines Dienstmädchens, alle Nicht-Frankfurter, die Westseite trägt acht Namen von Frankfurtern und die Ostseite zwei Namen von Sachsenhäusern.

Die dritte Reihe von Gräbern deckt einen Theil der im französisch-deutschen Kriege von 1870 bis 1871 gebliebenen Frankfurter. Von den dreiundvierzig vor dem Feinde gebliebenen oder an Wunden und Krankheiten verstorbenen Söhnen dieser Stadt birgt der Frankfurter Friedhof nur dreizehn, deren Namen wir hier aufzählen wollen: Ferdinand Karl Friedrich Collischonn, Karl Christiani, Franz Peter Nunz, Johann Friedrich Wiessen, Karl Wiederhold, Karl Robert Enders, Wilhelm Karl Klaus, Louis Heinrich Gottfried Engelke, Cos. Theodor Schlösser, Karl Gmaner, Joh. Thomas Mack, Alfred Müller, Fritz Marschall. Es ist kein gemeinsames Grab, das sie beherbergt; sie ruhen in den Stätten ihrer Familie oder in den Reihen, wie die Gräberordnung sie anwies. Aber ihre Namen und die ihrer in ferner Erde schlummernden Cameraden wird in wenigen Jahren ein von dem jungen Bildhauer Rudolf Eckhard erfundenes, bei der Concurrenz mit dem Preise gekröntes gemeinsames Denkmal, von dem wir andererseits eine Abbildung (wie es in seiner Vollendung erscheinen wird) geben, bewahren.

–n.




Die erste Geistererscheinung des neunzehnten Jahrhunderts.


Von Ferdinand Dieffenbach in Darmstadt.


Zwischen heute und dem Anfange unseres Jahrhunderts liegt, wenn wir die Culturentwickelung der letzten Jahrzehnte in Betracht ziehen, ein ungeheurer, unschätzbarer Zwischenraum. Heute können wir mit allen Vorurtheilen nicht eilig genug aufräumen, und selbst die Ehrfurcht schwindet, mit welcher wir seither die Reste unserer Hinterbliebenen betrachteten. Damals fand noch die Lüge der Alchemie ihre Gläubigen; der Glaube an Geister und Gespenster spukte noch in den Köpfen, und die Literatur besitzt aus jener Zeit noch dicke Bücher über Hexen und Zauberwesen. Den Lesern der „Gartenlaube“ erzählte ich bereits von jener, der hiesigen Hofbibliothek einverleibten, merkwürdigen Wunderlich’schen Bibliothek, in welcher der alte Sonderling während seines langen Lebens so ziemlich die gesammte alchemistische und kabbalistische Literatur aufhäufte und so ziemlich Alles, was im Laufe der Jahrhunderte über Geister, Gespenster und Hexen geschrieben wurde, sammelte. Diese Bibliothek steht vielleicht auf der ganzen Welt als ein Unicum da, und der alte Sonderling hat sich durch ihre Gründung ein Verdienst erworben, von dessen Größe er wohl selbst nie eine Ahnung hatte.

Die großherzoglich darmstädtische Hofbibliothek stellt diese Büchersammlung Jedermann mit der größten Bereitwilligkeit zur Verfügung, und mit besonderem Behagen habe auch ich von derselben Gebrauch gemacht. Anfänglich ist das Durchstöbern dieser Folianten zwar keine besonders erquickliche Beschäftigung, denn die Logik des Unsinns ist nicht sofort für Jeden faßbar, allein mit der Zeit gewinnt der Humor dem anfangs widerlichen Gegenstand seine heiteren Seiten ab, und auch die falsche Weisheit erscheint in einer anziehenden Gestalt. Eine große Wahrheit aber bestätigt diese Sammlung, die Wahrheit des alten Spruchs: Es ist nichts so verkehrt, das nicht schon von einem Gelehrten vertheidigt worden wäre. Die Sammlung liefert uns hierfür manches erheiternde Beispiel.

Wir erwähnen nicht die zahlreichen Inauguraldissertationen, welche die wunderlichsten Themata behandeln. „Von den Besessenen“ und „vom Teufelaustreiben“, von Hexen und Zauberern und ähnlichen Gegenständen. Noch im Jahre 1706 disputirte in Rostock ein gewisser Michael Schilberg über die Frage: „Ob man den Sterbenden einen Gruß an die Seinigen in der andern Welt mitgeben könne?“ Aus dem Jahre 1735 ist noch eine Abhandlung: „Von dem Kauen und Schmatzen der Todten in den Gräbern“ vorhanden, im Wesentlichen eine Wiederholung einer Leipziger Dissertation von 1725: „De masticatione

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_408.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2020)