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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

gedrungen, daß ein kleines braunes Mädchen in diesen Wäldern lebe; wild, scheu, sensitiv und wunderbar schön. Wer war sie, die, halb Prophetin, halb Elfe, durch die Tannen huschte, das Auge der Anglo-Sachsen meidend? – Hier ist ein kleines Geheimniß, und es soll ihr gewahrt bleiben. Ihr Name ist Calle Shasta. – Durfte ich sie in den Wäldern lassen und dem Sturme preisgeben, welcher mit verheerender Gewalt über die Modocs und ihre Alliirten hereinzubrechen drohte? – Gegenwärtig befindet sich die Kleine in einem Pensionate in San Francisco. Ihre großen, schwarzen Augen, tief und sympathisch, die Jedermann zu fesseln scheinen, die bis in’s Innerste der Seele eindringen, blicken träumerisch auf das Wogen und Treiben der Menschen, welche sie umgeben. Sie sitzt schweigend unter ihnen, denn Herz und Seele sind weit hinweg, im Geiste schreitet sie durch den Urwald. Und wer ist sie? werdet Ihr fragen. Gerade das ist ihr Geheimniß. Von mütterlicher Seite, müßt Ihr wissen, fließt das beste Blut eines ehemals großen und mächtigen Stammes in ihren Adern. Und ihr Vater? Ah, das ist’s. Nur wir wissen es, und wir lachen über die zahlreichen Vermuthungen und Speculationen der Welt. Wenn es mir nicht gelingt, mit einer ungeschulten Feder Erfolge zu erringen, wenn mir auch dieses Unterfangen fehlschlägt, wie mir Anderes vorher fehlgeschlagen ist, so ist sie nicht mein; aber wenn ich einen Namen erwerben sollte, auf den man stolz sein kann, – dann soll sie diesen Namen tragen. – Armes Mädchen! Wie verloren und verlassen muß sie sich fühlen! Niemals wird sie die Stimme ihrer frühesten Kindheit wieder vernehmen, denn es gibt kein menschliches Wesen mehr, das ihre Muttersprache spricht. Gehe sanft mit ihr um, o Schicksal, denn sie steht allein! Sie ist die letzte der Shastas.“

Lange vorher, ehe Obiges geschrieben wurde, hatte übrigens schon die Tagespresse das Geheimniß der schönen Halbindianerin verrathen. Ein Journal in San Francisco schreibt nämlich über dieses Mädchen:

„Sie ist jetzt 16 Jahre alt, und der Dichter läßt sie erziehen. Die junge Dame wird als auffallend schön geschildert. Sie hat die tiefen dunkeln Augen, sowie das reiche, schwarze Haar ihrer Mutter, von ihrem Vaters besitzt sie die weiße kaukasische Hautfarbe. Die Nachbarn nennen sie allgemein die ‚schöne Spanierin‘, denn ihre romantische Geschichte ist Wenigen bekannt, nur in einem sehr engen Kreise gilt sie als das begabte Kind des Dichters. Es ist nur gerecht gegen diesen rauhen, halb wilden Mann, wenn wir hier constatiren, daß er das Mädchen innig liebt und Alles thut, was in seinen Kräfte steht, ihr das Leben angenehm zu machen.“

Nachdem Miller an der Küste des stillen Oceans seine Verhältnisse geordnet, kehrte er wieder nach England zurück, wo bald ein zweiter Band Gedichte unter dem Titel „Songs of the Sun-Lands“ von ihm erschien. – Unterdessen war in Oregon der Krieg gegen die Modocs ausgebrochen, welcher mit der gänzlichen Vernichtung jenes Stammes endigte. Auch die „Gartenlaube“ hat seiner Zeit Artikel über die Modocs gebracht, und es dürfte die Leser vielleicht interessiren, zu hören, was der ehemalige Häuptling dieses Stammes über den Krieg und dessen Ursachen zu sagen hat. Miller schreibt:

„Die Ursachen des letzten Modockrieges, welcher thatsächlich von geringerer Bedeutung war, als die früheren Kämpfe, in welchem jedoch die letzten tapferen Sprößlinge des Stammes untergingen, mag hier kurz geschildert werden.

Unter den Indianern ist oft, ebenso wie unter christlichen Nationen, mehr als ein Mann, welcher auf die Führerstelle Anspruch macht. Seit Jahren ist es nun eine feststehende Politik der Indianeragenten, irgend einen Feigling oder Schwachkopf, der sich mit Leichtigkeit leiten läßt, als Häuptling über einen Stamm zu setzen und Verträge mit ihm abzuschließen und den ganzen Stamm für dessen Verpflichtungen verantwortlich zu machen. Auf diese Weise werden den Indianern große Gebiete und verbriefte Rechte gestohlen. Wenn sich irgend Einer widersetzt, dann wird die Armee gerufen, um dem Vertrage Geltung zu verschaffen.

Der alte Vertrag mit den Modocs war nach obigem Muster gemacht. Jeder Fuß breit Landes ihres ehemals unabsehbaren Gebietes war von einem Menschen an die Weißen cedirt worden, welcher kein Recht hatte, für den Stamm Verträge abzuschließen. Sie wurden größtentheils nach einem im Norden für sie reservirten Gebiete gebracht, auf welchem sich bereits ihre bittersten Feinde befanden. Es war das ein ödes, unfruchtbares Land, auf welchem die Indianer beinahe verhungerten. Capitain Jack, welcher jetzt der wirkliche und anerkannte Häuptling der Indianer war, blieb in dem Lande seiner Väter; er war ein aufrichtiger, rechtschaffener Mann und sammelte die besten und tapfersten Krieger seines Stammes um sich. Die Leute blieben, lebten nach der alten Weise von der Jagd und der Viehzucht, bis es die Ansiedler nach ihrem Lande gelüstete.

Dann kamen die Behörden zu Capitain Jack und sagten ihm, er müsse sein Land verlassen, auf das reservirte Gebiet gehen und dort neben seinen Feinden leben. Der Indianer weigerte sich, zu gehen.

,Dann mußt Du sterben,‘ hieß es.

‚Gut,‘ antwortete Capitain Jack, ‚es bedeutet den Tod in jedem Falle, ob wir gehen oder bleiben; dann wollen wir wenigstens sterben, wo unsere Väter starben.‘

In der Nacht, der Zeit, welche der Indianer den wilden Thieren überläßt, indem er sich vertrauensvoll dem großen Geiste empfiehlt, wurde das Lager von den Bundestruppen überfallen. Die Modocs traten ihren Feinden wie Spartaner entgegen.

Nachdem sie sich lange erfolgreich gewehrt hatten, kamen die Friedenscommissäre, um über Frieden zu unterhandeln. Die Indianer, eingedenk der Tragödie, welche vor zwanzig Jahren stattfand, desperat und nach Rache dürstend, waren der Ansicht, die einzige Alternative sei hier, zu morden oder sich morden zu lassen, und so ermordeten sie die Commissäre, wie man früher ihre Friedenscommissaire von Seiten der Weißen ermordet hatte. Sie thaten dies angesichts der furchtbaren Folgen, welche sie recht wohl voraussahen.

Wenn es erlaubt ist, irgendwie Thaten des Krieges zu verherrlichen, wie kann man anders, als die Tapferkeit dieser wenigen Männer bewundern, welche im Schatten des Shastaberges kämpften für Alles, was dem Christen oder dem Wilden heilig ist, welche die Truppen der Vereinigten Staaten ein halbes Jahr lang im Schach hielten, dem Tode fest in’s Auge sahen und weiter kämpften, Tag um Tag, jeden Tag weniger zählend, auf einen engeren Kreis zusammenschrumpfend, blutend, hungernd und sterbend, mit dem klaren Bewußtsein, daß gänzliche Aufreibung nur eine Frage der Zeit war. Sie kannten den schrecklichen Preis und zahlten denselben ohne Murren. Es giebt in der ganzen Weltgeschichte keinen solchen Fall (?). Doch die Leute sollen nicht vergessen werden. Die Leidenschaften werden schwinden, und selbst ihre heutigen Feinde werden noch mit Achtung von diesen Männern sprechen.

Ich weiß es recht wohl, daß Einige sagen werden, es sei unmöglich, friedlich mit den Indianern zu verkehren. Ich frage: Wer hat’s denn versucht? Penn versuchte es und fand in ihnen die friedfertigsten, aufrichtigsten und edelsten Wesen. Die Mormonen, sicherlich nicht die musterhaftesten Menschen, versuchten es, und sie wurden von den Indianern wie Brüder behandelt. Ein verkommener, halbverhungerter Zug von Ausgetriebenen, ließen sie sich mitten unter den wildesten und schlechtesten Indianern nieder, und die Rothhäute gaben ihnen Fleisch zu essen, Land zum Pflügen; sie gewährten ihnen Schutz und Unterhalt, bis sie sich selbst schützen und ernähren konnten. Dies sind die beiden einzigen Beispiele eines ehrlichen, fortdauernden Strebens, friedlich mit den Indianern zu verkehren und sie gerecht zu behandeln, die einzigen Beispiele seit dem Tage, an welchem die Indianer dem Columbus die Hand zuerst zur Begrüßung entgegenstreckten.

Am Tage des jüngsten Gerichts werde ich dieses Buch als eine furchtbare Anklage gegen die Regenten meines Vaterlandes emporhalten, weil sie dieses Volk ausgerottet haben.

Wackere kleine Heldenschaar! Wenn ich jemals zum Shastagebirge zurückkehre, dann soll man mir die Stelle zeigen, wo der letzte Mann gefallen ist; dort werde ich ein Monument errichten lassen und den Platz ‚Thermopylä‘ nennen.“

Joaquin Miller’s poetische Schöpferkraft hat augenscheinlich, trotz der bereits ausgezeichneten Leistungen, ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht, und hoffentlich erfüllt er die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_405.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2018)