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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

verbessern, zu thun haben; ich bedaure nur, daß ich so schlechten Erfolg hatte. Im Uebrigen werfe ich der ganzen Welt den Handschuh hin und sage: Ich bin stolz auf jene Periode meines Lebens. Dieselbe ist die einzig reine Stelle meines Charakters, sie war das einzige Bestreben in meiner Laufbahn, auf welches ich mit Freuden und Genugthuung zurückblicke, das Einzige, was ich jemals that oder versuchte, welches geeignet ist, mir einen Rang unter den großen Männern meines Vaterlandes zu sichern. Und was ist mein Lohn gewesen? – – Doch lassen wir das; die Zeit wird mich rechtfertigen. Es mag sein, daß sich noch ein Wendell Phillips erhebt, um für diese Leute zu sprechen, daß ein anderer John Brown ersteht und für sie in den Kampf zieht, dann wird man wohl auch meiner gedenken.“

Durch dieses Buch hat Miller dem ganzen unseligen Scandal über seine Vergangenheit ein Paroli gebogen; er erzählt mehr, als alle seine Gegner über ihn zu sagen wußten, und er thut das mit einer Gleichgültigkeit über das Urtheil der Welt, welche geradezu Bewunderung erregt. Es sei mir hier gestattet, nach Miller’s „Bekenntnissen“ und anderem Material eine kurze Skizze dieser interessanten, wechselvollen Laufbahn zu entwerfen.

Cincinnatus Heine Miller ist der Sohn einer westlichen Pionierfamilie. Entweder ist sein Vater deutscher Abstammung oder seine Mutter war eine Deutsche, was aus dem Vornamen Heine erhellt. Der Amerikaner nennt seine Kinder gern nach großen Männern; wahrscheinlich nannte der Vater den Knaben Cincinnatus, die poetische Mutter aber – alle Mütter von großen Dichtern schwärmen für Poesie – nannte ihn Heine. Der Dichter wurde am 10. November 1841 im Staate Indiana geboren. Anfangs der fünfziger Jahre zog die Familie westlich über die unermeßliche Prairie und über die von ewigem Schnee bedeckten Felsengebirge in die Niederungen am Stillen Ocean, wo sie sich am Willamette im nördlichen Californien, dem jetzigen Oregon, niederließ. An eine Schule war bei diesem Wander- und Grenzerleben an den fernsten Außenposten der Civilisation nicht zu denken; nothdürftig lesen und schreiben lernte der geweckte Knabe wahrscheinlich von den Eltern. Schon frühzeitig half er das Feld bestellen, hütete das Vieh, und lernte Beil und Büchse in allen Fällen handhaben. Noch nicht vierzehn Jahre alt, beschloß der Bursche sein Glück selbstständig zu suchen. Er sah seine Eltern unter der Last der Arbeit altern, ohne daß es ihnen gelungen wäre, in die Verhältnisse zu kommen, in denen man sich behaglich fühlt; er hörte täglich von den reichen Goldfunden im Norden und Osten des Landes, und das reizte ihn: eines Morgens bestieg er seinen Pony, steckte sich einen Revolver in den Gürtel und ritt – ein neuer Jung Siegfried – auf Abenteuer aus in die von Goldsuchern und wilden Indianerhorden nach allen Richtungen durchschwärmte Wildniß. Unterwegs traf er einen Heerdenbesitzer, welcher ihn als Vaquero in Dienst nahm. Die von Weißen und Halbblut-Indianern gehütete Heerde näherte sich langsam den goldreichen Wildnissen Nevada’s. Eines Tages wurden sie von feindlichen Indianern überfallen, welche Alles niedermachten; der junge Miller sah bereits den Tomahawk über seinem Haupte geschwungen und hatte die Augen geschlossen, um den Todesstreich zu empfangen, als sich der Häuptling – vielleicht aus Scham einen Knaben zu tödten – abwandte und ihn liegen ließ. Zum Glück war sein Pferdchen in dem hohen Prairiegrase von den Rothhäuten nicht bemerkt worden; er schwang sich in den Sattel und erreichte glücklich ein Goldgräber-Lager. Der schüchterne, träumerische Junge war jedoch unter den rauhen Männern der Minen nicht am Platze, und hätte sich nicht zufällig ein professioneller Spieler seiner angenommen, so würde er wahrscheinlich verhungert sein. Dieser Mann „mit dem Aussehen eines Fürsten, dem Muthe eines Sioux und dem Gemüthe eines Mädchens“ wurde schließlich Goldgräber und der junge Miller sein Handlanger.

Eines Tages war außerhalb des Lagers ein weißer Strolch ermordet worden, und der Verdacht fiel auf die in der Nähe campirenden Indianer. Die Goldgräber, durch den strengen Winter desperat gemacht, beschlossen ihren Unmuth an den Indianern auszulassen; nach Rache dürstend, überfielen sie deren Dorf und schlachteten unbarmherzig Alles, was nur einer Rothhaut ähnlich sah. Miller und sein Principal waren dem Zuge gefolgt; der Spieler, welcher eine magische Gewalt über die rohen Gesellen besaß, that dem Morden Einhalt und rettete bei dieser Gelegenheit zwei Kinder der Modocs, einen Knaben und ein Mädchen. – Mehrere Wochen später suchte ein deutscher Doctor, der im Verdachte stand, zwei Haupträdelsführer jenes Massacres kurz nach einander in der Nacht erstochen zu haben, Schutz bei dem gefürchteten, unnahbaren Spieler, und dieser beschloß mit seinen vier Schutzbefohlenen, dem Deutschen, Miller und den beiden Indianerkindern, in das Land der Modocs zu ziehen. Jenseits des Shasta-Gebirges, in einer noch niemals von einem Weißen betretenen Gegend entdeckte die durch sonderbare Zufälle zusammengewürfelte Colonie eine reiche Goldader und erbaute die seither so berühmt gewordene Lost Cabin, welche fast in allen Goldgräber-Romanen eine Rolle spielt.

Die Indianer jener Gegend zerfielen in drei zusammengehörige Stämme, die Shastas, Modocs und Klamats, und mit dem ersteren Stamme wurden die Einsiedler durch Vermittelung der Kinder befreundet. Der alte Häuptling Worretotot gewann den jungen Miller mit der Zeit außerordentlich lieb, theilte seinen Wigwam mit ihm und gab ihm nach Jahresfrist seine Tochter Winnema zur Frau. Der Spieler und der Doctor wandten sich später wieder den Ansiedelungen zu, Miller aber blieb und wurde, bis auf die Hautfarbe, Indianer. Der nach hohen Dingen strebende Eidam des mächtigen Häuptlings setzte sich’s in den Kopf, eine große Indianerrepublik aus den drei verwandten Stämmen zu bilden und die Bundesregierung zur Anerkennung derselben zu zwingen. Die Indianer erklärten sich mit Enthusiasmus für den Plan; Miller brachte denselben zu Papier und übersandte ihn dem Gouverneur von Californien; dieser aber warf die (ohne Zweifel sehr unorthographisch geschriebene) Mittheilung in den Papierkorb. Auf andere Zuschriften erfolgte ebensowenig eine Antwort, was den ehrgeizigen jungen Mann nicht wenig erbitterte.

In einem der ewigen Kämpfe war der Häuptling der Modocs gefallen und Worretotot schlug seinen Schwiegersohn, der sich bereits in verschiedenen Gefechten die Adlerfedern verdient hatte, als Kriegshäuptling vor. Der unter Widerwärtigkeiten, Entbehrungen und Kämpfen aller Art früh zum Manne gereifte Jüngling wurde erwählt. Miller führte sehr bald den Oberbefehl in den Schlachten gegen die Weißen; er war überaus glücklich, und die von Messiashoffnungen erfüllten Rothhäute verbreiteten seinen Ruhm über ganz Californien. In San Francisco und Sacramento-City erzählte man es als dunkle Sage, daß die Indianer des Nordens von einem Weißen mit goldgelben Locken in der Schlacht befehligt würden; verschiedene Goldgräber und Milizsoldaten wollten dem lockigen Helden selbst im Gefechte begegnet sein, kurzum, der „weiße Häuptling“ war eine Zeit lang die Sensation des Tages. Selbstverständlich dachte man bei diesen Berichten nur an einen reifen Mann, und Niemand hatte eine Ahnung davon, daß der gefürchtete Feldherr der Rothhäute ein bartloser Junge sein könne. Und das war sein Glück; denn bald darauf wurde Miller gefangen, und er wäre ohne Zweifel niedergeschossen worden, wenn man im Entferntesten geahnt hätte, wer er war; die Milizen hielten ihn für einen ungefährlichen Mitläufer und schenkten ihm das Leben, zwangen ihn jedoch, sich in ihre Reihen zu stellen und gegen die Indianer zu kämpfen.

Der Zug galt den Pit-River-Indianern. Die Führer der Milizen waren Falstaffe, ohne Muth und ohne Kenntniß der Taktik; während des Gefechtes, als die Weißen rathlos schwankten, stellte sich Miller plötzlich an die Spitze; Alles gehorchte seinem Commando und er schlug die Indianer in einer heißen Schlacht. Nach Beendigung des Feldzuges bat der Sieger um seinen Abschied und erhielt ihn, die Weißen mochten ihm aber nicht trauen und beschlossen, ihn heimlich ermorden zu lassen; offen hätte man bei der Popularität, deren sich der entschlossene junge Mann unter den Soldaten erfreute, nichts gegen ihn unternehmen dürfen. Als Miller allein durch den Urwald ritt, erhielt er einen Schuß in den Arm; eine zweite Kugel verfehlte ihr Ziel; nur seinem flüchtigen Pferde verdankte er das Leben, und schwer verwundet kam er in Winnema’s Wigwam an.

Die Shastas hatten bereits erfahren, daß der weiße Kriegshäuptling gegen ihre Brüder gekämpft; sein Ansehen unter den Stämmen hatte einen Stoß erlitten, und nur die Zeit konnte ihn rehabilitiren. Zur Abwechselung machte er eine Reise in das Unterland. Zu jener Zeit (1858) organisirte Walker in San

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