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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Unrichtigkeiten widerlegen zu können. Die Gartenlaube wird ohne Zweifel in späteren Zeiten eine Quelle sein, aus der Schriftsteller Material für umfangreiche Arbeiten, Schilderungen und Belege schöpfen. Weshalb soll diese Quelle getrübt werden? Und gerade für die Zeitgeschichte, insbesondere für die des Theaters, sind Details von höchstem Werthe; sie bilden die Steine, aus welchen der ganze Bau sich zusammensetzt.

Ich will gern annehmen, daß der Verfasser des betreffenden Artikels nicht absichtlich jene vielfachen Unrichtigkeiten seinem Aufsatze einverleibte; sie sind ihm augenscheinlich von Leuten mitgetheilt worden, die er für glaubhaft hielt, die, wie man zu sagen pflegt, Glocken läuten hörten, ohne zu wissen, wo sie hingen – und er nahm jene Mittheilungen auf Treu’ und Glauben hin; dann aber sei es erlaubt, ihm den Vorwurf zu machen, daß er sich selbst als handelnde Person einführte und den Leser dadurch zu der sehr verzeihlichen Annahme verleitete, daß alle von ihm gebrachten Aufzeichnungen den Anspruch auf vollständige Richtigkeit und Glaubwürdigkeit erheben dürften.

Der Verfasser will als Knabe zur Zeit des berühmten Ludwig Devrient die genaue Bekanntschaft des alten würdigen Zäger gemacht, sich seiner besondern Protection erfreut haben. Er hat, seinen Aufzeichnungen nach, den Alten noch eine ganze Zeit lang durch das Leben begleitet, muß also, wenn seine Aussagen richtig sind, sehr wohl Gelegenheit gehabt haben, den Charakter, die Art und Weise, das ganze Gebahren des alten Herrn kennen zu lernen. Dieses Charakterstudium ist aber jedenfalls ein sehr oberflächliches gewesen, denn der alte Zäger hat niemals ein solches Wesen zur Schau getragen, sich niemals in solchen Ausdrücken gefallen, wie der Herr Verfasser in Nr. 19 den Lesern der Gartenlaube glauben machen will. Wahr und richtig ist, daß Zäger in Folge seiner Rechtlichkeit das Vertrauen seiner Vorgesetzten in hohem Grade genoß, daß er ein sehr braver, gutmüthiger und freundlicher Mann war, dem Jeder ohne Ausnahme wohlwollte; schon mit diesen vom Verfasser angeführten Eigenschaften möchte die betonte „Wichtigthuerei“ sich ebenso wenig vereinbaren lassen, als das fast brutale Betragen gegen die Zöglinge des Ballets im Vorzimmer des Intendanten. Zäger war vielmehr ein sehr bescheidener, äußerst höflicher Mann, über dessen Lippen Ausdrücke wie „Bande“, „Bagage“, „Couleur“, „Sorte“ etc. niemals kamen. Ich bemerke hier sogleich, daß ich, seit dreißig Jahren der königlichen Bühne angehörend, fast täglich mit dem Alten – während einer Reihe von siebenzehn Jahren – zusammengekommen bin und stets dieselbe artige, freundliche und bescheidene Weise an ihm wahrgenommen habe, welche ihn uns Allen lieb und werth machte. Zäger hat niemals vergessen, daß seine Stellung eine subalterne war; das werden außer mir dem Herrn Verfasser noch viele meiner Collegen und die Beamten der Generalintendantur bezeugen können.

Dies zur allgemeinen Berichtigung. Gehen wir nun auf Details über, so findet sich gleich im ersten Satze ein gewaltiger Fehler in der Zeitrechnung. Verfasser hat zur Zeit Devrient’s den Alten kennen gelernt. Nehmen wir das Aeußerste an, so wäre diese Zeit etwa das Jahr 1830 bis 1831 gewesen, weil Devrient, der 1832 starb, noch als Darsteller des Franz Moor angeführt wird. Damals soll Zäger schon ein hochbetagter Mann gewesen sein. Zäger starb im Jahre 1861 im Alter von neunundsiebenzig Jahren; nehmen wir an, der Verfasser lernte ihn Anno 1831 kennen, so hätte er die Bekanntschaft eines neunundvierzig Jahre alten Mannes gemacht, den er sehr irrthümlich hochbetagt nennt.

Die folgende dem Alten in den Mund gelegte Aeußerung: „Ich und der Intendant werden uns die Sache überlegen“, ist entschieden nie von ihm gemacht worden. Er war dazu viel zu bescheiden; daß die Diener des königlichen Theaters den Ausdruck: „Morgen spielen wir dies oder das“, oder „wir probiren morgen“, gebrauchen, ist bekannt, und die Bezeichnung „wir“ wird von einzelnen Subalternen auch bei anderen Ressorts, als es das königliche Theater ist, angewendet.

Für total unwahr erkläre ich die Geschichte der Ueberbringung der Rolle der Lady Macbeth an Frau Crelinger. Es hätte Einer dem alten Zäger zumuthen sollen, solch einen Auftrag durch einen Fremden ausführen zu lassen! Bis in die letzten Tage seines Lebens, schon krank und leidend, bestand er immer darauf, jeden Auftrag selbst zu vollziehen. Am allerwenigsten würde aber der – wie bemerkt – durch seine strenge Rechtschaffenheit, seine Pünktlichkeit den Vorgesetzten werthe Diener einen so wichtigen Auftrag durch einen „Jungen“ zur Erledigung gebracht haben. Der Herr Verfasser muß seltsame Anschauungen von dem Getriebe der Verwaltung des königlichen Theaters haben. Einer Crelinger, der ersten, der gefeiertsten Künstlerin des Hoftheaters, bringt ein Junge die Rolle der Lady Macbeth mit der Bitte, dem braven Theaterdiener Zäger zu Gefallen keine Störung zu machen. Was Frau Crelinger wohl geantwortet hätte? Und Zäger beauftragt den „Jungen“ mit einer Mission von so großer Wichtigkeit, weil er nicht „fort kann, denn es geht ohne ihn nicht“. – Der Verfasser documentirt hier seine vollständige Unkenntniß des Verwaltungsbetriebes des Hoftheaters, denn schon zu Zeiten Sr. Excellenz des Herrn Grafen Redern waren vier Theaterdiener (Schulz, Zäger, Linke, Hoffmann) angestellt, von denen stets einer für besondere Fälle auf dem Posten sein mußte, wie dies heute noch der Brauch; Zäger hätte also wahrlich nicht nöthig gehabt, einen „Jungen“ zur ersten Darstellerin der Bühne mit einer Rolle wie die der Lady Macbeth zu senden. Außerdem möchte ich fragen: „Wie kommt die Rolle in Zäger’s Hand?“ Frau Crelinger war ja Besitzerin der Rolle, und es ist niemals Brauch, eine Rolle von solcher Bedeutung der Verwaltung einzusenden, wenn eine Störung, Krankheit oder sonstige Hindernisse dem Darsteller die Ausübung seines Dienstes unmöglich machen – für Lady Macbeths giebt es keinen sofortigen Ersatz.

Der Verfasser will als Knabe sich dem Statistendienste in Oper und Schauspiel gewidmet, er will als Affe in der Zauberflöte gewirkt haben – möglich, daß er zu solchem Dienst verwendet wurde, dann hat er aber die „Zwei Groschen“ nicht durch den „Statistengeneral“ Herrn von Michelis ausgezahlt erhalten, denn zur Zeit Devrient’s war mit jener Würde der alte Wack betraut. Michaelis – nicht Herr von Michelis – erhielt die Stelle viel später, etwa Mitte der vierziger Jahre. Der lange Michaelis, unser guter College, spielte nicht nur eine Rolle, den Samiel, sondern war vielmehr ein sehr stark beschäftigter Schauspieler, ein Darsteller kleiner, oft nicht unwichtiger Rollen in der Oper wie im Schauspiel, z. B. als Bob in „Die weiße Dame“, Frießhardt in „Tell“ und Andere mehr. Seine Söhne haben niemals die Bretter betreten, sondern eine viel zu gute Erziehung genossen, als daß sie sich als „Statisten“ auf der Bühne „umhergetrieben“ hätten.

Die Notiz über eine kleine Probenscene erkläre ich für ebenso unwahr, wie die Geschichte der Lady-Macbeth-Rolle. Der treffliche Stawinsky, ein wahrhaft feiner, hochgebildeter Mann, würde niemals seine Mißbilligung der Darstellung einer Crelinger dem Theaterdiener Zäger mitgetheilt haben. Stawinsky war – und mit vollem Rechte – ein hoher Verehrer der großen Darstellerin, und der alte Zäger würde es seinem ganzen bescheidenen Wesen nach nie gewagt haben, Aeußerungen, wie sie der Herr Verfasser mittheilt, über die Crelinger laut werden zu lassen. Mit einem spanischen Rohre dirigirte Stawinsky nicht. Er zog, wenn die Probe begann, seine Brille hoch und hielt seine Dose in der Hand; in den Opernproben stampfte er zuweilen mit seinem Stocke auf, wenn er reden wollte, um sich bei dem Geräusche und dem Schalle der Instrumente Gehör zu verschaffen.

Zäger hat nie „Breitspurigkeit“ im Vorzimmer des Intendanten gezeigt. Ebenso wenig war er „aufdringlich“ mit seiner Unterhaltung. Er war vielmehr sehr einsilbig, und nur mit genauen Bekannten ließ er sich in Gespräche ein, wobei er durchaus nicht schnell und geschwätzig war, es auch nicht sein konnte, weil er stotterte. Die Mittheilungen von Kritiken und Bemerkungen Zäger’s über Devrient gehören wohl ebenfalls in die Kategorie der oben angefochtenen; ebenso wenig nannte er sich einen „ollen Kunstkenner“, und seine Tochter, ein sehr liebenswürdiges Mädchen, welche Pagen und kleine Soubretten darstellte – sie lebt heute noch im besten Wohlsein – würde Zäger nie mit einer Crelinger zu vergleichen gewagt haben.

Das Benehmen Zäger’s gegen die Tänzerinnen im Vorzimmer des Intendanten gehört, der Schilderung des Herrn Verfassers nach, in die Kategorie des Brutalen. Die Schmeicheleien der jungen Mädchen scheinen eine Art von humoristischer Beilage bilden zu sollen, welche der simulirten Grobheit Zäger’s die Schärfe nehmen soll; ich habe mich über diese schon oben ausgesprochen, bemerke aber doch dem Herrn Verfasser noch nachträglich, daß ein solcher Ton in den Vorzimmern des Intendanten des Berliner Hoftheaters von den Theaterdienern nicht angeschlagen wurde und bis heute auch nicht angeschlagen wird. Mit „Sorte“, „Bande“ etc. redet kaum der Director einer reisenden Truppe heutzutage seine Mitglieder an. Bei der Hofbühne zu Berlin sind dergleichen Bezeichnungen nicht gebräuchlich – Zäger wäre der Letzte gewesen, sie anzuwenden. Die Zuneigung für den Alten Seitens der Balletdamen scheint mir bei den Haaren herbeigezogen, denn Zäger konnte niemals in so genauer Beziehung zu den Mitgliedern des Ballets stehen, weil seine Functionen ihn selten mit denselben in Berührung brachten. Die Theaterdiener der königlichen Bühne sind für Dienste bei Oper und Schauspiel bestimmt; Dienste beim Ballet verrichtet der Avertisseur, welcher mit den Dienern der Opern und des Schauspiels gar keine Gemeinschaft hat.

Total unrichtig sind die über Zäger’s frühere Lebensstellung gebrachten Notizen. Er war nicht Factotum bei Rust, sondern bei Hufeland. Hier haben wir die läutenden Glocken, die man hört, ohne sie zu sehen.

Im Dienste Hufeland’s kam Zäger mit Schiller in Berührung, der nach Berlin gekommen war, um neben anderen Angelegenheiten auch die Untersuchung seines Körpers durch Hufeland zu betreiben. Schiller wohnte bei Hufeland. Hier rasirte Zäger ihn täglich, und da der große Dichter an heftigem Husten litt, mußte Zäger des Nachts bei ihm wachen und zur Linderung der Hustenanfälle isländischen Moosthee bereit halten. Zäger hat mir oft genug sein Zusammensein mit Schiller erzählt, der beispielsweise an Hufeland’s Tafel die Geschichte seiner Flucht aus Stuttgart zum Besten gab. Zäger schilderte ihn allerdings als sehr liebenswürdig.

Nun hat man aber dem Herrn Verfasser in Nr. 19 wieder allerlei confuse Dinge mitgetheilt; Zäger lernte Herder, Wieland und Goethe kennen, aber sie waren nicht bei Rust (!!), auch nicht bei dem wirklichen Brodherrn Zäger’s, dem berühmten Hufeland, zum Besuche. Hufeland war dagegen in Weimar, wohin Zäger ihn begleitete. Hier sah er die Größen der Dichtkunst; er erzählte mir oftmals, wie Herder ihn in seinem Garten umhergeführt habe. Sein Urtheil über Goethe, der meines Wissens überhaupt nicht in Berlin war, stimmte allerdings mit dem in dem genannten Aufsatze angeführten überein, dagegen habe ich nie von ihm Schiller’s Gesicht in solcher Weise schildern hören, wie es der Herr Verfasser in Nr. 19 berichtet. Er pflegte zu sagen: „An seiner schönen, langen Nase habe ich ihn oft beim Rasiren gehalten.“ Daher mag auch wohl in dem Aufsatze die Notiz Platz gefunden haben: der Alte habe die ganze Dichtergesellschaft bei der Nase gehabt. Bemerkt sei noch, daß Zäger mir erzählte, wie Hufeland ohne jede Rückhaltung in Weimar dem großen Dichter die Zeit seines Absterbens fast bis auf Tag und Stunde vorausgesagt habe.

Die Notizen über den alten Warnicke sind so gehalten, wie sie Jeder bringen würde, der in den Straßen Berlins flanirte und den merkwürdigen alten Herrn in seinem sonderbaren Aufzuge sah, doch habe ich Warnicke oft mit bedecktem Haupte gesehen. Eine intime Freundschaft zwischen ihm und Zäger bestand durchaus nicht.

Bis hierher kann man die von dem Verfasser in Nr. 19 gebrachten Notizen noch als pure Irrthümer bezeichnen.

Anders aber verhält es sich mit der den Schlußsatz bildenden Erzählung. In derselben wird eines bedeutenden Mannes in einer Weise


Hierzu die „Allgemeinen Anzeigen zur Gartenlaube“, Verlag von G. L. Daube & Comp.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_393.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2022)