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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Seine Idee, Landwirthschaft zu betreiben, ging dabei in die Brüche. Anfangs machte er Jagdpartien in die damals noch wildreichen Wälder Ohios und Indianas und verkaufte die erbeuteten Racoon-, Bisam-, Hirsch- und anderen Felle und Pelze an Gerber Keßler und Kürschner Tubach. Allein das konnte nicht lange währen, denn seine Ausgaben waren dabei größer als die Einnahmen, und bald ging die ganze Baarschaft auf die Neige. Begabt mit einer speculativen Phantasie, etablirte er jetzt eine Chocoladefabrik, welche er unter der Backhaus’schen Apotheke, Ecke der siebenten und Mainstraße, im Keller betrieb. Hier stand er oft halb nackt und röstete die Cacaobohnen, mahlte dieselben und bereitete sie zu Chocoladetafeln. Allein auch das rentirte sich nicht. Er war mittlerweile sehr ökonomisch geworden und führte mit seinem Freunde Max Wocher, den er auch in der Gesellschaft bei Schweizerhof kennen gelernt hatte und der an der Walnut-Straße, zwischen vierter und fünfter Straße, sein Geschäft, „Chirurgische Instrumentenmacherei“, betrieb, eine Junggesellenwirthschaft. Sein Mittagessen holte er sich in Eiteljörg’s Bäckerei an der fünften Straße (das Gebäude ist unlängst abgerissen worden, weil auf dem Straßengeviert das neue Zollamtsgebäude errichtet werden soll); dasselbe bestand in einem Paar Semmeln und etwas „Western-Reserve“-Käse.

Phantast, wie Gerstäcker war, ließ er sich durch die Schilderungen Sealsfield’s von den reichen Pflanzungen am Red River verleiten, eine Fahrt nach dem Mississippi- und den Red River-Gebieten zu unternehmen, welche er im Herbste 1838 in Gesellschaft von Peter Ruhl ausführte. Ausgerüstet waren die Beiden mit allen Jagdapparaten, trefflichen Büchsen, Jagdmessern, Pulver und Blei, sowie mit guter Kleidung. Ruhl kehrte jedoch bereits nach etlichen Monaten zurück und berichtete, daß Gerstäcker den Red River hinauf nach Arkansas gegangen sei.

Nun hörte man nichts mehr von ihm, bis er plötzlich eines Morgens, im Herbste 1839, in höchst verwahrlostem Zustande als Feuermann auf einem New-Orleans-Dampfer wieder in Cincinnati ankam. „Um Gotteswillen!“ rief Wocher, zu dessen Werkstatt er sich direct vom Boote gewandt hatte, aus; „um’s Himmels willen, wie siehst Du aus!“ Sein ganzer Anzug bestand aus einer zerrissenen leinenen Hose, einem Flanellhemde, welches ehemals roth gewesen war, und einem Paar abgetragenen zerrissenen Schlappschuhen. Er war ohne Hut, der Kopf allein bedeckt von dem prächtigen Haarwuchse, der ihn damals in voller Ueppigkeit zierte. Dabei war er durch Fieberkrankheiten körperlich heruntergekommen; seine Füße waren wund; er stellte nur noch ein Jammerbild des ehemals so kräftigen, blühenden jungen Mannes dar.

Sein Freund Wocher eilte alsdann nach der 5. Straße in den Kleiderladen eines Israeliten Namens Hilps und kaufte einen neuen „Kentucky Jeans“ Anzug, Hemd, Unterkleider, Strümpfe und Schuhe, die Gerstäcker unter der Treppe in Wocher’s Werkstätte anzog. Während ihm Apotheker Vogel seine wunden Füße heilte, hielt er sich abwechselnd in Wocher’s Werkstatt, in der daran grenzenden Scheerenschleiferbude Klauberg’s und in der Backhaus’schen Apotheke auf.

Vogel und Vater Mühl schimpften ihn weidlich aus über sein unstetes Leben und bewogen ihn, sich während des Winters auf das Studium der englischen Sprache zu verlegen, um sich für eine Lehrerstelle an der damals hier gerade in Bewegung gebrachten deutsch-englischen Freischule vorzubereiten. Er machte nun auch im Jahre 1840, zusammen mit Heman und Pöppelmann, sein Examen in dem Locale des Schulboards an der 4. Straße, zwischen Main- und Walnut-Straße, vor den Examinatoren Dr. Aydelotte, Mr. Green, Schwiegervater von Dr. Rölker, und einem dritten Herrn, dessen Name mir entfallen ist. Nun stand ihm wohl eine Schullehrerstelle offen, allein sein nachmaliges Motto „Rast’ ich, so rost’ ich“ saß ihm schon damals so tief in den Knochen, daß er statt dessen im Sommer 1840 in Gesellschaft von Tubach, den er dazu überredete und der auch ein kleines Vermögen besaß, eine zweite Reise nach dem unteren Mississippi unternahm. Vorher hatte er noch gehört, daß er in Pittsburg eine Büchse bekommen könne, wenn er dieselbe kommen lassen wollte, was ihn bewog, sich als Feuerschürer auf einem Dampfboot zu verdingen und die Fahrt nach Pittsburg hin und zurück zu machen, blos um den Schießprügel zu holen.

Im Spätherbste kamen die Beiden denn auch richtig zurück und brachten eine Ladung Rohre mit – sie waren in den Louisiana Canebreaks (Rohrsümpfen) gewesen – welche sie auf Drays, vom Dampfer, nach Wocher’s Behausung brachten, und dort Keller und Hofraum mit dieser sonderbaren Waare gänzlich anfüllten. Während nun Tubach wieder in sein Hut- und Kappengeschäft ging, schnitt Gerstäcker Angelrohre und Pfeifenstengel, mit welchen er dann, ein Bündel Angelrohre auf der Schulter und einen Korb voll Pfeifenrohre am Arm, von Kramladen zu Kramladen hausirte. Aber auch das Geschäft lohnte sich nicht recht, und Tubach hat wohl schwerlich je sein eingelegtes Capital wieder zurückerhalten.

Während all dieser Zeit besuchte Gerstäcker, wenn er in Cincinnati war, die alte Gesellschaft bei Schweizerhof, welche im Sommer auch wohl in Fein’s „Plaisir-Garten“, in der Walnut-, oberhalb Liberty-Straße, oder nach Drach’s „Bellevue“ hinauf, zusammenkam, wo natürlich geistreiche Unterhaltung gepflogen wurde. Auch kam er um diese Zeit sehr oft in den Kleiderladen des Herrn Steinberg in der Main-Straße, oberhalb des Canals, wo er sich einen neuen Jagdanzug machen ließ und, so en passant, dessen Tochter, der jetzigen Frau Grönland, den Hof machte.

Im Frühjahre 1841 aber duldete es ihn nicht länger in Cincinnati, und von seinem Freunde Wocher dessen sechs Fuß lange Entenflinte sich erbittend, zog er abermals nach Louisiana, von wo er im Herbste desselben Jahres eine große Sammlung Klapperschlangen, Scorpionen und sonstiger Reptilien, die er in Spiritusflaschen aufbewahrte, auch Racoons, Stachelschweine, Eulen und andere Thiere, theils lebendig, theils die Bälge derselben, mitbrachte, „eine kleine Privatmenagerie“, wie Klauprecht sagt, „mit deren Duft ein deutscher Opticus, Namens Gerhardt, seine Werkstätte wie das Haus des Advocaten Fox in der 5. Straße, in welchem sie sich befand, erfüllt hatte.“ Die Reptilien verehrte er zum Theil seinen Freunden Dr. Rölker, Apotheker Vogel, Apotheker Backhaus und Anderen, zum Theil verkaufte er sie an die verschiedenen Apotheken.

Im Winter darauf arbeitete er in der Silberschmiede des Herrn Kinsey an der fünften Straße, wo er den großen Hammer bei der Umgestaltung der Silberplatten und Barren schwang. Abends nahm er auch wohl einen Korb voll silberner Löffel zum Schleifen und Poliren mit nach Hause, womit er sich dann eine kleine Summe Geldes verdiente, das er aber im nächsten Jahre alsbald wieder einer neuen Speculation opferte. Er machte nämlich eine vierte Reise nach Louisiana, von welcher er nicht mehr nach Cincinnati zurückkehrte, bis zu dem Tage, wo wir zuerst anhuben. Was er in Louisiana in diesem Jahre Alles trieb, ist mir unbekannt, außer daß er in Point-Coupee, einem Städtchen am Mississippi, etwa dreißig englische Meilen oberhalb Baton-Rouge, als Steward in einem Hôtel fungirte. Im Jahre 1843 zog ihn die Sehnsucht zu den Seinen nach Deutschland zurück.

Bis dahin hatte Gerstäcker außer einigen kleinen Aufsätzen für die deutsch-amerikanische Tagespresse, größtentheils polemischen Inhalts, noch keine literarischen Arbeiten geliefert Ich erinnere mich nur eines Aufsatzes, den er in der New-Yorker Staatszeitung über einen Dr. Langen, den Gerstäcker übrigens Dr. Langer nannte, veröffentlichte, worin er diesen der Quacksalberei beschuldigte und ihm vorwarf, einem Patienten ein Klystier in den Mund gegeben zu haben. Jedoch führte Gerstäcker während jener Zeit beständig ein Memorandumbuch mit sich, worin er jede Merkwürdigkeit, die ihm aufstieß, sorgfältig notirte. Hiervon machte er nun in Deutschland Gebrauch, und fanden seine Mittheilungen aus Amerika in Zeitschriften stets eine gute Aufnahme. Das gab ihm nun die erste Anregung, auf Grund seiner transatlantischen Erlebnisse und Anschauungen sich der literarischen Thätigkeit zuzuwenden. Nach Gerstäcker’s eigener Mittheilung war es Herr Traugott Bromme in Hamburg,[1] welcher ihn animirte, diese Erlebnisse in Novellenform zusammenzutragen und zu veröffentlichen; bei dem Verleger Arnold in Dresden erschien denn im Jahre 1844 bereits sein erstes Werk: „Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten Nord-Amerikas“ in zwei Bänden, denen nacheinander „Die Regulatoren in Arkansas“, „Die Flußpiraten des Mississippi“ und andere Werke folgten.

Unterstützt vom deutschen Reichsministerium, unternahm er im März 1849 eine Reise nach Süd-Amerika, welches er durchstreifte und von wo er sich nach Californien begab, dann die

  1. Namentlich auch R. Heller und A. Diezmann.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_389.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2018)