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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Stutzen den Beschauer in jeder Ecke des Saales zu treffen weiß. Wenn auf solchen Bildern ein Theil von der obern Fläche des Laufes sichtbar wird, so scheint der Schuß nicht den Kopf, sondern das Herz des Beschauers zu bedrohen.

Auf dem nämlichen Principe beruht eine Reihe ähnlicher Spielereien, unter denen sich der Affe an der Vorhallendecke des japanischen Gartenhauses in Sanssouci eines weit verbreiteten Rufes erfreut. Die nunmehr ziemlich verblichene Malerei stellt einen Affen dar, welcher durch einen Reifen gerade auf den Beschauer losspringt. Ersteigt man die Stufen zur Vorhalle, so scheint er dem Ankommenden entgegen, also nach dem Garten zu springen; tritt derselbe jedoch aus dem Innern des Gartenhauses, so springt er ihm ebenfalls entgegen, diesmal also zur Halle herein. Die Täuschung liegt natürlich wieder darin, daß das Thier vollkommen en face dargestellt ist.

Man konnte nach dem Gesagten schließen, daß diese Täuschungen ausschließlich bei Gemälden eintreten; allein für eine geringere Veränderung des Standpunktes sind sie ebensowohl bei einem plastischen Bildwerke möglich. Wenn nämlich das Antlitz kein allzu starkes Relief besitzt und die in der Mitte des Auges stehende Pupille sehr hervorleuchtend, etwa aus einem Edelsteine gebildet ist, so kann auch hier die obengedachte Erscheinung mit aller Lebendigkeit auftreten. Selbstverständlich vermag ein solches Bildwerk nicht, sich nach dem Beschauer umzuwenden; es folgt ihm nur mit den Augen. Der alte Schriftsteller Lucian erzählt mit großer Verwunderung von einer Statue der syrischen Göttin zu Hierapolis, welche dem Andächtigen in ihrem Tempel an jedem Orte nachgeblickt habe, und ähnliche Beispiele berichten Plinius und Strabo. Eine Anzahl Sagen des christlichen Mittelalters bringen Mittheilungen von Christus- und Marienbildern, deren Blick Ungläubige bekehrt, Gläubige aber durch Zuwinken ermuntert und zu großen Thaten gestärkt habe.

Es ist hierbei zu bemerken. daß sehr viel auf den „guten Willen“ oder Wunsch des Andächtigen oder Abergläubigen, Dergleichen zu sehen, ankommt. Daß ist keine bloße Redensart, sondern die Macht des Willens auf das Gesichtsbild läßt sich beweisen. An Silhouetten kann man die gestaltende und belebende Macht der Phantasie erproben; man kann sie nämlich ganz nach Belieben umkehren, sei es, daß sie ihre Gestalten im Profil oder in der Angesichtsstellung zeigen. Am auffallendsten tritt dies hervor bei der Betrachtung von Statuen, von denen man, sei es der Dämmerung oder der weiten Entfernung wegen, nichts als die Silhouette erblickt, besonders wenn sie sich scharf von einem grauen Himmel abhebt. Man kann ihnen dann mit sicherer Aussicht auf ihren Gehorsam ein „Kehrt Euch!“ zurufen. Recht schön kann man dies, wie Dr. Mohr bemerkt hat, an der Siegesgöttin auf dem Brandenburger Thore in Berlin beobachten. Sobald man „Unter den Linden“ weit genug von dem Kunstwerke entfernt ist, um nur die Silhouette desselben zu sehen, so kann man nach Gefallen das Viergespann zur Stadt hinaus oder herein sprengen lassen. Bei der Silhouette einer mahlenden Windmühle, der wir in schräger Richtung gegenüberstehen, so daß sich die Drehungsebene der Flügel als schmales Oval auf dem dunklen Abendhimmel darstellt, bringen wir es sogar dahin, den Lauf der Flügel plötzlich zu ändern, sie jetzt scheinbar links herum, dann wieder rechts herum laufen zu lassen, je nachdem wir uns denken, das Mühlenhaus stehe in Bezug auf unsern Beobachtungsort vor oder hinter den Flügeln.

Es ist das Unvollendete der Silhouette, welches die Phantasie zu solchen Gestaltungen herausfordert, und man darf daher den Werth derselben in pädagogischer Beziehung nicht unterschätzen. Wem aber das höchst frappirende Windmühlenexperiment bei nüchterner Beobachtung gelungen ist, was in der Dämmerung stets zu erreichen ist, der wird nicht mehr daran zweifeln, daß dem aufgeregten oder abgespannten Schwärmer ganze Gemälde lebendig werden können, um zu thun, was er ihnen, freilich unbewußt, zumuthet. Das aber streift in das Gebiet der Hallucinationen, auf welches ich hier nicht näher einzugehen beabsichtige.

Carus Sterne.




Zur Biographie Gerstäcker’s.[1]

„Gottlob! Da bin ich endlich einmal wieder in meinem alten lieben Cincinnati, das ich seit so langen und vielbewegten Jahren nicht mehr gesehen habe, angelangt. Wie geht’s Euch denn noch Allen?“ Mit diesen Worten und einem kräftigen Händedruck empfing ein Herr von kleiner Statur und gesetzten Jahren, mit einem rothen Flanellhemde, doch sonst keiner auffallenden Kleidung angethan, eine Gesellschaft von vier oder fünf Herren, welche sich in dem Parloc der „Tante“ Pfeiffer am 21. August 1867 versammelt hatte. „Aber wie schön ist sie geworden, die ‚Königin des Westens‘; zu einer blühenden Jungfrau ist sie emporgewachsen, die vor fünfundzwanzig Jahren noch ein kleines Mädchen war. Ich habe fürwahr, seit ich gestern hier angekommen bin, bereits meine helle Freude an ihr gehabt,“ fuhr der Herr mit dem rothen Hemde lebhaft fort, „und hätte ich nicht in dem lieben guten Deutschland eine Familie, die mich wie ein Anker an die alte Heimath kettete: ich könnte noch in meinen alten Tagen in Versuchung gerathen, meinen Hafen nach Eurer blühenden Stadt am Ohio zu verlegen.“

Der Herr, welcher diese Worte zu der kleinen Gesellschaft, unter der sich auch Schreiber dieses befand, sprach, war der vielbekannte Schriftsteller und Reisende Friedrich Gerstäcker. Jahre waren dahingeeilt, seit er die stürmischen Tage seiner Jugend, denen man gewöhnlich den Titel „die Flegeljahre“ beilegt, in der „Pork-Stadt“ zugebracht hatte. Dahingeschieden ist seither Mancher, der zur Zeit die allabendliche Gesellschaft mit dem jungen Abenteurer in der Schenk- und Gastwirthschaft des Jacob Schweizerhof am Fly-Market (Fliegenmarkt, wie der sechste Straßenmarkt damals genannt wurde) theilte. Vogel ist todt; Vater Mühl ist todt; Renz ist todt; Rehfuß ist todt; Walker, Rödter, Felsenbeck, Dr. Paul, Liedel, Linsenmayer, Apotheker Backhaus und der Wirth Schweizerhof, sie Alle weilen nicht mehr unter den Lebenden. Auch der Gegenstand unseres Aufsatzes hat das Zeitliche mit dem Ewigen vertauscht.

Friedrich Gerstäcker schiffte sich im Frühjahre 1837 zu Bremen nach Amerika ein, wo er von New-York aus alsbald in das Innere des Landes zog. „Mit der Büchse über der Schulter,“ sagt Klauprecht in seiner „Deutschen Chronik in der Geschichte des Ohio-Thales“, „hatte er den ganzen Weg von New-York nach Cincinnati – wo er im Herbste 1837 ankam – in einem Jagd- und Streifzuge durch das Land zurückgelegt.“ Er trug einen sonderbaren phantastischen Anzug, ein blaugestreiftes Zwilchwams, das ein Gürtel umwand, worin ein Jagdmesser und ein Tomahawk steckten, breite Beinkleider von gleichem Zeuge und einen wettererfahrenen umgestülpten Strohhut.

Ohne jegliche Bekanntschaft, wandte er sich an Herrn Schweizerhof, welcher zur Zeit, wie bereits vorbemerkt, am sechsten Straßenmarkt eine Schenk- und Gastwirthschaft hielt, wo er vorläufig gute Aufnahme fand. Hier war auch damals der Sammelplatz der Notabilitäten des Deutschthums Cincinnatis. Rödter, Rümelin, Walker, Molitor, Dr. Rölker, Dr. Oberdorf, Apotheker Rehfuß, Dr. Schneider, Dr. Schmidt, Klauprecht, die beiden Franks, bis auf die letzteren Vier lauter Anhänger der demokratischen Organisation, waren hier Stammgäste und discutirten allabendlich über politische, religiöse, sociale und andere Themata, an welchen Discussionen der junge geistreiche Gerstäcker lebhaften Antheil nahm. Begabt mit scharfer Beobachtungsgabe und satirischer Schlagfertigkeit, war er bald ein Liebling der ganzen Gesellschaft.

  1. Es ist auffallend, daß sich noch immer keine Feder für ein authentisches und in sich abgeschlossenes Bild von Gerstäcker’s Leben gefunden hat. Vielleicht liegt dies zum Theil daran, daß das nöthige Material dazu bis jetzt noch nicht in dem erforderlichen Grade allgemein zugängig war. Im Widerspruch mit unserem Principe, nur Original-Artikel zum Druck zu bringen, entschließen wir uns daher heute, unseren Lesern den obigen an neuen Daten über Gerstäcker reichen Aufsatz aus der in Cincinnati erscheinenden deutschen Zeitung „Pionnier“ welche in Europa wenig gelesen wird, mitzutheilen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_388.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)