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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Betracht zieht, daß man eine Arbeit und viel Unannehmlichkeit dadurch erspart, indem man seine unreinen Kragen und Manschetten nur wegzuwerfen hat, anstatt dieselben zusammenzusuchen, zu zählen, zu notiren, um sie waschen zu lassen, daß man sehr oft über schlechtes Plätten dieser Stücke, über falsch erhaltene, anderen Personen gehörige Kragen oder Manschetten zu einem gelinden Aerger kommt, so wird man sich rasch entschließen, Papierwäsche wenigstens einmal zu versuchen.

Die Amerikaner als die praktischsten Menschen des Weltalls verbrauchten im Jahre 1872 nahe an vierhundertfünfzig Millionen Papierkragen, die Engländer ziemlich zweihundert Millionen, die Franzosen, und zwar die besser situirten Leute, nahe an hundert Millionen; nur in Deutschland war der Verbrauch höchstens dreißig Millionen. Da eine Person circa hundertzwanzig Papierkragen im Jahr braucht, so trugen also in Deutschland auf vierzig Millionen Einwohner höchstens zweihundertfünfzigtausend Papierkragen. Man kann dies jedoch nur dem Umstande zuschreiben, daß die meisten unserer Landsleute überhaupt noch nichts von dieser neuen Industrie wissen.

Man fabricirt jetzt alle Sorten Steh- und Umlegekragen für Herren und Kinder etwa im Preise von einem und einem Viertel bis zwei und einem halben Thaler das Groß von hundertvierundvierzig Stück, Frauenkragen schon im Preise von zwanzig Silbergroschen bis zwei Thaler das Groß. Die Manschetten kosten ungefähr zwei Thaler zwanzig Groschen bis fünf Thaler das Groß Paar, die Vorhemdchen je nach der Größe von einem Thaler zwanzig Groschen bis fünf Thaler. Der Preis richtet sich nur nach dem Verbrauch des Rohmaterials; die Qualität ist immer dieselbe; je größer also eine Façon ist, desto höher ist der Preis.

Wir fanden mit Vergnügen, daß in Leipzig verschiedene Institute die Papierkragen vollständig bei den ihnen anvertrauten Knaben eingeführt hatten, und können bestätigen, daß die Zöglinge, obgleich sie in ihrem jugendlichen Alter nicht gerade zartfühlend mit den Kragen umgingen, oft einen einzigen eine ganze Woche trugen. Ebenso ist es Thatsache, daß namentlich in Leipzig Herren, die ihren Verhältnisse nach nicht ängstlich den Thaler anzusehen brauchen, die papierne Wäsche der früheren leinenen vorziehen.

Die Papierwäschefabrication ist amerikanischen Ursprungs. Salomon Sally Gray in Boston eröffnete im Jahre 1857 die erste mechanische Papierwäschefabrik. Die Kragen, nach seinem Systeme verfertigt, haben bis auf den heutigen Tag den Namen „Gray’s Kragen“ behalten und sind anerkannt die besten. Eine von diesem Herrn im Jahre 1865 in Paris gegründete Fabrik ging 1867 in die Hände von zwei Deutschen, den Herren Mey und Edlich, über. Im Jahre 1870 errichteten diese Herren in Plagwitz-Leipzig eine Papierwäschefabrik, welche unter den Industrien Leipzigs eine nicht unbedeutende Stellung einnimmt.

Diese Mey und Edlich’sche Fabrik ist jedenfalls die bedeutendste in Deutschland. Sie ist so eingerichtet, daß sie täglich 400,000 Stück Kragen, 100,000 Stück Manschetten und 30,000 Stück Vorhemdchen liefern kann. Sie beschäftigt jetzt schon 150 weibliche und 50 männliche Arbeiter, hat nur Dampfbetrieb, eigene Cartonnagenfabrik, Tischlerei, mechanisches Atelier und verarbeitete im Jahre 1872 circa 700,000 Pfund Cartonpapier, aus welchen ungefähr 25 Millionen Kragen und fünf Millionen Manschetten und Vorhemdchen verfertigt wurden. Die sogenannten Papierabfälle, aus welchen dann in den Papierfabriken die feinsten Briefpapiere fabricirt werden, betrugen ungefähr 70,000 Pfund. Der Absatz dieses Etablissements geht hauptsächlich nach Deutschland, Oesterreich, der Schweiz, nach Japan, Indien und Süd-Amerika, nach Schweden, Norwegen und Rußland.




Blätter und Blüthen.


Aus dem Rechtsleben eines Kleinstaates. Jedem Touristen ist bekannt, daß das Fürstenthum Schwarzburg-Rudolstadt bewundernswerthe Reste des Mittelalters bewahrt. Kyffhäuser und Rothenburg, Schwarzburg, Greifenstein und Paulinzelle liegen innerhalb seiner sechszehn Quadratmeilen. Weniger bekannt dürfte aber ein Stück aus dem Rudolstädtischen Rechtsleben sein, das wenigstens aus dem Mittelalter zu stammen verdiente, sonst aber mehr auffällig als bewunderswerth ist.

Bekanntlich kosten Rechtsstreite, wie andere Kriege, Geld, Geld, Geld, und alle Rechtsstaaten lassen sich für die Rechtsprechung bezahlen. Unsere Socialdemokraten zwar fordern mit dem stereotypen „Zorn im Antlitze“ auch unentgeltliche Justiz; sie vergessen aber, daß unter den Gerichtskosten manche baare Auslagen begriffen sind und daß die Erfüllung ihrer Bitte die friedliebenden Bürger zu Gunsten der streitsüchtigen widerrechtlich belasten würde. Es ist deshalb nur zu billigen, wenn auch die freiesten Republiken Bedenken tragen, solche Forderungen zu erfüllen. In so schneidiger und harter Weise aber wie im Staate Rudolstadt dürfte jenes Recht sonst nirgends gehandhabt werden. Die Gerichte dieses kleinen deutschen Vaterlandes dürfen nämlich ihre Urtheile den Parteien gar nicht verkünden, wenn die Gerichtskosten nicht vorher bezahlt werden. „Kein Geld, kein Schweizer,“ hieß es früher bei unseren westlichen Nachbarn. „Kein Geld, kein Bescheid,“ sagt das Recht im Rudolstädtischen. Mögen für die Parteien viele Tausende, ja ganze Vermögen auf dem Spiele stehen, für den Staat aber nur fünf oder zehn Thaler Kosten in Frage kommen, einerlei, man erfährt eben den Rechtsspruch ohne vorgängige Zahlung nicht.

Nun verdient zwar die Gerechtigkeitsliebe und die Rechtskenntniß der Rudolstädter Richter gewiß alle mögliche Achtung; aber das Dogma der Unfehlbarkeit nehmen sie für ihre Urtheile ebenso gewiß nicht in Anspruch. Es kann also hier wie anderwärts den Parteien durch den Bescheid ein Unrecht widerfahren. Ist es daher billig und entspricht es dem Rechtssinne unserer Zeit, wenn zu Gunsten einer unbedeutenden Forderung der Sportelcasse das Recht der Berufung an die höheren Richter den Parteien nicht blos verkümmert, sondern geradezu entzogen wird? Gewiß ebensowenig, wie wenn ein Staat seine polizeiliche Hülfe dem Bedürftigen nur gegen baare Zahlung gewähren wollte. Eine solche drakonische Härte des Rechts liegt aber hier unzweifelhaft vor; denn man kann gegen ein nach Form und Inhalt unbekanntes Urtheil tatsächlich nicht appelliren. Das unveräußerliche Recht der Berufung gegen irrige Entscheidungen ist also im Rudolstädtischen zwar auf dem geduldigen Papiere durchweg gewährleistet, es wird aber dem zufällig am Tage der Publication Zahlungsunfähigen um ganz geringfügiger Forderungen der fürstlichen Sportelcassen willen auch wieder entzogen, mögen darüber die Parteien zu Grunde gehen oder nicht.

Da dem Staate zur Einziehung solcher Posten seine Executoren sofort dienstbereit zur Hand sind, so handelt es sich hier um eine kleinstaatliche Eigenthümlichkeit, die man sicher heutzutage nicht berechtigt schelten und deshalb bewahren darf, sondern die sobald wie möglich aus unserm deutschen Rechtsleben getilgt werden muß. Wir wollen uns also des Tages freuen, an welchem man auch diese Bestimmung zu den interessantesten Ruinen des Fürstenthums zählen kann.

Karl Chop.


Vorbei!

An dem kleinen Fenster stand sie,
Als ich schüchtern ging vorbei;
Bunte Blumen lächelnd wand sie
In dem Wonnemonat Mai,

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Blickte grüßend zu mir nieder,

Als ich schüchtern ging vorbei.
Und beseligt grüßt’ ich wieder
In dem Wonnemonat Mai.

Jahre kamen, Jahre gingen

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Jener schönen Zeit vorbei,

Doch dem Glücklichen nur bringen
Sie den Wonnemonat Mai.

An dem kleinen Fenster sind nun
Gruß und Küsse längst vorbei,

15
Und es geht des Herbstes Wind nun

Ueber meines Lebens Mai.

Alex. Duncker.




Charakterköpfe. Seit Rochlitz seine Aufsätze „Für Freunde der Tonkunst“ herausgegeben, sind selten so anziehend geschriebene Biographien von Tonsetzern erschienen, wie die in La Mara’s „Musikalische Studienköpfe“ enthaltenen. Für einen großen Leserkreis haben sie den Vorzug, die rechten Grenzen inne zu halten zwischen den kurzen, oft trockenen Notizen eines Lexikons und den weitläufigen, bändereichen Lebensbeschreibungen, welche hauptsächlich nur ernsten Musikern und gelehrten Forschern zum Studium dienen. Gern werden Viele, die sich an den Werken Karl Maria von Weber’s, Schubert’s, Schumann’s, Mendelssohn’s erfreuten, denen die Schöpfungen Cherubini’s, Spontini’s, Rossini’s, Boieldieu’s Genuß gewährten. die ihr Interesse Berlioz, Liszt, Wagner, Chopin zuwandten, nun auch Näheres und Zuverlässiges wissen wollen über die Lebensumstände der Genannten, gern auch den Eindruck von deren Persönlichkeit empfangen, soweit er sich schriftstellerisch wiedergeben läßt. Solche finden in La Mara’s bereits mehrfach aufgelegtem Werke (zwei Bände zu 359 und 256 Seiten) sorgfältige, auf Benutzung von alten und neuesten Originalquellen beruhende, warm und liebevoll ausgeführte, mit fesselndem Detail geschmückte Biographien, welche die Wißbegier der Leser angenehm befriedigen und ihre Liebe und Verehrung für die genannten Meister zu erhöhen wohl im Stande sind.




Kleiner Briefkasten.

B. Wir bedauern, auf diesen Gegenstand nicht wieder zurückkommen zu können.

M. H. in Z. Bezeichnen Sie uns das Manuscript gefälligst genauer! Gedichte, wenn sie nicht zum Druck kommen, werden übrigens stets sofort vernichtet.

M. G. in L. Ungeeignet. Das Manuscript steht zu Ihrer Verfügung.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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