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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Frauen der französischen Revolution.
Von Rudolf Gottschall.
2. Madame Roland.
(Schluß.)

„Meinen Henkern,“ schreibt Madame Roland in einem Briefe an Buzot, „verdanke ich die himmlische Seligkeit, daß ich in Einem Athem meiner Pflicht genügen und meiner Liebe mich hingeben kann. O, beklage mich nicht, mein Theuerer!“ Und in einem andern Schreiben sagt sie: „Mein süßestes Glück würde es sein, wenn ich durch das Opfer meines Lebens für Roland das Recht erhielte, Dir allein meinen letzten Seufzer zu widmen.“

Welch ein Kampf zwischen Pflicht und Neigung im Herzen der merkwürdigen Frau! Als starre Heldin der Tugend, wie sie bis dahin erschien, würde sie uns unbedingt Achtung abnöthigen, aber daß ihr Herz auch empfänglich war für den Zauber der Leidenschaft, daß ihre unerbittliche Logik zu seltsamen Trugschlüssen verleitet wurde durch diese Gewalt einer unwiderstehlichen Liebe: das mag ihr mit Recht den Heiligenschein einer über alle Versuchungen erhabenen Frau nehmen, aber es läßt das Weibliche ihres Wesens aus all der Verpuppung in Gelehrsamkeit und politische Weisheit in den lebhaftesten Zügen hervortreten!

Und welch ein Licht wirft dieses briefliche Vermächtniß auf ihr ganzes Leben! Da sehen wir sie, eine Hohepriesterin der Pflicht, bald die Manifeste ihres Gatten ausarbeiten, bald seine Leibgerichte in der Küche besorgen; doch eifersüchtig ruht sein Auge auf ihr, wenn sie im Kreise der jüngeren Genossen sich bewegt, und auf ihr selber lastet’s wie ein bleierner Druck endloser Langeweile; denn ihr Herz sehnt sich nach einer Freiheit, welche der Sturz des Königthums, um den sie so eifrig sich bemüht, ihr nicht zu verschaffen vermag.

Als politische Rathgeberin ihres Gatten war sie unermüdlich. Zweifellos ist es, daß sie den berühmten Brief Roland’s an den König vom 10. Juni selbst dictirt hat. Ludwig der Sechszehnte wollte damals in der Priesterfrage nicht nachgeben, das Verbannungsdecret gegen volksfeindliche Priester nicht unterzeichnen, auch nicht zugeben, daß ein Lager der Föderirten bei Paris sich einfinde. In jenem Briefe wurde dem Könige mit großer Rücksichtslosigkeit gesagt, daß die Rückkehr zur alten Ordnung der Dinge, zu welcher er durch seine Erziehung stark neige, unmöglich sei. Die Nation werde sich eher unter den Trümmern der Verfassung begraben lassen, als irgend einer Gewalt gestatten, diese umzustürzen. Die Folge dieses Briefes war die Entlassung Roland’s und seiner girondistischen Collegen aus dem Ministerium. In der Versammlung wurde der Brief mit Jubel aufgenommen und der Druck und die Versendung in die Departements beschlossen. Manon Roland hatte ihren zögernden Freunden bewiesen, daß ihr Mißtrauen gegen den guten Willen des Königs wohlbegründet war. Der Brief wurde ein wichtiges Ferment der politischen Bewegung. Es folgte bald darauf der Sturm auf die Tuilerien am 10. August. An den Vorbereitungen zu diesem entscheidenden Tage hatte Manon Roland Antheil; denn der Führer der Marseiller, Barbaroux, gehörte ihrem Kreise an. Wiederum wurde ein girondistisches Ministerium gebildet, in welches Roland eintrat, zugleich aber mit ihm Danton, welcher „die Cirkel der Gironde störte“. Madame Roland, welche für den gewissenhaften und unbestechlichen Robespierre, wenn sie auch dessen neidische Gemüthsart nicht verkannte, Sympathien hegte, war eine durch nichts zu gewinnende Gegnerin Danton’s, dieses gewaltigen Volksmannes, der durch den Einsatz seiner imposanten Persönlichkeit und die genialen Eingebungen des Augenblicks eine machtvolle Wirkung übte, im Uebrigen aber ein Genie in der Liederlichkeit wie Mirabeau und überdies nicht abgeneigt war, sich auf Staatsunkosten zu bereichern. Gegen derartige Kraftmenschen hatte die Roland eine unüberwindliche Abneigung. Als die Schlächtereien des Septembers stattgefunden hatten, deren Hauptbegünstiger, wenn nicht Urheber, Danton war, empfand die Roland einen Schauder gegen diese Gluth gemeiner Leidenschaften, gegen diese maßlosen Metzeleien und spornte ihren Gatten an, in der Nationalversammlung die Förderer und Schützer derselben anzuklagen. Das wurde verhängnißvoll für sie wie für die Gironde. Der Haß der Jacobiner begann sich gegen sie zu richten; man nannte sie die Circe der Gironde; man verglich sie mit der Königin Coco; Danton sagte, als man Roland, obgleich er zum Abgeordneten der Versammlung gewählt war, ersuchen wollte, sein Portefeuille beizubehalten: „Wenn man Herrn Roland mit dieser Einladung beehrt, muß man sie auch an Madame richten. Ich kenne alle Tugenden des Ministers; aber wir haben Männer nöthig, die nicht blos mit den Augen ihrer Frauen sehen.“

Die Abstimmung über den Tod des Königs hatte die unklare Haltung der Gironde auf das Unzweideutigste dargelegt, die Bergpartei dagegen gekräftigt. Die Schwäche und Zersplitterung seiner Partei machte Roland das Verbleiben im Ministerium unmöglich; die Montagnards griffen ihn auf’s Aeußerste an; er legte sein Portefeuille nieder, im Einverständnisse mit seiner Frau und unter Ablegung eines höchst eingehenden Rechenschaftsberichts. Er war der Mann der Ziffer, aber die Parteien respectirten die Ziffern nicht. Man verlangte Glaubensbekenntnisse, keine Rechenexempel. Je mehr die Gironde den Boden verlor, desto herausfordernder wurden ihre Vertreter. Nur Ein Mann konnte und wollte sie retten: es war Danton; doch gerade gegen Diesen war die Abneigung gewachsen. Die Beredsamkeit der anmuthigen Manon hatte gewiß nicht wenig dazu beigetragen, den Groll gegen den genialen Wüstling in ihren Kreisen zu verbreiten und gerade damit den Untergang der Gironde zu beschleunigen.

In einem Augenblicke stolzer Selbstüberhebung hatte sie erklärt, sie sei berufen, die Vorsehung zu spielen. Sie hat dieselbe schlecht genug gespielt; sie hatte wohl die lebhafte Ahnung des hereinbrechenden Verderbens, aber ihre Rathschläge riefen es näher herbei, anstatt es aufzuhalten. Klägliche Vorsehung, der in einer Secunde das Fallbeil der Guillotine ein Ende machte!

Die Tage des 31. März und des 2. Juni, an denen eine große Volksbewegung zur Verhaftung der Gironde führte, bezeichnen den Wendepunkt im Leben der Madame Roland. Von jetzt ab ist dasselbe einem tragischen Schicksale verfallen. Und wenn man die freigeistige Republikanerin, die männlicher als die Männer sich an der Politik betheiligt, die in ihrem Salon eine geistige Oberherrschaft über eine ganze Partei ausübt, nicht weiblich genug findet, wenn man in diesem begabten und thätigen Unterstaatssecretär des Ministeriums Roland eine Verzeichnung des Frauenideals erblickt, so entwickelt sie dafür von dem Augenblicke ab, wo das Geschick sich gegen sie erklärt, einen Adel der Gesinnung und eine Seelengröße, welche auch den mißgünstigen Blick auf sie zurücklenken und selbst eine ungern gewährte Anerkennung erzwingen.

Sie hielt Frankreich und ihre eigene Sache für verloren und begünstigte die Flucht Roland’s, während sie selbst in Paris zurückblieb. Sie wollte der Ungerechtigkeit Trotz bieten und traute sich gewiß die Kraft zu, die Sache ihres Gatten mit glänzender Beredsamkeit zu vertheidigen. Sie gefiel sich in dem Gedanken, sich für Roland zu opfern; es erschien ihr dies als eine Sühne für die Untreue ihres Herzens. Buzot war auch geflüchtet und außer dem Bereich der Jacobinischen Gräuelthaten; sie wollte vor der Mit- und Nachwelt die Freunde vertheidigen, an denen sie mit Bewunderung hing.

Am 2. Juni wurde Madame Roland verhaftet und in die Abtei geführt, die sie kurze Zeit darauf mit Saint-Pélagie vertauschte. Die vor kurzem in dem Archive gefundenen Papiere verbreiten über diese Verhaftung ein neues Licht. Wir sind aus den Romanen der jüngsten Zeit gewöhnt, uns unter Gouvernanten meistens sehr edle Wesen zu denken, welche des Montyon’schen Tugendpreises[WS 1] würdig sind; doch es gab und giebt auch sehr bösartige Exemplare dieser weitverbreiteten Species. Durch das Gefühl ihrer untergeordneten Stellung, die in solchem Mißverhältnisse steht zu ihrer geistigen Bildung, mit Groll erfüllt, benutzen diese oft jede, auch die bedenklichste Gelegenheit, die ihnen erlaubt, sich ihrer Brodherrschaft überlegen zu zeigen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Prix Montyon de Vertu, Vorlage: Monthyon’schen Tugendpreises
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_369.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)